Spontan nach Radolfzell oder Stockach fahren, das sollte mit dem Seehäsle eigentlich kein Problem sein. Seit dem Fahrplan- und Betreiberwechsel im Dezember verkehren die Züge sogar bis in die Abendstunden im Halbstundentakt – zumindest dann, wenn bei der Bahn nicht wie derzeit gerade wieder gestreikt wird. Doch wer im Rollstuhl unterwegs ist, hat es beim Seehäsle mitunter schwerer als früher. Diese Erfahrung hat zumindest Christel Grundler aus Wahlwies gemacht.
„Früher bin ich gerne mit dem Seehäsle gefahren“, berichtet die Seniorin im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Besonders im Sommer sei sie mit dem Zug oft nach Stockach oder Radolfzell gefahren. „Die Zugführer kannten mich schon alle. Wenn ich mit meinem Rollstuhl am Bahnsteig stand, sind sie ausgestiegen und haben mir eine Rampe hingelegt, sodass ich in den Zug fahren konnte“, so Grundler.
Zugbegleiter und Enkel müssen anpacken
Als sie jedoch vor Kurzem erstmals seit dem Betreiberwechsel gemeinsam mit ihrem Enkel wieder mit dem Zug fahren wollte, kam die Schrecksekunde. Der Zugbegleiter, der aus dem DB-Zug ausgestiegen sei, habe sie darüber informiert, dass sie ihre Fahrt eigentlich einen Tag im Voraus anmelden müsse, da es im Zug weder eine Rampe noch einen Hublift für Rollstuhlfahrer gebe. „Ich durfte dann freundlicherweise trotzdem mit, der Schaffner und mein Enkel haben mich zusammen in den Zug gehoben“, berichtet Grundler.
In Radolfzell seien die beiden dann aber vor einem weiteren Problem gestanden, denn das Seehäsle hält seit dem Fahrplanwechsel im Radolfzeller Bahnhof nicht mehr auf Gleis 1, sondern auf Gleis 4. Dieses ist jedoch nicht barrierefrei zugänglich. Rollstuhlfahrer müssen von dort aus von einem Mitarbeiter der Bahn über einen speziellen Übergang direkt über die Gleise begleitet werden. Das ist jedoch nur zwischen 8 und 20 Uhr möglich. Wer als Rollstuhlfahrer früher oder später am Radolfzeller Bahnhof in das Seehäsle ein- oder aus dem Zug aussteigen will, hat schlechte Karten.
Bahn kämpft weiter mit Fahrzeugengpass
Doch wie kommt es zu dieser Serviceverschlechterung für Menschen mit Behinderung? Ein Bahnsprecher erklärt auf Nachfrage des SÜDKURIER, dass die von Christel Grundler geschilderte Situation mit der aktuellen Fahrzeugknappheit zusammenhänge. Denn schon seit Längerem sind auf der Seehäsle-Strecke weniger Triebwagen im Einsatz als angekündigt. Oftmals fährt deswegen nur ein einzelner Triebwagen anstatt der angekündigten zwei Fahrzeuge.
Grund für den Ausfall der Triebwagen sei ein Problem mit den Radsätzen und ein noch immer andauernder Rückstau in der Ulmer DB-Werkstatt. „Deshalb sind beim Seehäsle momentan auch ältere Triebwagen im Einsatz, die nicht über eine Rampe oder einen Hublift verfügen“, so der Unternehmenssprecher. Aus diesem Grund sei es wichtig, dass Rollstuhlfahrer ihre Fahrten vorab beim Mobilitätsservice der Bahn anmelden. „So können wir sicherstellen, dass zum entsprechenden Zeitpunkt ein Fahrzeug mit Rampe oder Hublift im Einsatz ist“, erklärt er.
Dass das Seehäsle in Radolfzell derzeit auf Gleis 4 hält, ist laut DB-Pressestelle „nicht in Stein gemeißelt. Allerdings muss man natürlich auch bedenken, dass sich dafür jetzt andere Reisende freuen, dass sie an Gleis 1 einen leichteren Zugang zu den Zügen haben. Man kann es nie allen recht machen“, so der Sprecher der DB.
Barrierefreier Bahnhofsausbau lässt auf sich warten
Der barrierefreie Ausbau des Radolfzeller Bahnhofs ist indes schon seit langer Zeit ein Thema und hat sich durch Planungen für einen groß angelegten Umbau des Bahnhofsareals seitens der Stadt verzögert. Die Pläne einer Seetorquerung wurden am Ende wieder gekippt, der barrierefreie Ausbau soll jetzt nachgeholt werden. „Noch in diesem Jahrzehnt“, sagt der Bahnhofssprecher. Laut SÜDKURIER-Informationen ist mit einem Baubeginn nicht vor 2027 zu rechnen, mit Blick auf eine mögliche Fertigstellung sprach die Bahn in der Vergangenheit vom Jahr 2029.
Mitfahrten können auch spontan klappen
Fallen damit spontane Seehäsle-Fahrten für Menschen im Rollstuhl komplett flach? Christel Grundler wagt in Begleitung des SÜDKURIER einen weiteren Versuch und siehe da: Kurz nachdem der Zug am Bahnhof von Wahlwies zum Stehen gekommen ist, erscheint der Zugführer in der Tür und möchte beim Einsteigen helfen. „Selbstverständlich können Sie mit“, sagt er. Es kann also funktionieren.
Der Unternehmenssprecher der Bahn rät Rollstuhlfahrern dennoch dazu, den Mobilitätsservice des Unternehmens zu nutzen. „Das ist der sichere Weg. Dann kümmern wir uns darum und sorgen dafür, dass die Reise auch umgesetzt werden kann“, so der Sprecher.