Noch vor wenigen Tagen pochte die Landesregierung Baden-Württembergs auf die bisherige Impfpriorisierung der über 80- und über 70-Jährigen. Andere Bundesländer haben von der Möglichkeit direkt Gebrauch gemacht, als die Bundesregierung die bisherige Impfpriorisierung für Astrazeneca aufgehoben hat. Dann kam überraschend der Beschluss aus Stuttgart, dass die Impfungen nun doch für über 60-Jährige freigegeben werden. Bremsen die Vorbehalte mancher Menschen gegen den Impfstoff die Impfstrategie des Landes?

Der SÜDKURIER fragt beim Sozialministerium nach. Zahlen dazu, wie viele Menschen ihren Termin wieder absagten, weil sie nicht mit Astrazeneca geimpft werden wollen, liegen dem Ministerium demnach nicht vor. Auch ließe sich aus dem Vergleich von gelieferten und tatsächlich verimpften Dosen nicht bestimmen, ob Impfstoff ungenutzt zurückbleibe.

Keine Rückschlüsse auf Rückstände möglich

Sprecherin Claudia Krüger erklärt, woran das liegt: „Aus dem Vergleich aus gelieferten und verimpften Dosen lässt sich nicht schließen, dass der Rest ‚auf Lager‘ liegt. Das wird der Komplexität der Lieferkette und der jeweiligen Situation in den Imfpfzentren nicht gerecht. Impfstoff, der gerade noch im Kühlschrank liegt, ist schon in den nächsten Tagen für Impfungen verplant.“ Sie betont: „Jeglicher Impfstoff, der nach Baden-Württemberg kommt, wird auch verimpft.“

Demnach gebe es Impfzentren, die Impftage für über 60-Jährige anböten. In der Region scheint es allerdings keine Probleme zu geben, den Impfstoff an die Menschen zu bringen. Im Landkreis Waldshut bleiben bislang keine Impfdosen übrig, sagt Sprecherin Susanna Heim auf Anfrage: „Was wir haben, wird verimpft.“ Absagen kämen zwar vor. Liegen bleibe aber trotzdem nichts, erklärt Heim: „Wir führen Springerlisten mit Impfberechtigten, die wir anrufen und die kurzfristig kommen können.“

Keine übrig gebliebenen Dosen in der Region

Im Bodenseekreis hat sich ein ähnliches System etabliert, wie Sprecher Robert Schwarz dem SÜDKURIER sagt. Es gebe „keine nennenswerten Überschüsse oder Reste.“ Dennoch liegt die Ausfallquote im Bodenseekreis demnach „bei etwa zehn Prozent – entweder, weil die terminierten Patienten nicht erscheinen oder sich im ärztlichen Gespräch gegen dieses Produkt entscheiden.“

Keine der Dosen verfielen aber, fügt Schwarz hinzu: „Die nicht verwendeten Impfdosen werden dann für die kommenden Tage zusätzliche als weitere Termine im Anmeldesystem freigegeben.“

Eine medizinische Fachkraft zeigt eine Ampulle mit dem Corona-Impfstoff von Astrazeneca. Wegen der mehrmals geänderten Empfehlungen, für ...
Eine medizinische Fachkraft zeigt eine Ampulle mit dem Corona-Impfstoff von Astrazeneca. Wegen der mehrmals geänderten Empfehlungen, für wen der Impfstoff geeignet ist, herrscht bei manchen Menschen Verunsicherung. | Bild: Marijan Murat

Das Kreisimpfzentrum in Singen hat keine Probleme, Astrazeneca-Termine zu vergeben, sagt der Sprecher des Kreises Konstanz, Jens Bittermann, dem SÜDKURIER: „Nach der öffentlichen Information der freien Termine für den Impfstoff Astrazeneca sind diese in kürzester Zeit gebucht worden“, ergänzt er.

Einheitliches Konzept für Nachrücker fehlt

Das Sozialministerium hat kein einheitliches Konzept aufgestellt, um abgesagte Termine zentral neu zu vergeben: „Wir haben die Impfzentren angewiesen, keine Impfdosen zu verwerfen. Manche der Zentren führen Wartelisten mit aktuell Impfberechtigten, die kurzfristig kontaktiert werden können.“

Dass immer noch viele über 80-Jährige auf einen Termin warten, kann die Sprecherin aber nicht bestätigen. Die Warteliste werde zwar weitergeführt und sei daher nie ganz abgearbeitet, dennoch sinke die Nachfrage. 5362 Menschen warteten Mitte der Woche noch auf einen Termin. Nur noch 20 bis 40 über 80-Jährige pro Tag ließen sich den Angaben zufolge noch auf die Liste setzen. Nach Angaben des Ministeriums seien inzwischen mehr als 70 Prozent der über 80-Jährigen geimpft.

Eine Krankenschwester impft im Impfzentrum in Tübingen eine Frau mit dem Impfstoff von Biontech.
Eine Krankenschwester impft im Impfzentrum in Tübingen eine Frau mit dem Impfstoff von Biontech. | Bild: Marijan Murat

Die Liste der Menschen, die wegen des vorübergehenden Astrazeneca-Impfstopps ihren Termin verloren, werde noch abgearbeitet.

Neue Termine werden laut Sozialministerium täglich online gestellt und können gebucht werden. Doch die Sprecherin sagt auch: „Die Nachfrage ist noch so hoch, dass nicht jeder einen Termin bekommt, der anruft.“

Ministerium verteidigt Freigabe für über 60-Jährige

Die Impfungen für die über 60-Jährigen freizugeben, sei dennoch der richtige Schritt gewesen, weil „in einzelnen Impfzentren Termine frei bleiben. Mit dem Blick auf die gesamte Impfkampagne ist es deshalb notwendig, jetzt den nächsten Schritt zu gehen“. Das Ministerium setzt darauf, dass über 70-Jährige, „die es vielleicht in der letzten Zeit nicht mehr versucht haben, nun einen Termin buchen“.

Das soll nun auch über die Callcenter vereinfacht möglich sein. „Durch eine Änderung in der Terminvergabe kann das Callcenter exklusiv auf Termine zugreifen und diese vergeben“, erklärt die Sprecherin.

Erleichterungen sollen auch die erwarteten größeren Lieferungen im April bringen. Nach Angaben des Sozialministeriums erhalten die Impfzentren demnach pro Woche etwa 300.000 Impfdosen, weitere Dosen gehen an die Hausärzte. Die größeren Liefermengen steigern auch das Tempo der verabreichten Impfungen in den Impfzentren: Am Dienstag sind erstmals mehr als 45.000 Impfungen verabreicht worden. Zusätzlich werden die Vor-Ort-Impfungen in den Kommunen fortgesetzt, teilweise auch schon für die über 70-Jährigen.

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Dass die Lieferung von Johnson&Johnson nun erst einmal auf Halde liegt, trifft den Südwesten indes kaum: „Für die Impfzentren in Baden-Württemberg war bislang nur eine einzige Lieferung Johnson und Johnson von rund 31.000 Impfdosen in dieser Woche angekündigt.“ Der Einschnitt ist also überschaubar.