Die Vorwürfe wiegen schwer und haben im späten Winter für überregionales Aufsehen gesorgt: Vier Polizisten wurden beschuldigt, einen elfjährigen Jungen aus der Minderheit der Sinti und Roma in Handschellen mit zum Singener Polizeirevier genommen zu haben. Unter anderem seien bei der vorangehenden Personenkontrolle antiziganistische Sprüche gefallen, also solche, die gegen diese Minderheit gerichtet seien, die Eltern seien nicht informiert worden und am Ende sei der Junge alleine nach Hause geschickt worden. Diese Darstellung der Ereignisse vom 6. Februar 2021 hat kurz vor der Fasnacht der baden-württembergische Landesverband des Verbands Deutscher Sinti und Roma (VDSR) per Pressemitteilung verbreitet. Die Polizei sah sich Rassismusvorwürfen gegenüber. Kurz nach dem Vorfall hat das Polizeipräsidium Konstanz bestätigt, dass es den Vorfall gab und dass Handschellen zum Einsatz kamen.
Seitdem wurden der Elfjährige und andere Kinder, die bei dem Vorfall dabei waren, vernommen. Die Kriminalpolizei hat ermittelt – und die Staatsanwaltschaft Konstanz hat nun entschieden, wie die Vorwürfe juristisch aufgearbeitet werden sollen. Andreas Mathy, Staatsanwalt und Sprecher der Konstanzer Staatsanwaltschaft, bestätigt entsprechende Informationen des VDSR. Die Behörde habe gegen zwei der beschuldigten Polizisten Strafbefehle beantragt, die das Amtsgericht Singen auch erlassen habe, so Mathy. Die Staatsanwaltschaft gehe in beiden Fällen von Freiheitsberaubung und Nötigung aus. Allerdings haben laut dem Staatsanwalt die beiden betroffenen Beamten Widerspruch dagegen eingelegt. Es wird also zu einer öffentlichen Hauptverhandlung vor dem Singener Amtsgericht kommen – zumindest wenn die Einsprüche nicht zurückgenommen werden, worauf laut Mathy allerdings nichts hindeutet. Das Gericht dürfte nun klären, ob die Beamten angemessen und korrekt gehandelt haben – und womöglich auch, was überhaupt geschehen war. Im Umfeld der Hochhäuser Romulus und Remus in der Singener Südstadt, wo sich der Vorfall zutrug, war im Februar nämlich auch zu hören, dass die betreffende Gruppe von Kindern dort schon mehrfach Unruhe gestiftet habe. Bei dem Vorfall im Februar habe eines der Kinder frech reagiert und mit den Polizisten herumdiskutiert.
Kein rassistisches Motiv gefunden
Das Verfahren gegen die beiden anderen beschuldigten Polizisten wurde laut Mathy gegen Auflagen eingestellt: „In beiden Fällen war die Auflage eine Geldzahlung.“ Den Weg über den Strafbefehl habe die Staatsanwaltschaft bei den beiden Polizisten gewählt, die aktiv gehandelt hätten, erklärt Mathy. Einstellungen habe es bei den beiden Polizisten gegeben, die dabei gestanden und nichts getan hätten, obwohl sie hätten eingreifen müssen. Rassistische oder antiziganistische, also kurz gesagt gegen die Gruppe der Sinti und Roma gerichtete, Motive hätten die Ermittlungen nicht ergeben, erklärt Andreas Mathy auf Anfrage auch noch. Wie die Verfahren ausgehen könnten, kann der Staatsanwalt nicht vorwegnehmen. Er lässt aber durchblicken, dass die von der Staatsanwaltschaft geforderten Sanktionen eher im unteren Bereich angesiedelt gewesen seien (siehe Text unten).

Mehmet Daimagüler, der die Familie des Elfjährigen in der Sache vertritt, zeigt sich auf Anfrage zufrieden darüber, dass gegen die beiden Strafbefehle Widerspruch eingelegt wurde. Denn nur dadurch kommt es zur öffentlichen Gerichtsverhandlung. „Dieses Verfahren lässt sich nicht per Strafbefehl regeln, sondern muss öffentlich aufgearbeitet werden“, so der Anwalt. Grundsätzlich gehe er nach der Entscheidung der Staatsanwaltschaft weiterhin davon aus, dass alle vier Beamten, die er angezeigt habe, strafbares Verhalten gezeigt hätten. Er gibt zu bedenken, dass manche Beamte durch ihr Verhalten den Ruf der ganzen Polizei beschädigen könnten. Und viele Geschichten über das Kind hätten sich als Gerüchte und Lügen entpuppt. Ob er weitere rechtliche Schritte einleiten werde, dazu könne er indes noch nichts sagen, so Daimagüler. Dafür müsse er zunächst einmal beispielsweise wissen, aus welchem Grund zwei der Verfahren eingestellt wurden. Akteneinsicht habe er beantragt, so der Anwalt.
Und wie geht es der Familie des Elfjährigen? Die Gefühlslage seiner Mandanten wolle er nicht unabgesprochen mit der Öffentlichkeit teilen, sagt Daimagüler am Telefon. Generell sagt er aber: „Wenn man zur Gruppe der Sinti und Roma gehört, ist man schon froh, wenn man nicht selber auf der Anklagebank landet. So läuft das nämlich regelmäßig ab.“ Daniel Strauß, Vorstandsvorsitzender des baden-württembergischen Landesverbands des VDSR, wird in einer Pressemeldung folgendermaßen zitiert: „Alle vier Beamten haben demnach rechtswidrig gehandelt. Der Landesverband begrüßt, dass die Staatsanwaltschaft dies festgestellt hat. Der Vorfall hat großes öffentliches Interesse und Empörung ausgelöst. Wir wünschen uns und erwarten auch, dass es zu einer öffentlichen Verhandlung kommt.“