Nach den Impfungen in den Alten- und Pflegeheimen und den ersten Personen, die im Kreisimpfzentrum den Wirkstoff gegen Corona erhalten haben, soll das weitere Impfen über die Hausärzte geregelt werden. So wie es bei vielen anderen Impfungen eben auch der Fall ist.
Und der Auftakt ist auch schon gemacht. In rund 40 Praxen in Baden-Württemberg wird bereits über Hausärzte geimpft. Dieses Pilotprojekt soll nun erst einmal sechs Wochen laufen und praktische Erfahrungen über die Abläufe sammeln: Wie läuft die Logistik, wie wird die Bürokratie abgewickelt, welche Mengen sind machbar?
Ab April sollen die niedergelassenen Ärzte in Deutschland flächendeckend mit den Corona-Impfungen beginnen. Darauf haben sich die Gesundheitsminister von Bund und Ländern geeinigt. Aber wie sieht es bei den örtlichen Hausärzten aus – sind sie auch bereit dafür?
Ein höherer Aufwand
Was klar ist: Der Aufwand für die Corona-Impfung ist in den Praxen ungleich höher als bei anderen Impfungen: „Es ist eine eigene Software nötig, um die notwendigen Daten ans Robert-Koch-Institut zu übermitteln“, erklärt Allgemeinmediziner Karl Stuff, der seine Praxis in der Mühlenstraße hat. Man impfe viele anderen Krankheiten, wie etwa die Grippe, Meningitis oder Tetanus. Dort sei jedoch der damit verbundene bürokratische Aufwand nicht zu vergleichen: „Bei der Corona-Impfung wird es ein riesiger Papierstapel. Für die Dokumentation und die damit verbundene Bürokratie braucht man wesentlich länger“, sagt Stuff.
Auch die mit der Impfung verbundene Aufklärung werde sicher länger dauern: „Wir haben in der Praxis keine Impfstraßen, wie in den Zentren. Zudem bringen die Patienten ihrem Hausarzt ein anderes Vertrauen entgegen. Daher gibt es auch viele Fragen, die wir beantworten.“ Dieses Vertrauen wertet Stuff allerdings auch als einen Vorteil: „Meine Patienten fragen mich alle, ob sie sich impfen lassen sollen.“
Es könnte einfacher laufen
In Deutschland werde seiner Meinung nach um den Ablauf der Impfungen ein viel zu großes Aufheben gemacht: „Schauen sie etwa nach Israel, da wird in den Kneipen geimpft.“ Schnell und unkompliziert. Eine Impfung dauere mit der damit verbundenen Information rund 15 bis 20 Minuten. „Am Arbeitstag kommen sie damit nicht weit“, erklärt der Arzt. Seine Praxis habe sich für 20 Leute täglich angemeldet. „Das ist wenig, weil der Aufwand so hoch ist. Wir kommen damit auf 100 Leute pro Woche.“ Das ginge auch anders, ist sich Stuff sicher: „Wir könnten sehr viel schneller sein.“ Er denkt dabei etwa an eine Sammelinformation im Wartezimmer, dann schnell die Impfung im Anschluss.
„Wenn es nach mir ginge, dann hätte ich von Anfang an die Hausärzte mit ins Boot geholt. Wir haben die notwendigen Strukturen und erfahrene Apotheken“, sagt er. Auch der Biontech-Impfstoff sei sechs Stunden haltbar, wenn er schnell verbraucht werde. Stuff sieht im April ein Problem: „Wenn die EU dann 100 Millionen Impfdosen bekommt, ist so viel da, dass es zu einem Problem wird, in dem Tempo zu impfen.“
Bereits vor 25 Jahren gewarnt
Dass die Pandemie so überraschend eingeschlagen habe, sieht Stuff etwas differenzierter: „Die Weltgesundheitsorganisation mahnt seit 25 Jahren davor, dass eine Pandemie kommen kann. Kein Land hat sich darauf vorbereitet.“ Eine unglückselige Verbindung von entstehenden Kosten und abstrakten Vorstellungen. „Man hätte schon vorher entsprechende Strukturen bilden können, um dann etwa Desinfektionsmittel und Masken parat zu haben.“
Auch in Zukunft
Mit Pandemien werde man es auch in der Zukunft weiter zu tun haben, davon ist Stuff überzeugt: „Wir dürfen uns hier an die Virologen halten: Das war nicht die letzte Pandemie.“ Seit sich Menschen in nie gekannter Geschwindigkeit über die Kontinente bewegen und die Welt immer vernetzter sei, breiten sich auch Krankheiten entsprechend aus. Vieles davon könnte schon beseitigt sein, würden sich alle impfen lassen. So etwa bei den Masern als Beispiel.
