Es rumort gewaltig im Bereich der regionalen Gesundheitsversorgung. Während im Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) über die Schließung der Häuser in Radolfzell und Singen und einen Krankenhausneubau diskutiert wird, könnte man in Stockach eigentlich gelassener auf die Situation blicken, schließlich ist das Haus nicht Teil des GLKN.
Doch auch hier gibt es einiges an Diskussionsbedarf, denn die geplante Einrichtung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) am Krankenhaus Stockach stößt nicht bei allen auf Gegenliebe. Zuletzt haben die beiden Hausärzte Dr. Marc Nagel aus Hohenfels und Dr. Manuela Zimmermann aus Orsingen-Nenzingen in Leserbriefen im SÜDKURIER ihre Kritik an dem Projekt geäußert. Auch aus Stockach gibt es Kritik an dem Projekt. Ein Kritiker ist Walter Müller, der eigenen Angaben zufolge von von 2003 bis 2017 Leiter der Internen Revision der Uniklinik Frankfurt war und seit Eintritt in den Ruhestand in Stockach lebt. Ähnlich wie die beiden Ärzte fragt er sich unter anderem, wo die notwendigen Kassenarztsitze herkommen sollen. Er ist überzeugt: „Die Voraussetzungen für ein MVZ sind in Stockach überhaupt nicht gegeben.“
Im Gespräch mit dem SÜDKURIER nehmen Michael Hanke, Geschäftsführer des Stockacher Krankenhauses und Bürgermeister Rainer Stolz, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des Krankenhauses, Stellung zu den wichtigsten vorgebrachten Kritikpunkten.
Gibt es durch das MVZ am Ende weniger Arztpraxen im Stockacher Raum?
Die Kassenärztliche Vereinigung lässt in einem bestimmten Bezirk nur eine gewisse Anzahl an Kassenärztlichen Sitzen (KV-Sitze) zu. Ein Arzt darf Behandlungen aber nur dann mit einer gesetzlichen Krankenkasse abrechnen, wenn er über einen solchen KV-Sitz verfügt. Deshalb benötigt man auch für die Gründung eines MVZ mindestens einen KV-Sitz. Michael Hanke spricht von drei bis fünf solcher KV-Sitze, über die das MVZ perspektivisch irgendwann einmal verfügen soll.
In einem der Leserbriefe wird deshalb die Kritik laut, dass diese Arzt-Sitze aus dem Stockacher Umland verschwinden werden, um im MVZ am Krankenhaus aufzugehen. Werden durch das MVZ also Arztpraxen im Umland geschlossen? Michael Hanke verneint das. Ihm zufolge werde es keine räumliche Konzentration von Arzt-Sitzen am Stockacher MVZ geben. Lediglich eine Arztpraxis soll mit ihrem KV-Sitz in das Ärzte- und Geschäftshaus am Stadtgarten einziehen.
Dass drei Hausarzt-Sitze im Mittelbereich Stockach wegfallen würden, um am Krankenhaus verortet zu werden, sei eine Fehleinschätzung. „Dies wird schon alleine deswegen nicht eintreten, weil im Ärztehaus kein Platz für drei Arztpraxen existiert. Die Arztpraxen des MVZ sollen dort bleiben, wo sie sind, nämlich vor Ort“, so Hanke auf Nachfrage des SÜDKURIER. Zudem solle zunächst nur mit zwei KV-Sitzen gestartet werden.
Wie will das MVZ an die nötigen Kassenarztsitze kommen?
Da die Anzahl an Kassenarzt-Sitzen beschränkt ist, ist das MVZ darauf angewiesen, dass bestehende Arztpraxen ihren Sitz in das MVZ einbringen und sich dann gegebenenfalls dort anstellen lassen. Ärzte an einem MVZ arbeiten nämlich nicht freiberuflich, wie die meisten ihrer Kollegen mit eigenen Praxen, sondern sind Angestellte des MVZ. Laut Michael Hanke sind zwei Ärzte bereit, ihren KV-Sitz in das MVZ einzubringen.
