Häuslebesitzer zahlen mehr, Wohnungsbesitzer und Gewerbebetriebe weniger – das ist im Groben die Entwicklung, die die neue Grundsteuer in Singen und dem Hegau nehmen dürfte. Gleichzeitig geistern viele sperrige Wörter herum, von Transparenzregister bis Hebesatz. Und von Haus und Grund Singen kommt grundsätzliche Kritik. So steht es etwas mehr als zwei Monate vor der Umsetzung um die neue Grundsteuer:
Was kommt auf die Bürger nun zu?
Von der Grundsteuer ist jeder Einwohner einer Gemeinde betroffen, nicht nur Immobilieneigentümer. Denn Vermieter können die Grundsteuer auf ihre Mieter umlegen, wie Bernhard Hertrich, Vorsitzender des Eigentümervereins Haus und Grund in Singen, erklärt. In zwei Gemeinden im Hegau stehen am Dienstag, 22. Oktober, auch schon Entscheidungen der Gemeinderäte zum Thema an, nämlich in Singen und Gottmadingen.
Beide Gemeinden haben ihren Sitzungsunterlagen anonymisierte Beispielrechnungen beigefügt. Eine pauschale Aussage, die für alle gilt, kann man daraus nicht ableiten. Sollten die Gemeinderäte den Vorschlägen der Verwaltungen folgen, ergibt sich aber die Tendenz: Bei Einfamilienhäusern steigt die Grundsteuer, bei Mehrfamilienhäusern und Wohnungen sieht es gemischt aus mit einer Tendenz zur Entlastung – und Gewerbebetriebe werden stark entlastet.
So weist die Stadt Singen in ihrer Beispielrechnung aus, dass Einfamilienhäuser in der Innenstadt deutlich teurer werden. In einem Fall mit 265 Quadratmetern Grundstück steigt die jährliche Steuer von knapp 75 Euro auf knapp 195 Euro. Ein Mehrfamilienhaus mit 2000 Quadratmetern Grundstück kostet künftig nur noch 2300 Euro statt 5900 Euro, andere Mehrfamilienhäuser werden hingegen stärker belastet. Bei Industrie und Gewerbe weist die Beispielrechnung für die Innenstadt starke Entlastungen bei der Grundsteuer aus, etwa von 24.400 Euro auf 13.500 Euro für ein Grundstück von knapp 2400 Quadratmetern.
In Süd- und Nordstadt ergibt sich ein ähnliches Bild. Im Ortsteil Bohlingen weist die Beispielrechnung fast nur Mehrbelastungen aus, in anderen Ortsteilen ist das Bild gemischter.

Ähnliche Tendenzen weist die Gottmadinger Beispielrechnung aus. Bei unbebauten Wohngrundstücken steigt die Grundsteuer demnach stark an, auch bei Einfamilienhäusern steigt die Belastung. Reihenhäuser, Eigentumswohnungen und Gewerbe werden hingegen entlastet, bei Mehrfamilienhäusern wird neben Entlastungen auch ein Fall von Steigerung ausgewiesen.
Welche Kritik übt der Eigentümerverband Haus und Grund?
Bernhard Hertrich, Vorsitzender von Haus und Grund Singen, hat durchgerechnet, wie sich seine persönliche Grundsteuerlast verändert, wenn die Stadt Singen an den Berechnungsgrundlagen nichts ändert. Dann müsste er für die Räume seiner Steuerberatungskanzlei deutlich weniger Grundsteuer zahlen als bisher – für Häuser, die er vermiete, allerdings mehr. „Das kann eigentlich nicht sein, dass man für Büros weniger zahlt und für Wohnhäuser deutlich mehr“, so Hertrich.
Aus Sicht des Eigentümerverbandes sei das Problem, dass die neue Grundsteuer in Baden-Württemberg stark an die Grundstücksgröße gekoppelt sei – „ohne zu sehen, wie viel darauf gebaut ist“, so Hertrich. Das trifft auch Menschen, zu deren Haus beispielsweise eine große Obstwiese gehört – solang diese nicht als Landwirtschaft eingestuft wird, denn dann gilt ein anderer Grundsteuersatz. Bei Gewerbegrundstücken liegt die Entlastung daran, dass laut der Singener Beispielrechnung für die Grundstücke ein deutlich geringerer Wert angesetzt wird.
