Astrazeneca hat hierzulande keinen besonders guten Ruf. Das zeigte unter anderem die Tatsache, dass der Impfstoff vor Kurzem mit dem Namen Vaxzevria eine neue Bezeichnung verpasst bekommen hat. Einer, dem es wichtig ist, Astrazeneca-Ängste in der Bevölkerung aufzulösen, ist der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Winfried Keller. Er betreibt eine ausgewiesene Corona-Schwerpunktpraxis in Donaueschingen und sagt, er wolle den Menschen die Sorge nehmen.
Kein Grund zur Panik
Während des Gesprächs mit dem SÜDKURIER macht Winfried Keller deutlich, dass er die Leute beruhigen möchte. „Über 60-Jährige können problemlos mit Astrazeneca geimpft werden. Entsprechend den aktuellen Mitteilungen besteht für diese Altersgruppe diesbezüglich auch keine Gefahr“, macht der Mediziner deutlich. Ihm zufolge haben aber nicht wenige Menschen davor Angst, dass sie durch das Vakzin – wie vor allem jüngere Frauen – Thromboembolien gefährdet gegenüber stehen. „Das ist unberechtigt und falsch. Verschiedene Informationen haben zu einer sehr hohen Unsicherheit bei der Bevölkerung geführt“, schildert Keller. Dem HNO-Arzt sei wichtig kundzutun, dass auf Basis der derzeit gemäßen Impfempfehlungen – sowohl durch die Europäische Arzneimittel-Agentur Ema als auch die Ständige Impfkommission Stiko – überhaupt keine erhöhte Gefahr bestehe, wenn über 60-Jährige mit Astrazeneca geimpft werden. Und ganz allgemein sei eine Impfung mit eben diesem Vakzin „auf jeden Fall erheblich besser, als wenn die Leute sich aus Angst überhaupt nicht impfen lassen“, so der Mediziner.
Die Unruhen in Bezug auf das Vakzin des Herstellers Astrazeneca könne Winfried Keller als Impfarzt zwar einerseits nachvollziehen, doch andererseits hätten die von negativen Folgen betroffenen Personen – vorwiegend junge Frauen – gewisse Risikofaktoren gehabt. „Man kann bis heute ja noch nicht einmal garantieren oder sagen, das lag auf jeden Fall an dem Impfstoff, man kann nichts beweisen“, so der Arzt.
Vakzin negativ behaftet
Dass Astrazeneca nicht sonderlich beliebt ist, führt Keller auch auf die Berichterstattung zurück. „Wir haben 70-Jährige, die sagen, dass sie auf keinen Fall diesen Impfstoff haben möchten. Dabei gibt es für sie überhaupt kein erhöhtes Risiko. Es gibt keinen Grund, warum man diese Altersgruppe nicht damit impfen soll“, führt er aus. Der HNO-Arzt wirbt dafür, dem Impfprozedere in Deutschland ein gewisses Vertrauen entgegenzubringen. „Dadurch, dass nur noch negative Schlagzeilen über diesen Impfstoff zu lesen sind, überträgt sich die Angst auf die gesamte Bürgerschaft. Es ist eine große Verunsicherung da.“
Was bei der Handhabung mit Astrazeneca bis dato oft kritisiert wurde, ist das Hin und Her mit Impfstopps und sondergleichen. Winfried Keller würde das sogar nicht einmal als zwingend negativ bewerten, wenn sich Einschätzungen im Lauf der Zeit etwas verändern: „Die Empfehlungen werden eben immer wieder an die aktuellen Umstände angepasst, es gibt laufende Empfehlungen. Das Impfverhalten muss jeweils nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltet werden.“ Dass die derzeitige Empfehlung der Bundesregierung und der Stiko vorsieht, dass bei den unter 60-Jährigen nun für deren Zweitimpfung der mRNA-Impfstoff Biontech verwendet werden soll, entspreche auch den aktuellen Sicherheitsinteressen und sei richtig so. „Das ist die aktuelle Lehrmeinung“, sagt Keller. In vier Wochen könne das schon wieder anders aussehen, aber im Moment sei das so, um den Impflingen die bestmögliche Sicherheit zu bieten.
Indes stellt Winfried Keller laut eigener Aussage fest: „Sobald bekannt ist, dass ein Arzt mit Biontech impft, ist ruckzuck die Impfkartei voll, und so ist es auch bei uns in der Praxis.“ Biontech-Impftermine seien schon jetzt für die nächsten beiden Wochen mehr oder weniger ausgebucht, die Liefermöglichkeiten knapp. Bei Astrazeneca dagegen vermerke man, dass eher noch ein paar Menschen rekrutiert werden könnten. Doch es gebe jene, die sagen, es mache ihnen nichts aus, und jene, die das auf keinen Fall möchten. „Das trifft nicht nur uns, sondern bestimmt viele Impfärzte“, merkt der Mediziner an. Generell bewertet er es als positiv, dass Ärzte vor Ort in den Praxen impfen können: „Das ist wesentlich und wird sicherlich auch noch angepasst, von der Regierung sukzessive erweitert, soweit das möglich ist.“
Als Impfarzt ist Keller auch im Kreisimpfzentrum (KIZ) in Schwenningen tätig. Erschreckend müsse er dort feststellen, „dass manche Leute, die einen Termin mit Astrazeneca haben, einfach nicht erscheinen, das habe ich schon selbst erlebt“. Den Ablauf im KIZ befindet er für sehr gut, seiner Erfahrung nach sei das perfekt organisiert. Für ein erstes Fazit in der eigenen Praxis sei es dagegen noch zu früh, das werde sich zeigen. „Das ist allgemein jetzt am Anlaufen und unterstützt beziehungsweise ergänzt das Impfansinnen der Regierung, wenn in Praxen vor Ort als zusätzliche Option für die Bürger geimpft wird“, schildert er.
Seit Corona, und konkret seit dem Impfstart in den Arztpraxen, sieht Keller für alle Beteiligten ein erhebliches Plus an Arbeit. Seine Kollegen würden die Unsicherheit der Patienten über das Telefon spüren. Es sei ein fester Bestandteil der Arbeit, die Menschen darüber zu informieren, was impftechnisch möglich ist. „Der telefonische Beratungsaufwand ist schon hoch, aber das Aufklären macht man ja gern“, sagt der HNO-Arzt. In seiner Corona-Schwerpunktpraxis sei es so, dass Personen, die noch nicht terminberechtigt sind, über E-Mail oder Telefon auf eine Warteliste kommen. Diese seien dann an der Reihe, wenn der Impfberechtigungsplan es vorsehe und die Impfkapazitäten es ermöglichten. Wie viel Impfstoff eine Praxis bekommt, hängt laut des Arztes von dem ab, was lieferfähig ist, und von dem, was die Impfzentren benötigen. Er sei zuversichtlich, dass die im Moment noch limitierte Impfstoffmenge nach und nach aufgestockt werden könne.