Das Ende des Zweiten Weltkriegs liegt fast 80 Jahre zurück. Es gibt immer weniger Zeitzeugen, die das Grauen selbst miterlebt haben und aus der Zeit erzählen können, als der von Deutschland ausgegangene Krieg wieder hierhin zurückgekehrte. Frieden ist keineswegs selbstverständlich, auch wenn wir in Deutschland das Leben seit beinahe acht Jahrzehnten nicht anders kennen. Ein Blick ins Stadtarchiv Stockach und verschriftliche Erinnerungen einer Zeitzeugin aus Wahlwies vermitteln nun Eindrücke aus den letzten Kriegsmonaten in Stockach. Denn vor genau 80 Jahren fielen auch hier Bomben.

Bis zum Februar 1945 war Stockach von Angriffen noch verschont geblieben, wie aus dem Buch „Stockach im Zeitalter der Weltkriege“ von Hartmut Rathke hervorgeht. Dann ging auch hier das Grauen los. Im Buch heißt es weiter, dass am 22. Februar zahlreiche Häuser in der Heinrich-Fahr-Straße, der Bahnhofstraße, der Schillerstraße und der Aachenstraße durch Bomben und Schüsse aus Bordwaffen Alliierter Flieger zerstört oder stark beschädigt wurden. 20 Menschen starben.

Zeitzeugin Maria Weißmann berichtet von dem Tag

An den Bombenangriff auf Wahlwies am selben Tag erinnert sich die 87-jährige Maria Weißmann, geborene Schwarz, als derzeit älteste Überlebende ganz genau. Für ihre Nachkommen hat sie ihre Erlebnisse aufgeschrieben und dem SÜDKURIER zur Verfügung gestellt. Der Luftangriff geschah um 14.30 Uhr. Sie berichtet: „Am frühen Nachmittag war wieder einmal Fliegeralarm. Die Sirenen heulten ganz furchtbar. Unsere Mutter rief uns Kinder und sagte, dass wir sofort in den Keller müssten, um uns in Sicherheit zu bringen. Als wir erst ganz kurz im Keller waren, fielen schon die Bomben.“

Noch heute erinnert sich die 87-jährige Maria Weißmann genau an den Bombenangriff auf Wahlwies.
Noch heute erinnert sich die 87-jährige Maria Weißmann genau an den Bombenangriff auf Wahlwies. | Bild: Monika Schwarz

Zu acht saßen sie dort: die Mutter mit Maria, der ältesten Tochter, den jüngeren Geschwistern Elfriede, Herbert und Otto, den sie noch in letzter Minute in den Keller holte, die Nachbarin Frau Müller und deren Töchter Anna und Hilda. Sie suchten Schutz unter den Brot- und Obsthurden, stabilen Holzbrettern, die mit starkem Draht an der Kellerdecke befestigt waren. Ihr Glück war auch, dass der Vater die Deckenbalken zusätzlich gestützt hatte.

Unter dem eigenen Haus verschüttet

Die Phosphorbomben zerstörten ihr Zuhause, das sich in der Nähe vom Bahnhof und nahe am Bahngleis oberhalb der Metzgerei Hafner-Maier befand. Maria Weißmann beschreibt: „Wir waren total verschüttet, weil das ganze Haus, alle Mauern einstürzten. Nur die Grundmauern im Keller gaben uns noch Schutz. Wir konnten uns nicht selbst aus den Trümmern befreien.“ Bürgermeister Eugen Schatz habe sie über ein Sprachrohr beruhigt und gesagt, dass sie alle wieder ins Freie geholt würden. Alle acht kamen mit kleineren Verletzungen, Platzwunden, Beulen und Abschürfungen davon.

Doch der Anblick draußen war schrecklich. „Alles zerbombt, keine ganze Fensterscheibe im ganzen Umkreis“, so Maria Weißmann. Das Schlimmste sei noch gewesen, zu erfahren, dass Frau Heiß vom Nebenhaus und Herr Hafner, ein dort tätiger Handwerker, zu Tode gekommen waren.

