Ariel Wagner arbeitet als pharmazeutisch-technischer Assistent in der See-Apotheke in Bodman-Ludwigshafen. Schon lange ärgert er sich über die Darstellung der Vor-Ort-Apotheken in der Öffentlichkeit und die Behandlung durch die Politik. Gemeinsam mit fünf Mitstreitern aus dem süddeutschen Raum entwickelte er die Kampagne „Mission: Apotheke vor Ort“, die in Videobeiträgen auf verschiedenen Kanälen der sozialen Medien auf das Apotheken-Sterben aufmerksam macht und mögliche Konsequenzen aufzeigt.

Im September erhielt Wagner stellvertretend für alle Mitstreiter in Berlin den Vision A Award in Gold in der Kategorie „Engagement für die Apotheke“. Dem SÜDKURIER erzählte er, was hinter der Kampagne steckt und wie es weitergehen soll.

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Jeden Tag schließen ein bis zwei Apotheken

Ariel Wagner ist es wichtig, die Öffentlichkeit über die tatsächliche Situation der Apotheken zu informieren, Einblicke in deren Alltag zu geben, die Herausforderungen darzustellen und die vorherrschende Wahrnehmung zu korrigieren. Er sagt, dass sich die Lage der Apotheken unter der aktuellen Bundesregierung drastisch verschlechtert habe. Vor allem die vorgeschlagenen Reformen würden dazu beitragen, dass sich die Lage der Apotheken weiter verschlechtert, so Wagner weiter.

Ariel Wagner, Initiator der Mission: Apotheke vor Ort, Pinelopi Argiti, Inhaberin der See-Apotheke Bodman-Ludwigshafen und Tobias ...
Ariel Wagner, Initiator der Mission: Apotheke vor Ort, Pinelopi Argiti, Inhaberin der See-Apotheke Bodman-Ludwigshafen und Tobias Schmidt, Projektmanager der Mission: Apotheke vor Ort (von links) bei der Preisverleihung in Berlin. Bild: Tobias Schmidt | Bild: El Pato Medien Berlin

Die Konsequenzen sind dramatisch: Laut Wagner schließen in Deutschland täglich ein bis zwei Apotheken. „2010 gab es 21.000 Apotheken, heute sind es noch rund 17.200“, teilt er mit. Das bestätigt auch der deutsche Apothekenverband. „Die wohnortnahe Arzneimittelversorgung der Patientinnen und Patienten gerät durch wirtschaftlichen Druck auf die Apotheken immer mehr in Gefahr, sodass die Apothekenzahl inzwischen auch im Europavergleich immer schneller sinkt“, schreibt der Verband auf seiner Internetseite und spricht in diesem Zusammenhang von einem historischen Tiefstand. „Weniger Apotheken gibt es seit 44 Jahren nicht mehr“, so der Verband.

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Viele Menschen würden nicht begreifen, was es heißt, wenn die Vor-Ort-Versorgung wegfällt, macht Ariel Wagner deutlich. „Die Apotheke ist da, wenn ich etwas schnell brauche oder etwas extra für mich angefertigt wird.“ Dass online bestellte Medikamente schneller greifbar sind, widerlegt Ariel Wagner: „Die meisten Apotheken vor Ort werden bis zu viermal täglich beliefert. Nach wenigen Stunden kann ein Medikament schon bei dem Patienten zuhause sein.“ Der Botendienst sei Sache des Apothekenbetreibers und bei Rezeptbelieferung verschreibungspflichtiger Medikamente für den Patienten meist kostenfrei.

Lokale Apotheken bieten Botendienste

„Der Botendienst unterscheidet sich dabei zentral vom Versandhandel, den etwa 2500 deutsche Vor-Ort-Apotheken ebenfalls anbieten, denn er wird von Mitarbeitern der jeweiligen Apotheke und unter Einhaltung der wichtigen, apothekenrechtlichen Regelungen ausgeführt, während der Versandhandel sich nur um die Regelungen des Onlinehandels kümmern muss“, berichtet Wagner.

Die Bedeutung sei dem Verbraucher oft nicht bewusst, könne ihm aber nicht egal sein. Wagner verdeutlicht: „In einem LKW erhitzt sich die Luft im Sommer bis auf 60 Grad. Das wäre in der Vor-Ort-Apotheke niemals erlaubt. Wir müssen ungekühlte Medikamente zwischen acht und bis 25 Grad lagern und liefern.“ Hier sei der Gesetzgeber in seiner Daseinsfürsorge längstens gefordert, für gleiche Lieferbedingungen zu sorgen. Zahlreiche Online-Apotheken hätten ihre Lager im Ausland, wo anderes Recht und andere Verantwortung gelten. Individuelle Arzneien würden dort nicht angefertigt und Notdienst biete auch nur die lokale Apotheke. Wagner sagt: „Ich verstehe jeden Verbraucher, der versucht, günstig einzukaufen, aber es geht um die Versorgung mit besonderen Waren, die auch mal gefährlich werden können.“

Verschreibungspflichtige Arzneimittel, die rund 80 Prozent des Umsatzes einer durchschnittlichen Apotheke ausmachen, kosten darüber hinaus deutschlandweit gleich viel. „Wenn jemand Rabatt darauf gibt, ist das nach deutschem Recht verboten“, so Wagner.

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Nahversorgung gefährdet

Viele Apotheker sind laut Ariel Wagner eigentlich schon im Rentenalter, machen aber weiter, weil sie keine Nachfolger finden, die Versorgung jedoch aufrecht halten wollen. Die wirtschaftliche Situation sei sehr unsicher, man müsse viel Geld mitbringen, um teure Lager zu finanzieren und blicke in eine sehr risikobehaftete Zukunft. Seit Jahren habe es für Apotheker und deren Angestellte keine Honoraranpassungen gegeben. Ariel Wagner erläutert weiter: „Nach Abzug des Kassenabschlags bleibt der Apotheke ein Honorar von 6,35 Euro pro Packung und eine kleine, dreiprozentige Marge bei jeder Packung. Wenn das Medikament aber beispielsweise 5000 Euro kostet, ist es für uns nicht mehr auskömmlich. Die Umsätze steigen, die Einnahmen jedoch nicht. Da wir pro Packung den gleichen Betrag kriegen, ist die einzige Frage: Steigt die Packungsanzahl?“ Diese sei aber seit Jahren stabil.

Branche vor dem Abgrund

Nach einem virtuellen Informationstreffen im Juni dieses Jahres mit fast 1000 Menschen hatten sich innerhalb von sechs Tagen 350 Apotheker mit 500 Betrieben sowie Institutionen, Vereine und Einzelpersonen entschlossen, die „Mission: Apotheke vor Ort“ finanziell zu unterstützen. Nachdem anfänglich alles über die See-Apotheke abgewickelt wurde, suche man nun nach einer neuen Struktur, mit der es dann im nächsten Jahr weitergeht. Angedacht ist die Gründung eines Vereins oder einer Stiftung. Arial Wagner sagt: „Wir hoffen sehr, dass wir eine Lösung finden. Die Gesundheitsversorgung ist das zentrale Thema für die Gesellschaft, den Arbeitsmarkt und unsere Gesundheit. Eine ganze Branche steht vor dem Abgrund. Interessiert das wirklich keinen?“