Hertrich befürchtet: „In Singen wird es wegen der vielen unterschiedlichen Gebäudesorten böses Blut geben.“ Denn die Systematik der neuen Grundsteuer heißt auch: Stehen in einer Gemeinde nur vergleichbare Gebäude, etwa Einfamilienhäuser, auf ähnlich großen Grundstücken, ändert sich nicht viel an den Beträgen, die jeder Eigentümer zu zahlen hat.

Doch wovon hängt die Grundsteuer eigentlich ab?
Dass es Veränderungen bei der Grundsteuer gibt, liegt an einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wie Solveig Elze, Leiterin des Singener Finanzamts, auf Anfrage schreibt. Das Gericht habe die bisherige Grundsteuer als ungerecht und verfassungswidrig eingestuft, so Elze. Das Urteil datiert aus dem Jahr 2018.
In die Berechnung fließt der Wert eines Grundstücks ein und sie muss landesweit vergleichbar sein. Um die Grundsteuer zu berechnen, wird die Grundfläche eines Grundstücks mit dem Bodenrichtwert multipliziert, den Gutachterausschüsse ermittelt haben. Danach wird das Ergebnis mit der Steuermesszahl multipliziert, die laut dem Landesfinanzministerium gesetzlich bei 1,3 Promille liegt. Für Wohngrundstücke gibt es eine Ermäßigung von 30 Prozent auf 0,91 Promille.
Und am Ende kommen dann die Gemeinden ins Spiel, die einen Hebesatz festlegen. Mit diesem Hebesatz muss man das bisherige Ergebnis, der Steuermessbetrag, multiplizieren, um die tatsächliche Grundsteuer zu ermitteln. Die fließt letztlich in die Kassen der Gemeinden.
Was müssen die Gemeinden jetzt tun?
In den Gemeinderäten stehen nun Entscheidungen über die Hebesätze an. Wichtiger Grundsatz dabei ist, dass Gemeinden durch die neue Grundsteuer etwa gleich viel einnehmen sollen wie bisher. Das Landesfinanzministerium hat in einem Transparenzregister berechnet, in welchem Bereich sich die neuen Hebesätze bewegen sollten.
Die Singener Stadtverwaltung schlägt vor, den Hebesatz von 360 auf 430 Prozent zu erhöhen. Laut der Beispielrechnung nimmt die Stadt dadurch trotzdem etwa 250.000 Euro weniger Grundsteuer pro Jahr ein. In Gottmadingen soll der Hebesatz hingegen von 390 auf 300 Prozent sinken, um etwa gleich viel einzunehmen wie bisher. Hebesätze seien nicht miteinander vergleichbar, weil die Bodenrichtwerte der Gemeinden sehr unterschiedlich sind, so Finanzamtschefin Elze.
Können sich Eigentümer gegen die neue Grundsteuer wehren?
Einsprüche gegen Grundsteuerwert- und Grundsteuermessbescheid kann man nur innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides erheben, so Solveig Elze. Bis 30. Juni 2025 können Eigentümer allerdings in einem Gutachten den Wert ihres Grundstücks ermitteln lassen. Der gegebenenfalls niedrigere Wert könne dann rückwirkend zum 1. Januar berücksichtigt werden.
Die Singener Stadtverwaltung weist allerdings in einer Pressemeldung darauf hin, dass der städtische Steuerbescheid nur auf den Bescheiden des Finanzamts aufsetzt und ein Einspruch gegen den städtischen Bescheid daher nichts bringe.
Aus demselben Grund werde die Stadt auch nicht gegen ein anderes Element der Reform vorgehen, heißt es aus der Pressestelle auf Nachfrage. Nach der neuen Grundsteuer muss die Stadt nämlich selbst deutlich mehr Steuern für eigene Flächen zahlen. Das liegt daran, dass etwa Gewässergrundstücke und Überflutungsflächen bislang nicht veranlagt wurden.