Nach 34 Jahren verabschieden Sie sich aus dem Gemeinderat. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Sitzung?

Ja. Das war bei der Vereidigung, ein wirklich feierlicher Moment.

Wann haben Sie erstmals im Gemeinderat das Wort ergriffen?

Schon in der ersten oder zweiten Sitzung, allerdings sehr unbedarft. Ich habe nach einer Bagatelle gefragt. Einfach eine Neulingsfrage gestellt.

Was hat Sie vor 35 Jahren motiviert, als Gemeinderat zu kandidieren?

Das hat mit einer Begegnung zu tun, und zwar 1988. Ich habe beim Aufbau des Stadtseefestes einen kräftigen Mann gesehen, der einen Sandhaufen auf der Straße bearbeitete, der dann beim Stadtseefest für die Kinder als Spielplatz dienen sollte. Der Mann war der damalige stellvertretende Bürgermeister und Gemeinderat Ernst Spöttl. Wenn sich der Bürgermeister so bevölkerungsnah dort hinstellt, dann kann ich auch für den Gemeinderat kandidieren, da sind recht Kerle drin, dachte ich mir.

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Sie haben ja einige Bürgermeister im Gremium erlebt. Wie war die Zusammenarbeit mit Hartmuth Dinter, Heiko Schmid, Thomas Kugler und jetzt Ralph Gerster?

Bei Bürgermeister Dinter gab es damals im Gremium eine Art Oligarchie der damaligen Fraktionschefs. Der übrige Gemeinderat hatte deshalb nichts zu sagen. Auch der BM tat sich schwer. Bei Heiko Schmid kann ich nur sagen: Eine Sternstunde für Pfullendorf. Er hat für die Stadt sehr viel erreicht, wobei er mit dem Ersten Beigeordneten Manfred Moll ein ideales Tandem bildete. Schmid war für Außen zuständig und Moll für das Innere. Die Zusammenarbeit zwischen Bürgermeister und Gemeinderat war sehr kooperativ und der Rat bekam neues Selbstbewusstsein. Thomas Kugler hat diese Entwicklungen gefestigt, konsolidiert und den Alltag gestaltet mit einer erfolgreichen Weiterentwicklung unsere Stadt.

Und Ralph Gerster?

Nach so wenigen Monaten Amtszeit von Herrn Gerster kann ich nicht viel sagen. Aber ich glaube, es geht in die richtige Richtung. Wobei mir schon neun Monate vor der Bürgermeisterwahl im Oktober 2022 klar war, dass er antreten wird, denn er hatte schon den Bart von Thomas Kugler (lacht).

Immer häufiger wird kritisiert, dass Gemeinderäte zu viele Themen nicht öffentlich besprechen. Ist diese Kritik berechtigt?

Das ist ein Irrtum. Zu 70 Prozent besteht die Gremiumsarbeit aus Verwalten und nicht Gestalten. Aber ja. Wir haben die 30 Prozent Gestalten zu wenig öffentlich gemacht. Oder Ideen vorher nur im Gremium diskutiert. Aber gibt es in Pfullendorfs Öffentlichkeit einen Bedarf an solchen Diskussionen? Wenn ich mir die Resonanz der Bevölkerung auf die Schließungspläne des Krankenhauses anschaue, fand das Thema keine große Resonanz im Gegensatz zu Bad Saulgau. Und man muss berücksichtigen, dass Gemeinderat und auch die Verwaltung keinen großen Spielraum haben. Es gibt enorm viele Vorgaben, Gesetze und Verordnungen, die man beachten muss und so für eigenständige Lösungen kaum Möglichkeiten hat.

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Früher habe es im Gemeinderat mehr Diskussionen und Ringen um Positionen gegeben – stimmt das?

Klare Antwort: Ja

Was war Ihre schwierigste Entscheidung?

Vor Jahren, die misslungene Abschaffung der unechten Teilortswahl.

Wie das?

Wir Freien Wähler wollten die unechte Teilortswahl schon vor vielen Jahren abschaffen, was der Gemeinderat und die Ortsteile damals ablehnten. Bei der folgenden Kommunalwahl haben wir uns eine blutige Nase geholt und zwei Sitze verloren.

Welche Entscheidungen würden Sie – mit dem Wissen von heute – anderes treffen?

Wir hätten schon vor Jahren für die Pfullendorfer Feuerwehr und die Rettungswache auf der „grünen Wiese“ einen Neubau hinstellen müssen. Dass sich die Stadtwehr immer noch inmitten des Wohngebietes befindet, und wir sehr viel Geld für die Gebäudesanierung ausgeben, ist enttäuschend.

Gibt es Projekte, die sie gerne verwirklicht hätten, wofür es aber im Gemeinderat keine Mehrheit gab?

So wie oben erwähnt, die Standortfrage für die Feuerwehr. Und als größte Niederlage empfinde ich, dass wir den medizinischen Standard in Pfullendorf nicht halten konnten, Facharztmangel bis hin zur Schließung des Krankenhauses.

Wie sehen Sie die Entwicklung von Pfullendorf aus kommunalpolitischer Sicht in den vergangenen 34 Jahren?

Unter der Ägide von Heiko Schmid wurde Pfullendorf von einem Mitspieler im Landkreis Sigmaringen zu einem Player in der Region. Die wirtschaftliche Entwicklung war hervorragend, mit Ausnahme des Niedergangs von Alno. Im Prinzip werden wir zum zweiten Speckgürtel für den Bodensee. Und wir haben noch weitere Potenziale.

Welche Potenziale meinen Sie?

Pfullendorf sollte sich als Tourismus- und Wellnessstandort entwickeln. Ich will kein Bad Pfullendorf, aber der Ausbau als Feriendestination für Besucher und Touristen, die von hier aus die ganze Region erkunden, bietet sich einfach an. Ein Campingplatz, zu dem auch Tiny-Häuser oder ähnliches gehören, wäre super. Aber dazu benötigt man einen Betreiber. Wir könnten auch Gebäude wie das bald leerstehende Pflegeheim als Übernachtungsmöglichkeit für den Kurztourismus nutzen. Dazu benötigt die Stadt aber eine bessere Werbestrategie.

Und die Innenstadt?

Vorab. Die Innenstadt umfasst mehr als die historische Altstadt. Da muss man nicht mehr über Abgrenzungen diskutieren. Wir müssen qualitatives Wohnen in der historischen Altstadt ermöglichen, eventuell mit Stellplätzen in einer Tiefgarage. Auch Kinderspielplätze fehlen hier. Wenn Spielplätze da sind, werden sich auch Familien niederlassen.

Was empfehlen Sie jungen Leuten, die für den Gemeinderat kandidieren wollen?

Gesucht sind keine Einzelkämpfer, sondern aktive Mitstreiter in einer Gruppierung, einer Fraktion, die sich einbringen. Wichtig ist die Vernetzung außerhalb des Gemeinderates, um so das Ohr nah bei den Bürgern zu haben.

Wenn Sie heute nochmals kandidieren würden, was würden Sie als Gemeinderat anders machen?

Ich würde für mich als gewählter Gemeinderat mehr Freiraum schaffen, besonders zeitlich, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Diese Kontakte und die daraus resultierenden Anregungen, Ideen, Wünsche und Vorschläge der Bürger würde ich dann in die Gremiumsarbeit einbringen. Diese Verzahnung und Netzwerkbildung zwischen Gemeinderat und Bürgern ist enorm wichtig.

Fragen: Siegfried Volk