Wenn ein Mann wegen Vergewaltigung angeklagt ist, versucht er meistens, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das sagt Amtsgerichtsdirektor Franz Klaiber. Erst neulich habe er einen Fall verhandelt, bei dem ein Angeklagter versuchte, eine Vergewaltigung zu leugnen und sein Opfer unglaubwürdig zu machen. Ganz anders verhielt sich ein 20 Jahre alter Angeklagte aus Singen, der sich an diesem Tag verantworten musste. Denn der hat nicht nur ein umfassendes Geständnis abgelegt, sowohl bei der Polizei als auch vor Gericht, sondern auch direkt nach der Tat erkannt: Das war ein Fehler. Sie habe Nein gesagt und er sei zu weit gegangen. Diese ungewohnte Ehrlichkeit und Offenheit belohnte das Jugendschöffengericht mit einem mildem Urteil. Dabei nutze es das Jugendstrafrecht und sah einen minder schweren Fall.

Angeklagter schildert klar, was an dem Abend passiert ist

Es war der 24. Juni 2020, als der Angeklagte und sein späteres Opfer sich in Singen näher kamen. Es war nicht das erste Mal, es habe eine nicht ganz eindeutige Beziehung zwischen den beiden bestanden – da waren sich alle Prozessbeteiligten einig. Küssen und kuscheln soll es davor schon gegeben haben, doch an diesem Tag wollte der Angeklagte mehr. Ob er ihre Brust berührt habe, will der Richter bei der Verhandlung wissen. Der Angeklagte nickt. Sie habe das unangenehm gefunden und gesagt, dass sie sich ungern vor anderen entblöße. Ob er die Hand unter ihrer Shorts gehabt habe, lautet die nächste Frage. Auch hier nickt der Angeklagte. Ob er einen Finger eingeführt habe und versuchte, sie zu stimulieren? Ja. Doch er habe rasch gemerkt, dass das ein Fehler war: Er habe aufgehört, weil er selbst das Gefühl hatte, dass es falsch sei, erklärt er auf Nachfrage des Richters.

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„Ich schäme mich sehr, dass ich das gemacht habe. Ich habe das falsch wahrgenommen, es ist meine Schuld.“ Er habe Gefühle für die junge Frau entwickelt und sich eine Beziehung vorstellen können. Nach der Sache, wie er die Tat mit gesenktem Blick nennt, habe er nicht nur mit ihr, sondern auch einem befreundeten Ehepaar offen darüber geschrieben. Er habe das klären wollen. „Sie hat gesagt, dass sie mir verzeiht.“

Mindeststrafe von zwei Jahren sorgt für schlaflose Nächte

Für die Staatsanwaltschaft ist das eine sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen, eine Vergewaltigung. Darauf steht eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten. Laut Anklage hat der 20-Jährige an dem Abend auch Gewalt angewandt und die junge Frau an sich gedrückt. Sie habe sich deutlich gewehrt, Nein gesagt und seine Hand weggenommen. Außerdem habe sie ihre Beine zusammen gedrückt, wie der Angeklagte auf Nachfrage bestätigt. Bei Gewaltanwendung ist eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vorgesehen.

Der 20-Jährige fürchtete sich vor einer hohen Strafe und schilderte schlaflose Nächte. Denn sogar zwei Jahre Freiheitsstrafe standen im Raum: Sobald der Täter in den Körper seines Opfers eingedrungen ist, sei es nur mit einem Finger, liegt ein besonders schwerer Fall vor.

Die junge Frau leidet bis heute

Dieses Strafmaß beantragte auch die Staatsanwaltschaft: Zwei Jahre auf Bewährung und ein Schmerzensgeld von 1000 Euro. Was die Staatsanwältin dem Angeklagten zugute hielt, war sein klares Geständnis. In solchen Fällen sei besonders wichtig, dass den betroffenen Frauen geglaubt werde, und das sei in diesem Fall nie ein Thema gewesen. Dem Opfer blieb eine Aussage vor Gericht erspart, weil der Täter die Geschehnisse einräumte. Stattdessen wurde verlesen, was die junge Frau der Gerichtshilfe berichtete.

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Einerseits wolle sie dem Angeklagten keine Steine in den Weg legen, aber andererseits trage sie ständig die Konsequenzen seiner Grenzüberschreitung: Nun falle es ihr noch schwerer, Nähe zuzulassen, und sie habe Albträume. Ihr Freund habe sie zu der Anzeige ermutigt, nachdem er ihre Verhaltensänderung bemerkt habe.

Warum das Urteil so mild ausfällt

Keine Steine in den Weg legen wollte auch das Gericht: Nachdem die Verteidigung um ein mildes Urteil nach Jugendstrafrecht bat und sich das Jugendschöffengericht beriet, verkündete Franz Klaiber das Urteil: Der Angeklagte wird wegen eines minder schweren Falls nach Jugendstrafrecht verwarnt und muss neben den Kosten des Verfahrens auch ein Schmerzensgeld an das Opfer in Höhe von 1000 Euro bezahlen. „Der Tatbestand der Vergewaltigung ist erfüllt, aber wir sind uns alle einig: Das ist kein Normalfall.“

Natürlich sei nur zulässig, was beide Menschen in einer solchen Situation wollen. „Er hat diese Grenze überschritten und das auch gewusst.“ Dennoch müsse man die Gesamtsituation sehen: Der Angeklagte habe nicht nur aufgehört, sondern seinen Fehler bemerkt und bereut. „Er hat versucht, das in Ordnung zu bringen“, war der Richter überzeugt. Deshalb sei es ein minder schwerer Fall.

Heranwachsend oder nicht? Staatsanwaltschaft hat da eine andere Meinung

Im Vorfeld wurde diskutiert, ob der Angeklagte nach Jugendstrafrecht verurteilt werden soll: Er war mit zur Tatzeit 19 Jahren ein Heranwachsender. „Er ist erwachsen gewesen“, befand die Staatsanwältin angesichts des geradlinigen, völlig normalen Werdegangs des Angeklagten. Er sei noch stark in seine Familie eingebunden und führe kein eigenes, erwachsenes Leben, begründete der Richter eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht. „Es ist wichtig, dass wir deutlich zeigen: Das ist Unrecht und darf sich nicht wiederholen“, sagte Franz Klaiber. Deshalb der Schuldspruch. Doch zuvor war sich auch die Vertreterin der Staatsanwaltschaft schon sicher: Sie sei absolut überzeugt, dass der Angeklagte nicht mehr straffällig werde.

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Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.