Die Sommerzeit ist für viele Menschen zur Urlaubssaison Nummer eins geworden. Kinder und Jugendliche können sich über sechs Wochen schulfrei freuen, viele Handwerker machen Betriebsferien und sogar in der Politik gibt es oft noch eine Sommerpause. Doch bei weitem nicht überall ruht die Arbeit im Sommer und auch zu früheren Zeiten diente der Urlaub nicht unbedingt der Erholung.
Elena Williams und Dominik Rimmele vom Stockacher Stadtarchiv haben sich in diesem Jahr intensiv mit der Geschichte des Urlaubs und der Ferien auseinandergesetzt und dabei einen faszinierenden Einblick in die Urlaubsgewohnheiten der Stockacher zutage gefördert.
Auch die Freizeit war geprägt von Arbeit
Quintessenz der Erkenntnisse ist: Urlaub, wie wir ihn heute kennen, ist ein recht modernes Phänomen. Noch bis weit in die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hinein hätten die freien Zeiten im Hauptberuf in erster Linie dazu gedient, Raum für andere Arbeiten zu schaffen. „Wir haben im Archiv etwa Anträge von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, die Fronturlaub beantragen mussten, um zuhause in der Landwirtschaft bei der Ernte zu helfen“, erklärt Dominik Rimmele.
Während des Zweiten Weltkriegs habe für Frauen die 48-Stunden-Woche gegolten. „Einen Tag pro Woche bekamen sie frei, um sich zuhause um den Haushalt kümmern zu können“, so Elena Williams.

Auch Schülerinnen und Schüler haben in erster Linie schulfrei bekommen, um zuhause mit anzupacken. „Die Schüler hatten zum Beispiel Kartoffelkäfersuchdienst und dafür schulfrei bekommen“, erklärt Rimmele. Gerade im ländlichen Raum waren früher noch sehr viele Menschen haupt- oder zumindest nebenerwerblich in der Landwirtschaft tätig. „Die Bauern konnten in der Regel gar nicht von ihren Höfen weg, um Urlaub zu machen“, sagt Elena Williams.
Tourismus als Vergnügen für die Oberschicht
Dennoch gab es auch damals schon Tourismus, wenngleich sich dieses Freizeitvergnügen vor allem auf die Oberschicht beschränkte. „Urlaub konnten sich damals eigentlich nur reiche Leute leisten“, sagt Williams. Dass auch die ärmeren Bevölkerungsschichten auf Reisen gehen konnten, sei erstmals in der Zeit des Nationalsozialismus mit der Aktion Kraft durch Freude (KdF) möglich geworden. Hierbei seien durch eine staatliche Institution Gruppenreisen organisiert worden. Eines der Reiseziele war dabei auch die Region um Stockach.
Ein Programmflyer eine KdF-Reise einer Gruppe aus dem westfälischen Raum gibt Aufschluss darüber. Er findet sich genauso im Stadtarchiv wie die Unterlagen zur Beteiligung der Stadt an verschiedenen Tourismusvereinigungen. Erste Bestrebungen zur „Herbeiziehung von Fremden“ oder zur „Hebung des Fremdenverkehrs“, wie es damals formuliert wurde, gab es bereits in den 1880er- und 1890er-Jahren.
Wie Stockach die ersten Touristen anlockte
Seit 1895 war Stockach Mitglied im Verkehrsverein Untersee, Rhein und Umgebung. 10 Mark habe sich der Gemeinderat diese Mitgliedschaft jährlich kosten lassen. Bereits zehn Jahre zuvor war der städtische Verschönerungsverein gegründet worden, der sich durch Anlegung und Pflege von Wanderwegen, das Aufstellen von Ruhebänken und die Schaffung von Attraktionen wie dem Nellenburgturm zum Ziel gesetzt hatte, die Stadt als Ausflugsziel attraktiv zu machen.

„Der Bau der Eisenbahnlinien Radolfzell-Stockach im Jahr 1867 und Stockach-Schwackenreute-Meßkirch im Jahr 1870 hat sicherlich schon dazu beigetragen, dass die Region für Touristen besser erreichbar war“, sagt Dominik Rimmele. Konkrete Erhebungen zu Übernachtungszahlen gab es von Seiten der Stadt damals allerdings noch nicht.
Übernachtungszahlen im Aufwärtstrend
So richtig durchstarten konnte der Tourismus aber ohnehin erst in den 1950er-Jahren, als viele Menschen im Zuge des Wirtschaftswunders mehr Geld und mehr Freizeit zur Verfügung hatten. Im Jahr 1951 etwa wurden in Stockach 6956 Übernachtungen verzeichnet. Gut zehn Jahre später waren es bereits 20.375. Heute sind es oft deutlich mehr als 50.000 Übernachtungen pro Jahr.
Auch die Stockacher selbst profitierten von den Entwicklungen des Wirtschaftswunders und machten sich auf, die Welt zu erkunden. „Die Leute hatten mehr Geld, Autos wurden erschwinglicher und irgendwann wurden auch Flugreisen immer günstiger und beliebter“, fasst Williams die Entwicklung der Tourismusbranche in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen.
Damit begann auch der Individualtourismus, wie man ihn heute kennt, so richtig durchzustarten, während man früher eher in Form von Gruppenreisen unterwegs gewesen sei – ob mit dem Schwarzwaldverein oder etwa bei Ausflügen im Rahmen der kirchlichen Jugendarbeit.
Schon in den 1950e-r und 1960er-Jahren finde sich in Stockacher Einwohnerbüchern Werbung von Geschäften, die explizit Reiseartikel im Angebot hatten. Am 17. September 1976 berichtete der SÜDKURIER über die Eröffnung des ersten Reisebüros in Stockach. Spätestens damit sind die Sommerferien auch wirklich zur Urlaubszeit geworden.