Die Integration in einem fremden Land ist schwierig. Und doch kann sie gelingen. Beides zeigt sich an Avicenne Ruhanama. Der 32-Jährige kam im vergangenen Sommer im Rahmen eines Ausbildungsprogramms aus dem afrikanischen Burundi nach Stockach. Seither arbeitet er im hiesigen Krankenhaus, lebt sich in der Stadt ein – und erzählt nun gemeinsam mit seinen Paten, Alt-Bürgermeister Rainer Stolz und dessen Lebensgefährtin Ursina Vaterlaus, wie es dazu kam und wie die Integration in seinen ersten sieben Monaten verlief.
Seit August ist Avicenne Ruhanama nun schon in Stockach. Er wirkt einerseits zurückhaltend und ruhig, zugleich jedoch auch sehr offen, höflich und freundlich. Er spricht leise, aber sehr gutes Deutsch. „Wir haben Glück mit ihm, er geht auf die Leute zu und spricht sie an, in Stockach kennt man ihn“, beschreibt Rainer Stolz.
Enge Beziehung zu Deutschland seit der Kindheit
Dabei hätte er es beispielsweise in Frankreich deutlich leichter haben können, in Burundi spricht man auch Französisch. „Ich wollte aber unbedingt nach Deutschland, weil ich schon eine lange Verbindung zu dem Land habe“, erzählt Ruhanama. Sein Nachbar in seinem Heimatort Gitega sei ein Priester aus Stuttgart gewesen. „Das hat mein Interesse geweckt und ich wollte mehr über Deutschland erfahren“, fügt er hinzu.

Als er in Bujumbura Medizin studierte, belegte er nebenbei Deutschkurse und konsumierte deutsche Nachrichten, um sich zu verbessern. „Ich hatte das Ziel, meine Spezialisierung als Arzt in Deutschland zu machen“, erklärt er. Zudem gründete er zusammen mit anderen Medizinstudenten an der Universität von Burundi den „Klub der Medizin und Deutsch in Burundi“, der mit Unterstützung der deutschen Botschaft, des Goethe-Instituts und der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Veranstaltungen organisierte.
Als er die Projektausschreibung im Pflegebereich sah, die sich auf die Partnerschaft zwischen Stockach und Burundi bezog, habe er nicht gezögert, sich sofort darum zu bewerben – obwohl er als Arzt dafür bereits überqualifiziert war.
Sein Ziel ist die Arzt-Approbation
Seither macht Ruhanama zwei Dinge gleichzeitig: Zum einen lernt er in seiner Freizeit für seine Fachsprachenprüfung Deutsch, um seine Approbation hier zu erhalten und seine Spezialisierung machen zu können. Zum anderen absolviert er parallel seine Ausbildung. „Das ist sinnvoll, weil er so schon das deutsche Gesundheitswesen kennenlernt, bis er als Arzt arbeiten darf“, so Stolz.

Zunächst war Ruhanama in der Inneren Medizin, auf die er sich später spezialisieren will. Inzwischen ist er noch bis Juni in der Chirurgie. Ambulanz, Pädiatrie, Altenpflege und Psychiatrie sollen noch folgen, zum Teil auch in Singen. „Es ist sehr interessant für mich, das deutsche Gesundheitssystem kennenzulernen. Ich bin sehr zufrieden“, sagt er.
Fachlich habe er bislang keinerlei Schwierigkeiten. Die Diagnosen und Fachbegriffe habe er sofort verstanden, da sie meistens auf Latein sind. Auch die Kommunikation mit den Kollegen laufe gut. Nur der Dialekt mancher Patienten stelle ihn ab und an vor Rätsel. „Aber ich bemühe mich, das zu verbessern“, sagt er.
So läuft die Integration in Stockach
Im Privatleben war die Eingewöhnung hingegen nicht ganz so einfach. Ruhanama sagt zwar: „Ich bin schon gut integriert. Es war natürlich nicht einfach, aber Schritt für Schritt gewöhne ich mich an das Leben in Deutschland.“ Doch es gab einige Hürden und Herausforderungen: das fremde Essen, das Wetter, Einkaufen im Supermarkt, eine andere Form des Soziallebens und das Verhalten in einer freien Demokratie.
„Der deutsche Winter war für mich ein neues Erlebnis. Gott sei Dank ist er schon fast vorbei“, sagt Ruhanama lachend, der hier zum ersten Mal Schnee gesehen hat. Ein Kulturschock sei das gewesen, er habe keine warmen Winterjacken gehabt. In Burundi liegen die Temperaturen aktuell bei 25 Grad Celsius. „Aber ich habe schon gelernt, auf das Handywetter zu schauen, bevor ich aus dem Haus gehe“, scherzt er.
Supermarkteinkauf wird zur Herausforderung
Auch das Essen sei eine große Umstellung gewesen. In Burundi gab es vor allem Reis, Bohnen und Fisch, hingegen kein rotes Fleisch. Im deutschen Supermarkt habe er oft vor dem Regal gestanden ohne zu wissen, wie man welche Produkte verwenden kann. Stolz verdeutlicht: „Wir waren einmal mit ihm in einem afrikanischen Laden in Friedrichshafen. Er ist sofort losgestürmt, ich hatte keine Ahnung. Da habe ich erst verstanden, wie es ihm in deutschen Supermärkten geht.“
Menschen kennenzulernen sei auch schwieriger als in Burundi. Dort finde das Leben auf der Straße statt, ständig habe man Menschen um sich. „Hier gehen die Leute nach der Arbeit in ihre Wohnung, das war neu für mich“, berichtet Ruhanama. Vereine und Veranstaltungen seien daher wichtig. „Vor allem die Kirche ist schon wie eine Familie für mich“, so der gläubige Katholik, der in Zukunft nach Abschluss seiner Spezialisierung wieder zurück nach Burundi gehen möchte.
Sprachkenntnisse sind erst der Anfang
Rainer Stolz hat aus dem Pilotprojekt schon seine Lehren gezogen. Die wichtigste Erkenntnis: Es brauche eine Patenschaft vor Ort, wie er und Vaterlaus sie übernehmen. „Man glaubt gemeinhin, wenn jemand fließend Deutsch spricht, dann braucht er niemanden. Aber der gravierende kulturelle Unterschied wird nicht berücksichtigt“, stellt Stolz klar.
Es gehe darum, ankommende Menschen „sanft in die Gesellschaft zu begleiten“ und Mut zu machen. „So etwas muss aktiv im Alltag geschehen: Man isst zusammen, man lebt zusammen, man geht zusammen auf Feste. Und das muss man auch wollen. Wenn man es nicht will, soll man es bleiben lassen“, bekräftigt er.
Schließlich, so berichtet Vaterlaus, dauere es einige Jahre, bis man in einem neuen Land Sicherheit im Alltag hat. „Erst dann hat man auch das Gefühl, man gehört richtig in das Land. Integration bedeutet nicht, dass man weiß, was in welche Mülltonne kommt. Das geht nur über die Beziehungsebene“, sagt sie.
Und Stolz fügt hinzu: „Zu glauben, Integration sei nach zwei Monaten erledigt, ist naiv und zeugt von wenig Wissen. Da gibt es auch noch Schwierigkeiten im Bewusstsein der Öffentlichkeit, was Integration bedeutet und erfordert.“