Alle waren sich sofort einig: „Wir müssen etwas machen“, sagen Bürgermeister Rainer Stolz, der evangelische Pfarrer Rainer Stockburger und der katholische Pfarrer Thomas Huber zur Situation in der Ukraine. Kulturamtsleiterin Corinna Bruggaier, die mit im Boot ist, sieht es ebenso. Und so entschieden sie am Donnerstag parallel zur laufenden Fasnacht, eine Solidaritätsveranstaltung mit Mahnwache für den Samstagabend zu organisieren.
Die Stadt organisiert, aber die Aktion findet in oder vor den Kirchen statt. Zuerst kommen alle in der evangelischen Melanchtonkirche zusammen, wo FFP2-Maskenpflicht herrscht. Bei der Solidaritätsveranstaltung sprechen Stolz und die beiden Pfarrer. Außerdem werde eine Frau, die seit ein paar Jahren in Stockach lebe und Verwandte in der ukrainischen Stadt Kiew habe, von der Lage dort erzählen. „Sie wird Eindrücke schildern. Es ist wichtig, einen Eindruck zu bekommen, wie es den Leuten dort geht“, so Stolz. In Kiew sei momentan die Hölle los. Die Menschen in der Ukraine hätten große Angst.
Musik ist ebenfalls vorgesehen – Christian Bär werde Gitarre spielen. Es gebe auch einen Redebeitrag des CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas Jung und es sollen Fürbitten gesprochen werden. Auf dem Vorplatz von St. Oswald finde anschließend eine Mahnwache statt.
„Krieg hat nur Verlierer“
Stolz erklärt, er habe am Donnerstag und Freitag bereits mit vielen Menschen Kontakt gehabt. Viele wollten helfen. „Alle sind überrascht und schockiert von den Ereignissen“, sagt er. Mit der Aktion solle deutlich gemacht werden, dass die Stockacher solidarisch mit der Ukraine sind und den Bürgern die Ereignisse nicht egal seien. „Wir haben deshalb überlegt, was wir tun können. Wir wollen deutlich machen, dass wir da sind und helfen wollen“, erklärt er. „Es soll ein Signal sein, dass man alles friedlich lösen kann. Krieg hat nur Verlierer.“ Die Ereignisse hätten eine Dimension, „die deutlich macht, dass es alle betrifft, weil alle betroffen sind“.
Pfarrer Rainer Stockburger ergänzt: „Das Thema bewegt Menschen jeder Nationalität oder Religion.“ Mit dem Solidaritätsgedanken solle ein Zeichen gesetzt werden. Die Veranstaltung am Samstag solle einen Raum bieten, um zu tragen und zu ertragen. Es solle deutlich werden: „Frieden ist ein absoluter Wert, der von nichts und niemandem in Frage gestellt werden darf.“ Stockburgers 88-jährige Schwiegermutter habe selbst einen Krieg erlebt und die Bilder würden sie bis heute nicht loslassen. „Krieg darf nicht sein, er ist keine Lösung“, sagt er.
Sein katholischer Kollege Thomas Huber vergleicht den Frieden mit einem wertvollen Diamanten, der kostbar, aber gefährdet sei. Die Solidaritätsaktion solle die Verbindung der Herzen mit den Menschen in der Ukraine zeigen. Die Gedanken und Gebete der Stockacher seien bei ihnen. Er sei überzeugt, dass sie das spüren.
Thema kann wegen Fasnacht nicht warten
Stolz fügt hinzu, es werde vielleicht nicht wahrgenommen, was in Stockach getan werde, aber dafür die Summe der Solidarität in ganz Deutschland. Stockburger spricht einen weiteren Aspekt an: „Wir müssen aus unserer Komfortzone raus, zu denken, dass alles so bleibt, wie es ist. Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen dranbleiben und tragen Verantwortung.“ Er ruft dazu auf, dass möglichst viele Personen am Samstagabend kommen und die Aktion unterstützen. Es werde zwar momentan Fasnacht gefeiert, „aber wir können das Thema jetzt nicht lassen und nicht warten“, sagt er.
Stockach habe einige Verbindungen in die Ukraine, berichtet Stolz. Er habe bereits dem Bürgermeister von Chornomorsk geschrieben (siehe ganz unten). Es sei nur die Frage, ob der dortige Kollege irgendwann abgesetzt werde. Auch mit Horishni Plavni, von wo immer wieder behinderte Kinder nach Stockach kommen, und der Stadt Lwiw gebe es Kontakte. So erhalte man hier viele Informationen, was dort gerade passiere.
Die Stadt wolle zwar versuchen, die behinderten Kinder hierher zu holen, aber es sei unklar, ob das möglich sei. „Wir werden uns bemühen, etwas zu bewegen“, so Stolz. Horishni Plavni habe früher einen russischen Namen getragen. Nun könnte es passieren, dass die Stadt wieder umbenannt werde, falls sich die Machtverhältnisse ändern.
Unterstützung für die Ukraine
Die Aktion am Samstagabend soll erst der Anfang sein. Die Stadtverwaltung und die Pfarrer wollen Hilfsaktionen und -angebote zu bündeln und kanalisieren. „Momentan ist noch vieles unklar“, sagt Stolz. „Wir müssen einen Weg finden, um alles zu koordinieren – auch was Spenden angeht.“
Er sei den Kirchen „von Herzen dankbar“, dass die Veranstaltung in der Melanchtonkirche und bei St. Oswald möglich sei. Corinna Bruggaier unterstützt bei der Organisation.
Die Solidaritätsveranstaltung beginnt am Samstag, 26. Februar, 20 Uhr, in der Melanchtonkirche in Stockach.
Ein Brief für die Ukraine
- Post aus Stockach: Der Stockacher Bürgermeister Rainer Stolz hat einen Brief nach Chornomorsk (Ukraine) an seinen Bürgermeister-Kollegen Huljajew und die Einwohner geschickt. Darin steht unter anderem: „Mit großer Sorge und großem Zorn verfolgen wir in Stockach die Entwicklungen an der russisch-ukrainischen Grenze und im Donbass. Es macht mich fassungslos, mit welcher Selbstherrlichkeit und Ignoranz ein Präsident eines Nachbarstaates die Grenzen anderer selbständiger Staaten sowie deren gesamtes Staatswesen selbst als nicht existent und relevant erklärt. Eine Staatsmacht, die sich anmaßt andere Staaten zu überfallen und dies auch noch der Weltöffentlichkeit als Friedensaktion verkaufen will, ist an Perversion nicht zu überbieten.“ Stolz schreibt zudem: „Ich hoffe auch, dass sich die westlichen Regierungen, unsere Regierung eingeschlossen, endlich dazu bereitfinden, nicht nur mit Worten den Frieden zu suchen, sondern auch mit klaren und unmissverständlichen Haltungen und Handlungen. Ich bin dem Schicksal sehr dankbar, dass ich die Gelegenheit in meinem Leben gehabt habe, viele Menschen aus Ihrem Land kennen und schätzen zu lernen, und will Sie unserer großen Sympathie versichern.“
- Die Antwort: Der ukrainische Bürgermeister hat sich laut Stolz bereits bedankt, aber könne momentan nicht mehr sagen. (löf)