Die Corona-Pandemie und ihre Bestimmungen haben in den vergangenen zwei Jahren allzu oft für erhitzte Gemüter gesorgt. Ein Beispiel für einen solchen Fall landete jüngst vor dem Stockacher Amtsgericht. Auf der Anklagebank musste eine 53-jährige Frau Platz nehmen, um sich für Äußerungen im Juni 2020 zu verantworten. Sie soll einen Tankstellenmitarbeiter im Raum Stockach beleidigt haben, nachdem er sie auf die damals geltende Maskenpflicht hingewiesen hatte. Dafür muss sie nun eine Strafe von 200 Euro berappen. Die Staatsanwaltschaft hatte allerdings eine fünfmal höhere Strafe gefordert. „Idiot“ und „Arschloch“ sind die Worte, um die es laut der vom Staatsanwalt verlesenen Anklageschrift konkret ging.

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Heilpraktiker hatte Attest ausgestellt

Die Frau soll die Tankstelle im Juni 2020 ohne Maske betreten haben. Wie sie im Prozess erklärte, habe sie aufgrund ihrer Vorerkrankungen über ein Attest verfügt, das sie vom Tragen einer Maske befreit habe. Ausgestellt hatte es ihren Angaben zufolge ein Heilpraktiker auf Grundlage von Arztberichten, die ihm vorlagen. „Er wusste um meine finanzielle Situation und dass ich es mir nicht leisten konnte, von einem Arzt ein Attest ausstellen zu lassen“, sagte die Angeklagte vor Gericht über ihren Heilpraktiker.

Angeklagte berichtet von langem Leidensweg

Wie die Frau berichtete, habe sie einen langen Leidensweg hinter sich. Von 2016 bis 2019 sei sie in einer Beziehung mit einem Mann gewesen, der sie verprügelt und vergewaltigt habe. So schlimm, dass sie dadurch invalide geworden sei.

Von Geburt an leide sie unter einer Herzschwäche, dazu kamen in den vergangenen Jahren mehrere chronischen Erkrankungen. Inzwischen leide sie auch unter einer schweren Depression und einem zerstörten rechten Armgelenk aus der Zeit mit ihrem gewalttätigen Partner. Sozialhilfe und Pflegegeld würden ihr deshalb kaum zum Überleben ausreichen, betonte sie vor Gericht.

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„Nach der Beziehung bin ich nicht mehr aus den Schulden herausgekommen“, machte sie dem Gericht deutlich. Zudem leide sie immer wieder unter Panikattacken sowie einer dissoziativen Störung, die dazu führe, dass sie sich nicht an alles erinnern könne.

Im entscheidenden Punkt fehlt die Erinnerung

„Ich kann mich nicht daran erinnern, ob ich das, was mir von dem Mann vorgeworfen wird, überhaupt gesagt habe. In Anbetracht dessen, dass es keine Tonaufnahmen gibt, frage ich mich, was wir überhaupt hier machen“, betonte die 53-Jährige.

Sie wisse aber noch, dass der Tankstellenmitarbeiter sehr dicht vor ihr gestanden sei und sie bedrängt habe, ihren Personalausweis herauszugeben. Außerdem habe er sie nicht bezahlen lassen wollen und damit gedroht, die Polizei zu rufen. „Ich habe deshalb einen Zehn-Euro-Schein auf den Tresen gelegt, um die Tankrechnung von 8,88 Euro zu begleichen, und bin wieder rausgegangen“, so die Angeklagte.

Der Gerichtssaal im Stockacher Amtsgericht.
Der Gerichtssaal im Stockacher Amtsgericht. | Bild: Dominique Hahn

Ihren Angaben zufolge sei sie schon mit einem schlechten Gefühl an die Tankstelle gefahren. Denn sie will in der Vergangenheit schon öfter beobachtet haben, wie der Mitarbeiter unfreundlich zu anderen Kunden gewesen sei. Insbesondere Ausländern gegenüber sei er unfreundlich gewesen, sagte sie vor Gericht aus. „Wenn ich ihn beleidigt haben sollte, dann war das eine Reaktion auf sein Verhalten. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, was ich gesagt habe“, beteuerte sie.