Früher wäre besser
„Mehr als ernüchternd“ sieht Hausarzt Jens Kistenbrügger die Situation. Wenn die Politik feststelle, dass Hausärzte erst im April mit dem Impfen anfangen, dann bedeute das im Umkehrschluss: „Wir dürfen im März schlicht noch nicht.“ Kistenbrügger ist Teil der Praxisgemeinschaft Donaueschingen im Ärztehaus am Karlsgarten.
Wie er sagt, könnten die Hausärzte wesentlich schneller mit dem Impfen gegen Corona anfangen. Voraussetzung seien Infrastruktur-Vorgaben der Kassenärztlichen Vereinigung: „Mit den neuen Impfstoffen gibt es noch nicht so viel Erfahrung. Aber die konventionellen sind kein Problem.“ Dabei sei es sogar positiv, wenn zwischen erster und zweiter Impfung mehr Zeit vergehe: „Das stellt Hausärzte vor keine Probleme.“
Die Logistik dahinter
Als Hauptproblem sieht Kistenbrügger die mit der Impfung verbundene Logistik. So die Wartezeit nach der Impfung. Das ist etwa bei Allergikern notwendig: „Wie soll das gehen: zehn Leute jeweils mit Sicherheitsabstand warten lassen? Es ist schwierig, wie das ablaufen soll.“
Dennoch zeige die Erfahrung der vergangenen Monate, wie sicher die Impfstoffe seien. Es gebe also keine Hinderungsgründe, sie wie die klassischen Impfungen zu verabreichen: „Alle Hausärzte, die ich kenne, würden sofort loslegen.“ So wie es in anderen Ländern auch schon geregelt werde. „Es ist jetzt wichtig, dass wir in die Breite gehen und die Sommermonate ausnutzen.“ Es sei ein „ganz schlechtes Signal“, die Hausärzte jetzt warten zu lassen. Sie seien die „Haupt-Impfärzte“.
Kistenbrügger ist der Meinung, das Virus werde nicht gänzlich verschwinden: „Mit den Mutationen habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass es weg sein wird. Ich denke, es wird noch Jahre bleiben und wir impfen es später eben wie viele andere Krankheiten auch.“
Vorteil beim Hausarzt
Die Vorteile der hausärztlichen Impfung sieht er im Vertrauensverhältnis zu den Patienten und den Möglichkeiten der Risiko-Abschätzung, wer zuerst eine Impfung benötige: „Es wäre wünschenswert, dass Hausärzte entscheiden können.“ Sie kennen Patienten und ihre Krankheitsbilder teilweise bereits seit Jahren. Damit die vielen Fragen zur Impfung im Vorfeld etwas abgefangen werden, soll ein Aufklärungsbogen auch online veröffentlicht werden: „Darin wird dann vieles vorweggenommen. In der Praxis dauert es dann nicht so lange.“
Was dort aber schon aufschlägt, das sind die Anrufe bezüglich des Impfens: „Es sind jeden Tag sicher um die 50, die sich informieren wollen, wann es denn losgeht oder ob es eine Warteliste gibt.“ Kistenbrügger sieht hier durch die Ankündigungen der Politik schon jetzt Kapazitäten gebunden. Auch in der Sprechstunde sei es großes Thema: „Spätestens beim Rausgehen wird danach gefragt.“
Langfristig sieht Kistenbrügger das Impfen durch die Hausärzte als „einzig möglichen Weg“. Dass so eine Pandemie wieder auftreten könne, davon ist er überzeugt: „Bereits nach der Vogelgrippe gab es einige Mahner unter den Mikrobiologen. Sie warnten vor einer Pandemie. Das wurde damals abgetan.“ Er hat die Hoffnung, dass die Menschen aus den jetzigen Erfahrungen lernen. „Dass sie etwas mitnehmen, um zu verhindern, dass so etwas wieder auftritt.“