Für die Donaueschinger war der 8. März 2010 ein trauriger Tag. Damals starb die frühere legendäre Lehrerin Elisabeth Stierle überraschend. Ihr Leben hatte sie damit verbracht, etliche Schülergenerationen in der Stadt zu inspirieren und ihnen wichtige Werte zu vermitteln. Kinderlos geblieben, betrachtete sie ihre Schüler als ihre Aufgabe.
Nicht verwunderlich also, dass auch ihr Testament zum Wohle der Allgemeinheit beitrug. Sie vermachte der Donaueschinger Bürgerstiftung stolze 766.250 Euro. Um ihrem Anspruch gerecht zu werden, lobt die Stiftung regelmäßig den Elisabeth-Stierle-Preis aus, der besondere Leistungen von Schülern honoriert.
Das Andenken Elisabeth Stierles soll nun auch noch in anderer Form bewahrt werden: Ulrich Christ vom Vorstand der Bürgerstiftung arbeitet an einer Biografie zu der beliebten Lehrerin. Dazu hat er sich mit Zeitzeugen unterhalten, Archive durchforstet und Quellen aus jenen Tagen untersucht, in denen Liesel Stierle, wie sie genannt wurde, in der Stadt unterrichtete.

Etliche Gespräche mit Zeitzeugen
Ein dreiviertel Jahr lang hat Christ etwa 60 Gespräche geführt, war im Staatsarchiv in Freiburg, hat im Landgericht Konstanz Akten geblättert. Die Zeitzeugen sind mittlerweile auf der ganzen Welt verteilt: „In den Vereinigten Staaten, Frankreich, Frankfurt, Berlin...“, erklärt Christ. „Es waren alles sehr interessante Gespräche“, wenngleich es auch viele Wiederholungen gegeben habe, beschreibt er.
Es sei spannend, aus den Mosaikteilen, die er in seiner Arbeit zusammenträgt, jetzt ein Bild zu zeichnen, das der Donaueschinger Lehrerin gerecht werde: „Ich werde einigen Zeitzeugen das Material vor der Veröffentlichung auch lesen lassen“, sagt Christ. Und wie wird Elisabeth Stierle von denen beschrieben?

„Ich habe von allen gehört, dass sie die beste Lehrerin gewesen sei“, erklärt Christ. Stierle unterrichtete ab 1945 bis Juli 1980 an der Heinrich-Feurstein-Grundschule. Lediglich von den letzten Jahrgängen habe es auch mal kritische Töne gegeben: „Da ging es etwa um die Lehrmethoden.“ Aber auch von diesen Menschen sei Stierle überwiegend als positiv und ihre Wertevermittlung als nachhaltig beschrieben worden.
Viele kommen zu Stierles Bestattung
Die Beliebtheit, die sei auch bei der Beerdigung sichtbar gewesen. Obwohl Elisabeth Stierle nur noch wenig Familie hatte, waren sehr viele Menschen dabei. Nach dem Tod des Vaters pflegte Stierle mehrere Jahre ihre kranke Mutter. Viele Jahre lebte sie in der Käferstraße, zuletzt in der Linsenöschstraße.
„Nachdem die Mutter verstorben war, konnte sie ausgiebig ihren Hobbies, wie Wandern, Reisen, Besuch von Konzerten und Kunstausstellungen, Treffen mit ehemaligen Schüler und vielem weiteren nachgehen“, sagt Christ.
Stierle blieb bis zu ihrem Tod ledig, hatte aber wohl in jungen Jahren einen Freund, der im Krieg ums Leben gekommen ist. Von da an habe sie ihr Leben in den Dienst der Kinder gestellt, die sie unterrichtete. Der Beruf als Berufung. „Sie hatte wohl immer ein freundliches Gesicht, strahlte Freude aus und zeigte eine Grundzufriedenheit.
Diese Lebensbejahung gab sie auch den Schülern mit auf den Weg.“ Der evangelische Religionsunterricht von Elisabeth Stierle schien so beliebt zu sein, dass auch die Kinder anderer Konfessionen zu ihr wollten.

Kein Wunder also, wenn sie auch nach der Schulzeit auf Jahrgangstreffen der Ehemaligen immer gern gesehen war. „Sie interessierte sich auch dafür, was aus den Schülern wurde – da sie ja auch Tipps zur Berufsvorbereitung gab“, sagt Christ. Das Vertrauensverhältnis sei so groß gewesen, dass mancher Schüler sich zuerst Liesel Stierle anvertraute, bevor er irgendeinen Streich den Eltern beichtete.
Was es von der Lehrerin dann als Strafe zu erwarten gab, das waren nicht etwa Schläge – wie zu früheren Zeiten noch oft üblich – sondern pädagogisch: „Strafarbeiten waren bei ihr immer mit Sinn, damit daraus auch was gelernt wurde.“ Der moderne Ansatz spiegelte sich auch an anderer Stelle. So gab es im Klassenzimmer auch mal klassische Musik vom Plattenspieler zu hören. Stierle wuchs behütet auf, Musik spielte in der Familie immer eine Rolle.
Gedichte von der Reise nach Schottland
Von späteren Reisen Stierles gibt es sogar noch Gedichte, die Teilnehmer verfasst haben. Zu ihrem 70. Geburtstag unternahm sie eine Busreise nach Schottland. Dort habe es einen Stopp in Gretna Green gegeben. Dort duften viele Jahre Minderjährige ohne die Erlaubnis der Eltern heiraten. Also organisierte die Reisegruppe eine Schein-Hochzeit. Die Braut war natürlich die ledige Liesel Stierle. „Es gab dann mehrere Heiratswillige“, sagt Ulrich Christ. Die Reise sei immer wieder Thema bei Ehemaligen-Treffen, wie auch das Gedicht über diesen Tag. Über die Ehemaligen pflegte sie zu sagen: „Ihr seid meine Großfamilie.“
Aus all diesem wird Ulrich Christ die Biografie entstehen lassen. Aktuell ist er dabei, das zusammengetragene Material zu sortieren und miteinander zu verweben: „Einen ersten Entwurf will ich bis zum Jahresende fertig haben“, sagt er. „Mir ist wichtig, dass es authentisch wird – und dass Zeitzeugen später sagen: ‚Jawohl, da finde ich sie wieder‘.“ Geplant ist bislang eine Auflage von 200 Exemplaren der Biografie. Gerne nimmt Ulrich Christ noch weitere Informationen und Wissenswertes zu Liesel Stierle an.