Was macht eigentlich ein Burgen- und Festungsforscher?

Er versucht mithilfe verschiedener Forschungsmethoden, ein umfassendes Bild einer Burg oder Festung zu bekommen. Ich forsche zum Beispiel in Archiven und untersuche die urkundliche Überlieferung für die Bau- und Besitzgeschichte von Burgen. Mittels der Bauforschung ist es möglich, einzelne Bauphasen einer Burg zu identifizieren. Die Mittelalter-Archäologie bietet Möglichkeiten, durch Auswertung von Funden, zum Beispiel Gebrauchsgegenständen, Erkenntnisse über den Alltag auf Burgen zu gewinnen. Wichtig sind auch Gespräche mit Zeitzeugen, die ältere Zustände von Burgen kennen. Oft haben mich ältere Menschen zu Plätzen im Gelände gebracht, die durch ihre Formationen (Wall- und Grabenreste) oder durch verdächtige Flurnamen, Burgstall oder Schlossberg, Hinweise auf Burgstandorte geben. Außerdem schreibe ich Bücher und Aufsätze über meine Erkenntnisse und führe gerne Menschen zu Burgen und Schlössern.

Der Hohentwiel ist Wahrzeichen, Naturdenkmal und eine der bedeutendsten Festungsruine Süddeutschlands.
Der Hohentwiel ist Wahrzeichen, Naturdenkmal und eine der bedeutendsten Festungsruine Süddeutschlands. | Bild: FEZE

Wie hat sich die Forschung entwickelt?

Das Leben der Menschen in der Burg ist zunehmend in den Fokus auch meiner Forschungen gerückt. Insgesamt hat sich die Burgenforschung seit der Zeit ihrer Anfänge im späten 19. Jahrhundert wegentwickelt von primärer Betrachtung militärischer oder Dynastie-zentrierter Aspekte hin zu einem Gesamtbild, das auch die sozialen Lebensumstände und den Alltag der einfachen Bewohner berücksichtigt.

Welches Bild haben die meisten Menschen von Burgen?

Jeder meint heute zu wissen, was eine Burg ist oder war. Doch ist das von Medien verbreitete, auf zahllosen Mittelaltermärkten gepflegte und in Historienromanen geschilderte Bild von „der mittelalterlichen Burg“ meist alles andere als realistisch: Vieltürmige Burgen mit Zugbrücken, Verliesen und tiefen Brunnen, mächtig, „trutzig“ und oft umkämpft, verteidigt von einer großen Zahl edler Ritter und Recken. Das sind Klischees, die sich hartnäckig halten. Erst in den letzten Jahrzehnten konnte von der Burgenforschung ein realistischeres Bild der hoch- und spätmittelalterlichen Adelsburgen gewonnen werden. Dieses auch Laien fundiert und trotzdem verständlich zu vermitteln, ist eine wichtige Aufgabe für Burgenforscher.

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Wie sind Burgen denn in Wirklichkeit?

Die heutige Burgenforschung nennt den mehr oder weniger wehrhaften, repräsentativen Adelswohnsitz des 11. bis 15. Jahrhunderts Adelsburg (früher „Ritterburg“). Sie war Wohnsitz einer Adelsfamilie, deren Basis Grundbesitz und Lehen bildeten, Zentrum ihrer Verwaltung, besetzte das Umland optisch und zeigte, wer im Land herrscht. Adelsburgen waren, entgegen früherer Einschätzung keine oft umkämpften Wehrbauten, die ihr Umland militärisch beherrschten. Der Ritterstand zeigte seinen gesellschaftlichen Rang durch die Burg als Statussymbol. Bauplätze waren Berggipfel, im Flachland entstanden Wasserburgen. Prägnantes Herrschaftssymbol war der Wohnturm, der dominierende Hauptturm. Daneben gab es einen Wohnbau oder Palas. Eine Ringmauer oder die Gebäude verbindende Wehrmauern umschlossen die Burg. Gräben sicherten sie zusätzlich. Was eine Burg ist, definierten Rechtsbücher. In ihnen war festgelegt, wie tief zum Beispiel ein Graben, wie hoch eine Mauer sein durfte.

Burg Hagenwil im Thurgau ist ein Beispiel für eine kleinere Adelsburg.
Burg Hagenwil im Thurgau ist ein Beispiel für eine kleinere Adelsburg. | Bild: Michael Losse

Was ist das Besondere der Festungsruine Hohentwiel?

Hohentwiel ist eines der burgen- und festungskundlich sowie bau- und kunstgeschichtlich bedeutendsten Objekte in Süddeutschland – und weit darüber hinaus. Professor Bodo Ebhardt, 1899 der Gründer der Deutschen Burgenvereinigung, nannte Hohentwiel „berühmt durch Geschichte, Sage und Dichtung wie keine andere deutsche Burg“. Und Ottmar Friedrich Heinrich Schönhuth nannte Hohentwiel die „gewaltigste Burg des Schwabenlandes“. Über die historisch-burgenkundliche Wertigkeit hinaus ist der Hohentwiel ein sehr bedeutendes Naturdenkmal, das unbedingt des Schutzes bedarf.

Welchen Beitrag haben Sie zum Kulturschwerpunkt „50 Jahre Eingemeindung des Hohentwiel„ geleistet?

