Erneut kam es zu erschreckenden Szenen in der Singener Fußgängerzone, als sich am späten Dienstagnachmittag mehrere Dutzend Personen eine Massenschlägerei lieferten. Polizei und Rettungsdienst waren mit einem Großaufgebot in der Stadt unterwegs, um die Konfliktparteien zu trennen und die Lage zu beruhigen. Am Tag nach diesem aufsehenerregenden Großeinsatz ist die Polizei spürbar präsenter in der Singener Innenstadt.

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Und die Ermittler haben neue Details bekannt gegeben. Von den zehn Verletzten seien vier noch im Krankenhaus, sagt Polizeisprecher Dieter Popp am Mittwoch danach. Lebensgefahr bestehe aber bei keiner der betroffenen Personen. Ermittelt wird laut Popps Informationen wegen gefährlicher Körperverletzung, zahlreiche Personen werden als Beschuldigte geführt. Mittlerweile seien diejenigen, die am Dienstag vorläufig festgenommen wurden, wieder auf freiem Fuß.

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Was der Anlass für die Massenschlägerei war, dazu könne er hingegen nach wie vor nichts preisgeben, sagt Popp. Ein Zusammenhang mit der Massenschlägerei und der Messerattacke vom Dezember 2020 liegt indes nahe. Beides gehörte zu einem länger andauernden Konflikt zwischen syrischen Großfamilien und wurde vor dem Landgericht Konstanz juristisch aufgearbeitet. Der Prozess ging mit teilweise mehrjährigen Haftstrafen zu Ende. Im Umfeld des Polizeieinsatzes am Dienstagabend fielen immer wieder die Namen von Familien, die schon im Dezember 2020 beteiligt waren. Gut informierte Ermittlerkreise haben diesen Zusammenhang gegenüber dem SÜDKURIER bestätigt.

Die Rettungskräfte hatten laut Polizeiinformationen zehn Verletzte zu versorgen.
Die Rettungskräfte hatten laut Polizeiinformationen zehn Verletzte zu versorgen. | Bild: René Laglstorfer

Offizielle Informationen zu einem solchen Zusammenhang gibt es allerdings weder von der Polizei noch von der Staatsanwaltschaft Konstanz. Klar ist allerdings, dass die Täter von damals, die vom Konstanzer Landgericht zu Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt wurden, am Dienstagabend nicht dabei gewesen sein können: Laut Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach sitzen diese weiterhin in Untersuchungshaft. Gegen die Urteile wurden jeweils Rechtsmittel eingelegt.

Ehe die Ermittler einen Zusammenhang zwischen beiden Vorfällen bestätigen können, bräuchten sie zunächst mehr Informationen, sagt Polizeisprecher Popp. Daher bittet die Polizei um Hinweise von Zeugen und vor allem um Videos, die den Vorfall oder Teile davon zeigen. Zum Hochladen von Videos gibt die Polizei diesen Link bekannt: https://bw.hinweisportal.de/~portal/de. Für telefonische Hinweise gibt es ein rund um die Uhr besetztes Hinweistelefon unter der Nummer (07731) 888 333. Außerdem werde eine zwölfköpfige Ermittlungsgruppe gegründet.

Massenschlägerei in der Singener Innenstadt Video: privat

Auch eine weitere Frage findet derzeit noch keine offizielle Bestätigung durch die Polizei: Ob ein Messer oder ein anderer spitzer Gegenstand im Spiel gewesen sein könnte. Vieles deutet darauf hin, unter anderem zahlreiche Beiträge von Menschen, die ein Stichwerkzeug gesehen haben wollen, auch Polizeiermittler haben es indirekt bestätigt. Offizielle Informationen dazu gibt Polizeisprecher Popp aus ermittlungstaktischen Gründen aber nicht heraus. Einen Zusammenhang mit einer Massenschlägerei am frühen Abend des Freitag, 18. März, könne man hingegen nicht ausschließen, so Popp. Einige Personen seien bei beiden Auseinandersetzungen beteiligt gewesen.

Zeugen schildern Schläge – auch gegen sie selbst

Ein Augenzeuge hat das Geschehen unmittelbar mitbekommen, wie er dem SÜDKURIER erzählt: Kurz vor 17 Uhr kam er mit einem Freund beim Spaziergang mit dem Hund am Einkaufszentrum Cano vorbei und habe eine Schlägerei bemerkt. „Das waren locker 30 Personen. Und es sind immer mehr gekommen“, schildert er. Als die Beteiligten mitbekamen, dass Umstehende sie zum Aufhören aufforderten, die Polizei riefen und Videos machten, seien sie weggelaufen. Auch der Augenzeuge, dessen Name der Redaktion bekannt ist, dokumentierte mit seinem Handy, wie eine Gruppe von Männern sich schlägt und schubst. „Ein Messer habe ich nicht gesehen“, sagt er, angesprochen auf entsprechende Gerüchte. Der Streit sei in der Ekkehardstraße weitergegangen.

Eine Szene am Rand des Großeinsatzes vom Dienstagabend.
Eine Szene am Rand des Großeinsatzes vom Dienstagabend. | Bild: René Laglstorfer

Dort befand sich eine weitere Augenzeugin. Erst seien sechs oder sieben Männer aufeinander losgegangen, dann seien es immer mehr geworden. Eine Nachbarin filmte das Geschehen. Das Video zeigt auch die Augenzeugin, die erst eine Haustür öffnete und dann rasch wieder schloss: „Ich habe versucht zu helfen, denn sie waren verletzt“, erklärt sie. Das sei aber nicht möglich gewesen, weil die Männer zu aufgedreht und zu aggressiv gewesen seien. Die Polizei habe dann mit Pfefferspray eingegriffen. Seitdem habe sie ein mulmiges Gefühl.

Links im Bild soll es zum Gerangel um die Schere gekommen sein Video: privat

Lange schien es, dass die mutmaßlich beteiligten Großfamilien ihren Konflikt untereinander austragen. Am Dienstagnachmittag geriet allerdings Melanie Räther in die Streitigkeiten. Sie sei auf dem Rückweg vom Friseur gewesen, als sie zahlreiche Einsatzwagen am Cano sah. Also sei sie in Richtung AOK abgebogen – ohne zu gaffen und auch ohne zu filmen, wie sie versichert. „Da kam einer und schrie mich an, ich soll das Video löschen. Er hat mir dann das Handy mit dem Fuß aus der Hand geschlagen“, berichtet sie. Offenbar habe er das Videotelefonat, das sie mit ihrer Tochter geführt habe, missverstanden.

Aufnahmen zeigen offenbar einen vorangegangenen Konflikt am 18. März Video: privat

Der Angreifer sei noch keine 18 Jahre alt gewesen, schätzt sie, und wenig später von zwei Polizisten weggezogen worden. Diese hätten ihr zwar angeboten, eine Anzeige zu erstatten, doch das habe sie nicht vor. Das Handy sei ja noch ganz und wirkliche Konsequenzen würden dem jungen Mann ohnehin nicht drohen, meint sie. „Aber wie die sich hier aufführen, das geht einfach nicht. Das war am helllichten Tag, da waren Kinder!“ Ihren beiden Töchtern habe sie geraten, sich erst einmal vom Cano fernzuhalten.