„Im Moment läuft aber noch das Zulassungsverfahren bei der Kassenärztlichen Vereinigung“, so Hanke. Letztendlich hänge es von deren Zustimmung ab, ob die Sitze durch das MVZ übernommen werden können oder nicht. Konkret handle es sich um einen hausärztlichen und einen orthopädischen KV-Sitz. Zu einem laufenden Zulassungsverfahren für das MVZ will sich die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) auf Anfrage des SÜDKURIER nicht äußern. „Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass die Verfahren vor den Zulassungsausschüssen immer nicht-öffentlich sind“, schreibt Kai Sonntag, Pressesprecher der KVBW.
Wurde vorher überhaupt mit den niedergelassenen Ärzten gesprochen?
In einem der Leserbriefe wird kritisiert, dass die niedergelassenen Ärzte im Vorfeld zu den Planungen für das MVZ nicht in die Überlegungen einbezogen worden seien. Michael Hanke dementiert dies auf Nachfrage. Es sei sehr wohl mit niedergelassenen Ärzten über dieses Vorhaben gesprochen worden, betont er. Einige von ihnen hätten dies auch durchaus begrüßt.
Warum beteiligen sich andere Gemeinden finanziell am MVZ?
Wie Bürgermeister Rainer Stolz betont, sei das Krankenhaus schon lange Thema in den regelmäßigen Treffen der Bürgermeister in der Verwaltungsgemeinschaft Stockach. Schon seit Längerem gebe es Bestrebungen der Umlandgemeinden, das Stockacher Krankenhaus zu stabilisieren. „Mit der Einrichtung des MVZ haben wir die Möglichkeit, dass sich die Nachbargemeinden an der Zukunft des Krankenhauses beteiligen können, ohne dass sie die gleichen finanziellen Verluste befürchten müssen wie bei einem direkten Einstieg in die Krankenhausgesellschaft“, betont Stolz. Michael Hanke war in den vergangenen Wochen und Monaten zu Gast in Gemeinderäten der Verwaltungsgemeinschaft, um sich den Fragen und Anmerkungen der Gemeinderatsmitglieder zu stellen (der SÜDKURIER berichtete).
Wer hat beim MVZ das Sagen?
Das MVZ wurde als Tochtergesellschaft des Stockacher Krankenhauses in Form einer gemeinnützigen GmbH (gGmbH) gegründet. Aktuell haben sich die Gemeinden Hohenfels, Mühlingen, Eigeltingen und Orsingen-Nenzingen bereits dazu entschlossen, dass sich die Gemeinden finanziell an der Gesellschaft beteiligen. Im Rahmen ihrer Beteiligung haben die Gemeinden auch ein Mitspracherecht bei Entscheidungen. Geschäftsführer der MVZ-gGmbH wird ebenfalls Michael Hanke sein.
Es sei eine Fehleinschätzung, dass hier ein einziger Spieler mit erheblichen Interessenskonflikten und finanzieller Macht die Regeln diktieren wolle, betont Hanke. Problematisch wäre aus seiner Sicht hingegen nur, wenn Finanzinvestoren oder Kapitalbeteiligungsgesellschaften versuchen würden, im Stockacher Raum ein solches MVZ zu gründen, da diese „weitaus mehr finanzielle Macht haben und versuchen eine Monopol-artige Stellung aufzubauen“, so Hanke. Dem Krankenhaus sei weiterhin an einer guten Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten in der Region gelegen.
Wozu soll das MVZ überhaupt gut sein?
Für Rainer Stolz und Michael Hanke steht fest, dass das MVZ ein Baustein zur Sicherung der Zukunft des Stockacher Krankenhauses ist. Wie Hanke erklärt, könnten durch die engere Zusammenarbeit der MVZ-Ärzte mit dem Krankenhaus Synergien genutzt werden. „So kann zum Beispiel eine bessere Ausnutzung unseres CT-Gerätes oder des Labors erzielt werden, die momentan beide noch nicht maximal ausgelastet sind. Konkret heißt das, dass dadurch ein wirtschaftlicheres Arbeiten möglich ist.“ Stolz fügt hinzu, dass die Anstellung bei einem MVZ heutzutage für manch junge Ärztin oder Arzt attraktiver sein kann, als die Freiberuflichkeit, da dies mit geregelteren Arbeitszeiten und der Möglichkeit zur Teilzeit-Arbeit einhergehe.