Ich war 2019 Angestellter der Stadt Singen im Rahmen des Ausstellungsprojektes „HTWL. Der Twiel im Blick“. Zu meinen Aufgaben gehörten Recherchen zu Ausstellungsexponaten in deutschen Museen und Archiven, wo ich viele bis dahin in Singen noch nicht bekannte Darstellungen der Burg und des Berges auffinden konnte. Zudem habe ich Manuskripte zu zwei Beiträgen für das in Arbeit befindliche neue Hohentwiel-Buch verfasst, das 2020 erscheinen soll. Geplante Vorträge und Führungen mussten leider wegen des Coronavirus verschoben werden.

Was verbinden die Hegauer Ihren Erfahrungen nach mit dem Hohentwiel?

Als ich 2015 meine Wohnung in Singen bezog, lief ein Mitarbeiter der Singener Möbel-Spedition um das Haus herum und stellte dann zufrieden fest: „Von hier aus sieht man den ‚Hontes‘, die Wohnung ist in Ordnung.“ Aus dieser Aussage wird deutlich, dass der „Singener Hausberg“ für Einheimische eine große Wertigkeit hat. Vielfach wurde und wird er als Wahrzeichen Singens und des Hegaus wahrgenommen. Der Hohentwiel mit dem Burgfest und dem Hohentwiel-Festival ist für Singen und die Region ein wichtiges identitäts- und gemeinschaftsstiftendes Element. Diese Feste bieten Möglichkeiten der Begegnung und des Austauschs, fördern ein „Wir“-Gefühl, und nur Gesellschaften, die ein solches haben, entwickele ein gemeinsame Verantwortung für Umwelt, Natur, Kultur und füreinander.

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Wie wird das Wahrzeichen Hohentwiel im Alltag sichtbar?

Das habe ich in meinen Beitrag zum Singener Jahrbuch 2019 deutlich gemacht. Schaut man in regionale Zeitschriften, Magazine und Kataloge, so fällt auf, dass der Hohentwiel allgegenwärtig ist. Sei es als Wandbild an Hausfassaden, als Namensbestandteil von Geschäften und Firmen, als Gasthaus-Name oder namensgebend für die Hohentwiel-Gewerbeschule Singen. Als Logo verwenden zum Beispiel die Stadt Singen, die Stadthalle Singen, das Wirtschaftsforum Singen, die Bürgerstiftung Singen und – selbstverständlich – der Verein Freunde des Hohentwiel oder auch der Förderverein Stadtpark Singen ein stilisiertes Bild des Hausberges .

Eine Beleuchtung dieses Wahrzeichens ist immer mal wieder Thema in der Stadt. Was sagten die von Ihnen Befragten dazu?

Von den rund 45 von mir befragten Personen sprachen sich lediglich drei für eine Beleuchtung des Hohentwiel aus. Deutlich mehr wünschten sich eine „Freistellung“ der Ruine, das heißt Abholzungen, doch war auch dies nur eine Minderheit von etwa 30 Prozent.

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Was verbinden Sie persönlich, der Sie in Singen wohnen mit dem Hohentwiel?

Ich habe von unserer Wohnung aus den Hohentwiel „im Blick“ – jeden Morgen, wenn ich die Läden öffne. Er ist für mich ein bedeutendes Kultur-, Geschichts- und Naturdenkmal; darüber hinaus ist er eine Herausforderung für den Burgenforscher , mehr über die Ruine und die Menschen die in diesem „Gemäuer“ herauszufinden. Ich finde es immer wieder spannend, mich mit Menschen über ihre Eindrücke „vom Twiel“ zu unterhalten. Ich treffe Menschen aus Singen, die sich intensiv mit der Geschichte „ihres Hontes“ beschäftigt haben, um diese ihren Besuchern präsentieren zu können. Gerne erinnere ich mich als häufiger Konzertgänger und Heavy-Metal-Begeisterter an viele Bands, die ich im Rahmen des Hohentwiel-Festivals erleben und vorab über die Festung führen durfte.

Die Festungsruine ist seit einem Jahr wegen Steinschlaggefahr geschlossen. Was hat das für Auswirkungen?

Abgesehen von wirtschaftlichen Einbußen für die Verwaltung der Staatlichen Schlösser, die lokale Gastronomie – und wohl auch den Handel (Ausflug, der Besichtigung und Einkäufe verbindet) – ist das „Wir“-Gefühl der Region beeinträchtigt. Viele Menschen klagten darüber, dass ihre Feste nicht mehr stattfinden können, einige gehen sogar davon aus, das Hohentwiel-Festival würde nie wieder veranstaltet.

Wie hat sich Ihre Arbeit in der Coronakrise verändert?

Die tägliche Arbeit nur wenig: Ich sitze am Schreibtisch und arbeite mein Material auf, das ich im Rahmen von Objektbegehungen, Bauforschung, durch Befragung von Zeitzeugen oder aus Archiven gewonnen habe. Zwar sind viele Burgen und Schlösser als offizielle Besichtigungsobjekte zur Zeit geschlossen, doch kann ich Arbeiten an Ruinen im Gelände allein ausführen. Die „Corona-Krise“ bietet außerdem Möglichkeiten, Menschen, die sich in der Zeit der Beschränkungen beschäftigen wollen, an interessante Themen heranzuführen, so auch an die Burgenforschung und die Geschichte ihrer Heimat und Umgebung.