Noch immer schlägt das Strukturgutachten zur bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung im Landkreis Konstanz, das der Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) in Auftrag gegeben hat, auch in Stockach hohe Wellen. Darin wird unter anderem empfohlen, das Radolfzeller Klinikum zu schließen sowie das bestehende Singener Krankenhausgebäude aufzugeben und dafür ein komplett neues Krankenhaus im Landkreis zu bauen.
Grund dafür sind die hohen Defizite die der Verbund in den vergangenen Jahren eingefahren hat und die der Landkreis Konstanz mit seinen Städten und Gemeinden ausgleichen muss. Die Empfehlungen, die im Gutachten zur Verbesserung dieser Situation ausgesprochen werden, um diese finanzielle Schieflage zu beheben, stoßen vielen bitter auf. Auch der Geschäftsführer des Stockacher Krankenhauses, Michael Hanke, meldete sich inzwischen in der Debatte um das Gutachten zu Wort.
Sein Urteil darüber fällt vernichtend aus. „Ein ausgewogenes, neutrales Strukturgutachten sieht anders aus. Vielleicht hätte man das viele Geld für ein mangelhaftes Gutachten ohne jegliche innovativen Ideen besser in den Verlustausgleich investiert“, schreibt er in einem Kommentar zu dem Gutachten, der dem SÜDKURIER vorliegt. Seiner Ansicht nach bringe das Gutachten keinerlei neue Erkenntnisse und vor allem keinen wirklichen Lösungsvorschlag, der am Ende auch dazu führen könnte, dass sich die finanzielle Situation des GLKN tatsächlich verbessert.
Hanke bemängelt Falschaussagen
Hanke kritisiert in seinem Kommentar nicht nur die Herangehensweise der Berater von der Fima Lohfert & Lohfert, sondern auch die Art und Weise, wie das Stockacher Krankenhaus, das nicht zum GLKN gehört, in dem Gutachten erwähnt wird. Einer der zentralen Punkte auf die Hanke dabei immer wieder Bezug nimmt, ist, dass das Gutachten seiner Meinung nach einer wohnortnahen Grundversorgung zu wenig Bedeutung beimisst. „Das Denken in Marktanteilen steht dabei in Widerspruch zu dem berechtigten Interesse der Bevölkerung an einer wohnortnahen Daseinsvorsorge“, schreibt er.
Die Aussagen, die das Gutachten zu den elektiven orthopädischen Leistungen trifft, seien Hanke zufolge „schlichtweg grob falsch und müssen korrigiert werden“. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass in der Stockacher Gelenkchirurgie inzwischen jährlich über 1600 Patienten versorgt werden. Am endoprothetischen Zentrum des Konstanzer Klinikums seien es im Jahr 2019 rund 1700 gewesen.
Dass das Strukturgutachten neben dem Konstanzer Angebot von zwei weiteren fallschwachen Versorgern spreche, sei in diesem Zusammenhang „ein schlechter Witz und verdreht die Tatsachen“, so Hanke. Auch die empfohlene Schließung des Radolfzeller Krankenhauses ist für Hanke unverständlich. „Es hätte doch einige Vorteile, zum Beispiel die Geburtshilfe zusammen mit der Pädiatrie inklusive Neonatologie in Radolfzell zu konzentrieren“, schreibt er.
Seiner Ansicht nach könnte die Fallzahl eines großen Kinderkrankenhauses in Radolfzell wirtschaftlich tragfähig sein. Eine gute Erreichbarkeit aus allen Gemeinden des Kreises sieht er dafür gegeben. Anders sieht es für ihn insgesamt im Hinblick auf eine allgemeine Zentralisierung aus. „Die Fahrzeiten im Gutachten sind theoretische Zeitangaben aus verschiedenen statistischen Quellen, die mit der heutigen Realität im Landkreis nichts zu tun haben“, ist sich Hanke sicher.
Er rechnet vor, dass man beispielsweise aus Hohenfels oder Mühlingen mindestens 34 Minuten bis nach Singen bräuchte. „Zu lang für eine wohnortnahe Grundversorgung.“ Ganz zu schweigen von den Fahrzeiten, die für Menschen entstünden, die zu einer Behandlung mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen müssten. „Wer im Landkreis kein Auto hat und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, muss viel Zeit haben, um ein Krankenhaus zu erreichen“, so Hanke. Insbesondere im Hinblick auf eine älter werdende Gesellschaft nehme der Bedarf an einer wohnortnahen Basisversorgung zu.
Kritik auch aus dem Rathaus
Auch Bürgermeister Rainer Stolz liegt das Gutachten schwer im Magen. Zwar gehört das Stockacher Krankenhaus nicht zum GLKN, aber die Stadt Stockach ist, da sie zum Landkreis Konstanz gehört, trotzdem finanziell an den Verlusten des Verbundes beteiligt. „Wir sind sehr besorgt, dass das, was wir mit dem Gutachten eigentlich erreichen wollten, nun gar nicht drin steht“, sagt Stolz. Denn einfach nur etwas neu zu bauen, wie es das Gutachten mit Blick auf das Singener Klinikum vorschlägt, löse das Grundproblem nicht.
„Es kann nicht sein, dass in den zehn Jahren, die es vielleicht dauert, ein neues Krankenhaus zu bauen, weiter Defizite eingefahren werden“, betont Stolz. So etwas würde die finanzielle Leistungskraft der Stadt Stockach deutlich übersteigen, macht er deutlich. Seiner Schätzung nach könnte in der Zeit, bis neu gebaut wäre, bis zu einer Viertelmilliarde Euro an neuen Defiziten im Verbund entstehen, die von den Kommunen des Landkreises ausgeglichen werden müssten.
Auch Stockach wäre daran beteiligt. „Die Empfehlungen des Gutachtens werden nicht mit einem Businessplan unterlegt“, bemängelt Stolz und fügt an: „Wir müssen aber wissen, welche wirtschaftlichen Folgen das für die Kommunen hat.“ Aus diesen Gründen melde sich Stockach mit einer konstruktiven Kritik in der Diskussion um das Gutachten zu Wort, betonen Hanke und Stolz beide.
„Wir als Stadt sind Partner im Landkreis und wollen deshalb auch unsere Position zu dieser Sache verdeutlichen“, sagt Stolz. Die fachliche Sichtweise aus dem Stockacher Krankenhaus, das nicht zum GLKN gehöre, solle helfen, den Entscheidern eine breitere Basis mitzugeben, die man bei diesem Thema einfach haben müsse. „Für uns ist es zudem auch sehr interessant, wie die zukünftigen Strukturen des GLKN aussehen werden, denn schließlich besteht eine enge Zusammenarbeit“, ergänzt Hanke.