Tankstellenmitarbeiter als Zeuge geladen

Etwas anders sah der Vorfall in der Schilderung des Tankstellenmitarbeiters aus, der als Zeuge zur Verhandlung geladen war. Er sei gerade damit beschäftigt gewesen, Ware einzuräumen, als die Angeklagte den Verkaufsraum der Tankstelle betreten und sofort geschrien habe, sie hätte ein Attest. Mit diesem habe sie herumgefuchtelt. „Ich habe sie dann gebeten, mir das Attest ruhig herzuzeigen, woraufhin sie mich als Laufbursche des Nazi-Regimes bezeichnet und angedroht hat, dass der Tag komme, wo wir alle angezeigt werden. Außerdem hat sie mir unterstellt, frauenfeindlich zu sein“, berichtete der Mann. Das sei so weit gegangen, dass er die Polizei habe rufen müssen. „Sie war einfach auf Streit aus, nichts anderes.“

Mitarbeiter brauchten zuletzt ein dickes Fell

In zwei Jahren Corona-Pandemie habe er viele Kunden erlebt, die mit einem Attest in die Tankstelle kamen. Meistens habe das sehr gut funktioniert. Jeder, der in dieser Zeit im Einzelhandel gearbeitet habe, wisse, dass man ein dickes Fell gebraucht habe, weil man mit den Ansichten von vielen Menschen konfrontiert worden sei. Aber dieser Vorfall sei zu viel gewesen und deutlich herausgestochen.

„Ich wollte mich einfach nicht strafbar machen. Für Verkäufer im Einzelhandel war es sehr schwierig, den rechtlichen Vorgaben der Corona-Verordnung nachzukommen“, sagte der Mann. Es sei ihm damals nämlich nicht erlaubt gewesen, Kunden ohne Maske zu bedienen, wenn sie kein korrektes Attest vorzeigen konnten.

Heilpraktiker verweigert weitere Behandlung

Die Angeklagte konfrontierte den Tankstellenmitarbeiter daraufhin damit, dass er ihren Heilpraktiker angeschrieben habe, und ihm mit einer Anzeige für die unrechtmäßige Ausstellung von Attesten gedroht habe. „Er hat mir nämlich gesagt, er würde mich vor diesem Hintergrund nicht mehr weiter behandeln“, so die Angeklagte.

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Der Tankstellenmitarbeiter bestritt dies, woraufhin die Richterin darauf hinwies, dass die einzige aktenkundige Korrespondenz zwischen dem Heilpraktiker und einem Polizisten, der den gleichen Nachnamen wie der Tankstellenmitarbeiter habe, stattgefunden habe. Besagter Polizist war eigentlich ebenfalls als Zeuge geladen, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend sein.

Richterin glaubt dem Tankstellenmitarbeiter

Für die Richterin reichte das Gehörte ohnehin aus, um ein Urteil zu fällen. Sie hielt die Aussage des Tankstellenmitarbeiters für glaubwürdig. „Ich bin überzeugt, dass sich der Vorfall so zugetragen hat. Der Zeuge wirkte schlüssig in seiner Aussage, konnte den Vorfall ohne größere Gefühlsregungen schildern und gut nachvollziehbar angeben, dass dieser Vorfall sich auch in der Rückschau von anderen Vorfällen abgehoben hat. Das wirkt alles sehr lebensnah und glaubhaft“, betonte sie.

Ein besonderes öffentliches Interesse an der Verfolgung dieses Falls bescheinigte sie der Staatsanwaltschaft vor dem Hintergrund, dass der Mitarbeiter in dieser Situation für staatlich auferlegte Maßnahmen habe grade stehen müssen, die er sich nicht ausgesucht habe. Strafmildernd für die Angeklagte bezog sie deren Vorgeschichte ein und die damals stark aufgeladene gesellschaftliche Situation in der Bevölkerung.

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So verurteilte sie die Angeklagte zu einer Strafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu 10 Euro, zahlbar in Raten zu 40 Euro. Damit wich sie von der deutlich schärferen Forderung der Staatsanwaltschaft ab, die 25 Tagessätze in Höhe von 40 Euro angesetzt hatte. Wie das Amtsgericht Stockach inzwischen bestätigte, ist das Urteil nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gültig geworden.