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Der Vater war zum Zeitpunkt des Bombenangriffs nicht da. Er arbeitete bei der Reichsbahn als Lokomotivheizer. „Er wäre sicher nicht mit in den Keller gegangen, denn er hatte keine Angst“, schreibt sie. Als er nach seinem Dienst zurückkam, suchte er seine Familie und rettete aus den Trümmern des Hauses den beschädigten Koch- und Heizherd, zwei Betten und einen Kleiderschrank.

Was wollten die Bomberpiloten treffen?

Die sechsköpfige Familie kam im Elternhaus des Vaters in einem Zimmer bei seinem Bruder Johann Schwarz unter. Maria Weißmann erinnert sich: „Unseren Herd stellte mein Vater in der Küche neben dem Herd von Tante Marie auf. So konnte unsere Mutter wieder für die eigene Familie kochen.“ Allerdings hatten sie weder Kochtöpfe und Pfannen, noch Geschirr. Als die Eltern erfuhren, dass einige Tage zuvor das örtliche Reichsarbeitsdienstlager ausgeplündert worden war, ergatterten sie dort Teller, Tassen, Gläser und Besteck.

Maria Weißmann vermutet, dass der Flieger-Angriff sehr wahrscheinlich dem Zweig-Bahnhof in Stahringen galt. Sie erklärt: „Die Bahnstrecke Richtung Stockach und Richtung Friedrichshafen war wichtig, weil diese Städte Waffen für die Rüstung hergestellt haben. Versehentlich haben die Flieger Wahlwies statt Stahringen getroffen.“ Den schrecklichen Bombenangriff werde sie nie vergessen.

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Drei Tage später starben bei einem erneuten Angriff auf Stockach vier weitere Menschen. Die Firma Schiesser, das Kornhaus und die Gießerei Fahr wurden schwer beschädigt. Das 25. zivile Opfer aus der Stadt war Gymnasialprofessor Heinrich Bettinger, der am 15. März seinen Verletzungen durch einen Flugzeugbeschuss des Zuges von Radolfzell nach Stockach erlag. „Die Züge, Bahnstrecken und Brücken wurden mehrmals von Fliegern beschossen“, erinnert sich Maria Weißmann.

Angriffe hatten drastische Folgen für Stockach

Die Zerstörungen durch die Luftangriffe brachten die Produktion der Stockacher Industriebetriebe weitgehend zum Stillstand. Außerdem verschärfte sich die bereits durch Evakuierte angespannte Wohnraumsituation, weil für die ausgebombten Menschen Notquartiere gefunden werden mussten.

Ein Bombensplitter vom Angriff auf Stockach im Jahr 1945. Die Bombe war im Bahnhofsareal abgeworfen worden und dieser Splitter hatte die ...
Ein Bombensplitter vom Angriff auf Stockach im Jahr 1945. Die Bombe war im Bahnhofsareal abgeworfen worden und dieser Splitter hatte die Hauswand eines Gebäudes in der Radolfzeller Straße durchschlagen und dort einen damals achtjährigen Jungen glücklicherweise verfehlt. | Bild: Julian Windmöller

Im Buch „Aus Stockachs Vergangenheit“ von Hans Wagner ist zu lesen: „Stockach war voll von Heimatvertriebenen und Ausgebombten – bedauernswerte Menschen, die außer dem nackten Leben oft nichts gerettet hatten, was einstmals ihr Eigentum war.“ Am Bahnhof, Postamt und Rathaus hätten handgeschriebene Suchanzeigen nach Angehörigen und Bekannten gehangen. Die wenigen Züge, die noch verkehrten, seien überfüllt und Lebensmittel sehr knapp gewesen. Die Bewohner des Bahnhofs- und Industrieviertels brachten sich in entlegeneren Bereichen der Stadt, in den Bierkellern, in Waldhütten oder bei Verwandten und Bekannten auf dem Land in Sicherheit.

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Erneuter Angriff im April

Am 15. April 1945 heulten die Sirenen wieder fast pausenlos. Eine Bombe spaltete das vier Stockwerke hohe Schiesser-Gebäude bis in den Keller in zwei Teile, beschädigte das sogenannte Herrenhaus und Gebäude der Baufirma Mühlherr-Wagner erheblich sowie Gebäude am Nellenburger Weg leichter. Es gab laut Hans Wagner glücklicherweise keine weiteren Todesopfer.