Im Einzelhandel sind die Sorgen groß: Kurz vor den Weihnachtstagen verhagelte der Winterlockdown die wichtigen letzten Einkaufstage vor dem Fest, seitdem wird die Schließung immer weiter verlängert, aktuell bis zum 14. Februar – und schon vor dem harten Lockdown haben Einschränkungen im öffentlichen Leben nicht gerade für Kauflaune bei den Kunden gesorgt. Singener Händler schlagen Alarm.
Mehrere Millionen Euro Umsatz habe man verloren, sagt etwa Alexander Kupprion, Geschäftsführer von Sport Müller, zu den Auswirkungen der Einschränkungen im November und Dezember, kürzlich bei einer Videoveranstaltung der Singener Grünen-Gemeinderatsfraktion. Ulrike Haungs vom Modegeschäft Elise Buchegger berichtet dabei von 35 Prozent weniger Umsatz. Und Stefan Suszek, Geschäftsführer von Mode Zinser in Singen, spricht von einem Warenminus in Millionenhöhe. Es geht um echtes Geld.
Und die Händler stehen schon vor dem nächsten Problem: Nach der Wintersaison, in der vieles nicht verkauft wurde, kommt schon die Frühjahrsware, die ebenfalls von den Händlern auf eigenes Risiko finanziert werden muss. Wann die Geschäfte wieder öffnen dürfen, um diese Ware zu verkaufen, ist derzeit aber noch offen. Eine weitere Belastung: Diese Unklarheit hemme auch die Motivation der Mitarbeiter, so der Tenor bei den Händlern.

Vor allem die Politik bekommt in diesen Tagen einiges von Händlern zu hören. So ging es beispielsweise Dorothea Wehinger (Grüne), der Wahlkreisabgeordneten für Singen-Stockach im Landtag, und ihrem Parteifreund, dem Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel, bei der Videoveranstaltung. Stellvertretend sei hier noch einmal Suszek zitiert: „Die Politik hat sich entschieden, die Leute aus den Städten zu halten, um das Gesundheitswesen nicht zu überlasten. Das ist alles richtig. Dann erwarte ich aber auch angemessene Hilfen, damit man weiß, dass man überleben kann.“ Das würde auch die Akzeptanz der Schutzmaßnahmen verbessern, so Suszeks Einschätzung.
Hilfen hätten sechs Prozent des Umsatzausfalls ersetzt
Mit den Hilfsprogrammen kennt sich Reiner Wöhrstein aus. Auch er berichtet von großen Umsatzeinbußen, die sein Fotogeschäft aufgrund der Corona-bedingten Schließung erlitten habe. Mit seinem Steuerberater, der den Antrag stellen muss, habe er dann durchgerechnet, wie hoch die Unterstützung für sein Geschäft ausfallen dürfte: „So wie die Dezemberhilfen zuerst ausgestaltet waren, würde ich sechs Prozent meines Dezember-Umsatzausfalls erstattet bekommen.“ Denn es gebe zahlreiche Ausnahmen und Positionen, die für die Berechnung der Hilfe nicht anerkannt würden.
Inzwischen haben Bund und Länder sich geeinigt, dass es bei den Corona-Hilfen Verbesserungen für den Handel geben soll. Ein Punkt wird in einer Übersicht des Bundeswirtschaftministeriums so erklärt: „Einzelhändler sollen nicht auf den Kosten für Saisonware sitzenbleiben.“ Daher werde Saisonware des Winters als Kostenposition anerkannt. Die Abschreibungen darauf können demnach zu 100 Prozent als Fixkosten angesetzt werden, die wiederum über die Höhe der Hilfen entscheiden. „Da ist etwas passiert, was in die richtige Richtung geht“, lautet die Einschätzung von Gerd Springe, Vorstandsvorsitzender des Standortmarketingvereins Singen aktiv. Auch die Ausnahme von der Insolvenzantragspflicht wurde bis April verlängert.
Singener Handel macht sich bei Politik bemerkbar
Wenn die Hilfen nun großzügiger gestaltet werden, könnte das auch mit Aktivitäten in Singen zusammenhängen. So sei der Verein Singen aktiv im Grunde genommen permanent im Gespräch mit den Akteuren gewesen, sagt Geschäftsführerin Claudia Kessler-Franzen. Ein Teil dieser Arbeit sei auch über Oberbürgermeister Bernd Häusler gelaufen, der mit dem CDU-Wahlkreisabgeordneten im Bundestag, Andreas Jung, im Kontakt gewesen sei. Den Weg über den Abgeordneten halte sie für richtig, so Kessler-Franzen.

Und es könnte mit Wöhrstein zusammenhängen. Er gehört zum Werbebeirat des Einkaufszentrums Cano und ist seit langen Jahren CDU-Mitglied – ehemals für 20 Jahre als Fraktionssprecher im Gemeinderat seiner Heimatstadt Engen, inzwischen ohne Mandat, aber nach wie vor mit guten Kontakten. Er berichtet von der Lobbyarbeit, die er für den Handel betreibe. Zahllose E-Mails habe er mit Stefan Genth, dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE) gewechselt, der Bundestagsabgeordnete Andreas Jung habe riesiges Engagement gezeigt. Und auch der SPD-Kandidat für die Landtagswahl, Hans-Peter Storz, habe umgehend Kontakt zu Katja Mast, der stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, hergestellt.
Wie viele Geschäfte in Singen könnte es konkret treffen? Beim Verein Singen aktiv tut man sich schwer mit einer Schätzung. Es komme stark auf die Branche an, in der ein Unternehmen tätig ist, sagt Geschäftsführerin Kessler-Franzen. Der städtische Wirtschaftsförderer Oliver Rahn gibt zu bedenken, dass manche Unternehmen schon vor der Corona-Pandemie nicht gesund waren. Reiner Wöhrstein wird deutlicher: „Laut Hochrechnungen könnten durch Corona 50.000 Geschäfte in Deutschland in die Insolvenz gehen. Wenn man das auf Singen herunterbricht, bedeutet das: Etwa 35 Geschäfte müssten schließen, wenn die Hilfsprogramme so schwach bleiben.“ Und Immobilienberater Ralph Oberbillig gab bei der Grünen-Veranstaltung auch zu bedenken, dass eine große Insolvenzwelle drohe, wenn die Ausnahmeregelung ende. Zu dieser sagt er: „Das ist im Prinzip Insolvenzverschleppung.“
