Es ist eigentlich ein Jubiläum. Und gleichzeitig doch wieder nicht. Vor 150 Jahren ging die Bahnlinie Radolfzell-Stockach in Betrieb. Eine Feier gab es dieses Jahr aber nicht. Denn die 150 sind nur rechnerisch im Kalender, aber nicht beim Zugbetrieb erfüllt: Am 25. September 1982 verließ der damals letzte Zug Stockach und es kehrte erst wieder im September 1996 mit dem Seehäsle eine Verbindung zurück.

"Die Eisenbahnverbindung von Stockach nach Radolfzell war zur damaligen Zeit ein epochales Ereignis", sagt Bürgermeister Rainer Stolz zum historischen Meilenstein im Jahr 1867. Am 20. Juli vor 150 Jahren fuhr die erste dampflok in Stockach ein und band die Stadt vier Mal täglich an Radolfzell an. Böllerschüsse feierten dieses Ereignis und der erste Zug wurde mit einer großen Feier in Stockach begrüßt. Die Zeitung Nellenburger Bote beschrieb die Eisenbahn als "Trägerin und Förderin unseres industriellen und volkswirtschaftlichen Lebens". Stolz fasst zusammen: "Stockach wurde an das nationale Eisenbahnnetz angeschlossen und erlangte damit auch im übertragenen Sinne Verbindungen ins Deutsche Reich. Auch die Wirtschaft vor Ort konnte davon profitieren."

Die Zuglinie hatte allerdings Auswirkungen auf andere Verbindungen. So beschrieb 1937 ein rückblickender Zeitungsartikel zum damals 70-jährigen Bestehen der Bahnlinie: "Die Inbetriebnahme der Eisenbahn Radolfzell-Stockach brachte bedeutende Änderungen in der Führung der Personenpostkurse durch Pferdefuhrwerke." Die Kutsche zwischen Stockach und Radolfzell, Stockach und Ludwigshafen sowie Stockach und Engen wurden als entbehrlich eingestuft und der "Postomnisbuskurs" fuhr anders. Gleichzeitig gab es aber neue Postkutschenkurse von Stockach nach Überlingen, zwischen Steißlingen und Radolfzell sowie Stockach und Engen. Fahrzeiten anderer Kurse wurden angeglichen. Die Festschrift zum 700-jährigen Stadtjubiläum beschreibt diese Entwicklung als "Rückgang der Bedeutung Stockachs als ehedem wichtigste postalische Zwischenstation in Baden".

Das Stockacher Stadtarchiv hat die ältesten Unterlagen zum Thema Eisenbahn aus dem Jahr 1856. Es gibt Schriftverkehr über mehrere Jahrzehnte zu verschiedenen angestrebten und teils umgesetzten Bahnlinien im damaligen Süddeutschland, die zum Beispiel nach Frankreich oder in die Schweiz führen. Es habe in vielen Orten Komitees gegeben, die sich für Bahnverbindungen eingesetzt haben, erklärt Johannes Waldschütz, Leiter des Stadtmuseums und -archivs. Der Bau von Eisenbahnlinien sei hochpolitisch gewesen. In den 1860er-Jahren wurde es für Radolfzell-Stockach konkret: 1862 gab das Bürgermeisteramt den Beginn von Vorarbeiten bekannt und im Schriftverkehr mit der Großherzoglichen Eisenbahnkasse waren in den Folgejahren Grundstücke und Geld die Themen.

Die Kasse zahlte zum Beispiel im Jahr 1865 Anwohner in Stockach-Rißtorf aus. Zwei Jahre später ging die Linie zwischen Radolfzell und Stockach dann in Betrieb und bis 1873 entstand auch noch eine Linie Radolfzell-Stockach-Meßkirch-Sigmaringen, die die bestehende erweiterte.

Und heute? Das Seehäsle fährt morgens stündlich, mittags halbstündlich und abends wieder im Stundentakt. Rückblickend sagt Rainer Stolz: "Wir freuen uns sehr, dass aufgrund der Nahverkehrspolitik des Landkreises Konstanz die Reaktivierung der Bahnstrecke Stockach-Radolfzell wieder gelungen ist."

 

Erste Fahrpläne

Ab dem Jahr 1867 gab es zunächst täglich vier Zugverbindungen zwischen Stockach und Radolfzell. Unterwegshalte waren in Nenzingen, Wahlwies und Stahringen. In Stockach waren die Abfahrtszeiten 5.10 Uhr, 8.25 Uhr, 14.15 Uhr und 18.43 Uhr und in Radolfzell um 6.55 Uhr, 10.06 Uhr, 14.16 Uhr und 20.40 Uhr. Die Fahrzeiten lagen zwischen 35 und 45 Minuten. 70 Jahre später, also im Jahr 1937, waren es zum Beispiel sieben tägliche Verbindungen, wie ein Geburtstagsartikel aufführte. Der Zug trug 1937 laut des Artikels offenbar den Namen Seegold und benötigte 25 Minuten für die einfache Strecke. Heute beim Seehäsle sind es knapp 20 Minuten. (löf)