Es ist ein Fall von vielen verpassten Chancen, der vor dem Schöffengericht Konstanz gegen einen in Stockach lebenden jungen Mann verhandelt wurde. Denn immer wenn der direkt aus der Untersuchungshaft in Hand- und Fußfesseln vorgeführte Angeklagte die Möglichkeit hatte, sein Leben in bessere Bahnen zu lenken, nutzte der 28-Jährige sie nicht – und bleibt daher weiterhin im Gefängnis.

Angeklagt war er wegen insgesamt vier Straftaten, die er im Raum Stockach und Singen in diesem Jahr begangenen hat, wie er selbst vor Gericht auch vollumfänglich eingestand. So brach er im April mit einem Teppichmesser bewaffnet in ein privates Wohnhaus in Stockach ein. Erbeuteten konnte er dabei nichts von Wert, da die Bewohner ihn überraschten und er flüchten musste.

Einbruch mit Messer in Wohnhaus

Der Schaden ist dennoch groß, wie eine Zeugin vor Gericht aussagte: Denn der Angeklagte weckte ihren bettlägerigen Vater, der kurz zuvor seine Frau verloren und einen Schlaganfall erlitten hatte, nachts auf. „Mein Vater hat geschrien wie am Spieß. Er konnte danach tagelange nicht schlafen. Er ist bis heute traumatisiert davon“, berichtete sie. Auch sie selbst habe den Vorfall „noch nicht verdaut“ und bei jedem Knacken im Haus Angst, es könnte wieder etwas sein.

Zwei Monate später versuchte Angeklagte, in einem Singenger Supermarkt Lebensmittel zu stehlen – auch dies scheiterte.

Mitte Juli geriet er dann gleich mehrfach in seiner Asylunterkunft in Stockach mit anderen aneinander. Zunächst soll er laut Anklage mit einer Mitbewohnerin in Streit geraten sein, die dem hungrigen Angeklagten zwar Essen anbot – allerdings nicht das, was er haben wollte. Einen Mann, der sich einmischte, soll er nach einem kurzen Gerangel mit einem herumliegenden Küchenmesser attackiert und dessen T-Shirt dabei zerschnitten haben.

Angriff auf Mitarbeiter von Sicherheitsfirma

Nur zwei Tage später geriet er mit zwei Sicherheits-Mitarbeitern vor der Unterkunft in Streit, die dort in ihrem Auto warteten. Ein Video der Tat zeigt, wie der Angeklagte höchst aggressiv mehrfach gegen das Auto tritt, Lichter und Reifen zerstört und die beiden Männer beleidigt. Einer der beiden Männer wird mit einem Messer an der Hand verletzt. Er habe zudem gedroht, die beiden umzubringen, wenn sie das Auto verlassen sollten. „Ich arbeite bereits seit vier Jahren als Security, aber da hatte ich wirklich Angst“, sagte einer der Geschädigten aus.

Die Staatsanwaltschaft warf dem 28-Jährigen daher versuchten schweren Wohnungseinbruchsdiebstahl, Diebstahl, Sachbeschädigung sowie eine gefährliche und eine versuchte gefährliche Körperverletzung vor. Der Angeklagte gestand vor Gericht zwar all seine Taten grundsätzlich ein. Die Chance, ein wirkliches Motiv zu nennen oder Reue zu zeigen, nutzte er jedoch nicht. Über seinen Einbruch sagte er, es gebe „keinen Grund, warum ich das gemacht habe“. Auch bei den Körperverletzungen blieb das konkrete Motiv unklar.

JVA-Berichte beschreiben Angeklagten als äußerst aggressiv

Der 23-jährige Geschädigten, den der Angeklagte mit einem Messer attackiert hatte, bezeichnete diesen als sonst ruhigen Menschen. „Er war an dem Tag nicht normal, er hat geschrien und war nervös“, beschrieb er vor Gericht. Die Sicherheitskräfte beschrieben den Angeklagten ebenfalls als sehr aufbrausend. Auch Berichte aus der JVA zeichnen das Bild eines äußerst aggressiven und auffälligen Mannes. Er sei „völlig verstockt und besonders aggressiv“, habe mehrfach randaliert und herumgeschrien.

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Zweimal sei er in der JVA in einen sogenannten besonders gesicherten Haftraum gekommen wegen Fremdgefährdung. Das Gefängnis beschrieb ihn als „uneinsichtig und besonders gewaltbereit“. Eine psychiatrische Diagnose gebe es aber nicht, da der Angeklagte bislang alle Gespräche verweigerte.

Angeklagter lehnt Gespräche mit Psychiater ab

Auch Roman Knorr, stellvertretender Chefarzt am ZfP und Gutachter in der Verhandlung, wollte sich ohne weitere Diagnosegespräche kein Urteil zur psychischen Gesundheit des Mannes erlauben. Eine Aussage über eine Persönlichkeitsstörung könne er allein aus den Beobachtungen in der Verhandlungen nicht treffen. Einen psychotischen Zustand, eine verminderte Intelligenz oder eine schwere Depression könne er aber ausschließen, weshalb der Angeklagte straffähig sei.

„Irgendein Problem bei der Impulskontrolle ist aber offensichtlich“, sagte er. Weitere Gespräche mit dem Psychologen, der eine „schwere Kindheit“ vermutete, verweigerte der Angeklagte jedoch selbst auf die direkte Nachfrage, ob er lieber ins Gefängnis oder in psychiatrische Behandlung möchte. Eine weitere vertane Chance.

Unterlagen deuten auf heftige Flucht hin

Auch zu seiner Lebensgeschichte, die Richterin Willenberg laut eigener Aussage wohl strafmildernd berücksichtigt hätte, wollte er sich nicht wirklich äußern. So lebte der aus Palästina stammende Mann dort laut eigener Aussage ohne Schulabschluss auf der Straße. Er habe sich mit Diebstählen und anderen kriminellen Aktivitäten über Wasser gehalten. Anschließend erlebte er eine, wie aus Unterlagen hervorgeht, heftige Fluchtgeschichte über Ägypten und Griechenland, zu der er sich aber nicht weiter äußern wollte.

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Stattdessen zog er immer wieder seinen Pullover über das Gesicht, verweigerte eine Antwort und brachte die ihn bewachenden Justizbeamten Alarmbereitschaft, als er an seinen Fußfesseln herumspielte. Auch seine Ankunft in Deutschland im Sommer 2022 nutzte er nicht als Chance auf ein neues, besseres Leben, wie Richterin Heike Willenberg kritisierte. Denn bereits in den ersten Monaten sammelte er laut Bundeszentralregister drei Vorstrafen wegen Diebstahls.

Richterin kritisiert Verhalten des Angeklagten

Von „vielen verpassten Chancen“, sprach Richterin Willenberg daher in ihrer Urteilsbegründung. Sie sagte: „Sie haben eine Chance bekommen, hier neu anzufangen. Sie haben heute die Chance gehabt, hier auszusagen und Hilfe zu erhalten. Wir haben Ihnen mehrfach die Hand gereicht, aber das wollen Sie offensichtlich nicht. Sie machen weiter und immer weiter“

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Im Gegenteil: Trotz Geständnis sei er mit einem respektlosen Verhalten aufgefallen. „Das ist schade und nicht tolerierbar. So etwas kann und will die Gesellschaft nicht akzeptieren“, sagte Willenberg. Sie schloss sich den Forderungen der Staatsanwaltschaft an und verurteilte den Angeklagten für alle Vorwürfe zu insgesamt einem Jahr und neun Monaten Haft – ohne Bewährung.