Am letzten Apriltag sitzt ein Teil des SPD-Vorstands des Stadtverbands Donaueschingen bei einer Sitzung zusammen. Die Vorsitzende Martina Wiemer, hat zu sich nach Hause eingeladen. Neben Vorstandsthemen diskutieren die Sozialdemokraten auch die Ergebnisse des nur wenige Stunden zuvor von den knapp 360.000 Genossen abgesegneten Koalitionsvertrags mit der Union.
Hauptaufgabe: „Vertrauen zurückgewinnen“
Die Hausherrin zeigt sich zwar nicht gänzlich zufrieden mit den Ergebnissen der Verhandlungen: „Dafür bin ich umso erleichterter, dass es keine Neuwahlen geben wird.“ Die Aufgabe der neuen Koalition sieht Wiemer vor allem darin, das Vertrauen der Bevölkerung in die demokratischen Parteien zurückzugewinnen. „Aber das wird eine Herkulesaufgabe“, seufzt sie.

Gerade bei den Themen Soziales und Klima grummelt es am Donaueschinger Esstisch. „Was fehlt, ist die Vermögenssteuer. Da hat die CDU keinen Mut zu gehabt“, zeigt sich Gemeinderat Gottfried Vetter enttäuscht, der als Kassierer fungiert. Auch die Ausgestaltung des Mindestlohns ist ihm zu schwammig formuliert.
Gemischte Gefühle nach Koalitionsverhandlungen
Als Erfolg verbucht Klaus Koch die Einführung eines Digitalministeriums. Davon erwartet er sich mehr Energie, um die Digitalisierung voranzutreiben. Susanne Duelli-Meßmer freut sich über die Weiterführung von Bildungsprogrammen. Insgesamt, sagt sie, sei sie zufrieden mit den Resultaten: „In der Relation zum Wahlergebnis passt die Darstellung.“
Bei der Personalie Lars Klingbeil, seines Zeichens neuer Vizekanzler und Finanzminister, scheiden sich die Geister. Den Umgang mit Parteichefin Saskia Esken kritisieren aber alle Genossen am Tisch. „Das ärgert mich sehr. Wie mit ihr umgesprungen wurde, ist unsäglich“, beklagt etwa Duelli-Meßmer.

Neuer Kanzleramtschef bekommt Sonderlob
Gänzlich zufrieden mit dem CDU-Personaltableau zeigt sich dagegen der Eschinger CDU-Vorsitzende und Gemeinderat Martin Lienhard. Vor allem, dass der Parteifreund und ehemalige Oberbürgermeister Thorsten Frei nun eine Schlüsselrolle einnehmen wird, freut ihn: „Wir haben schon damals gemerkt, dass er zu Höherem berufen ist.“

Den Koalitionsvertrag mit der SPD bewertet er als tragbar. Schließlich wüsste jeder in der Union, dass es in Koalitionen immer Kompromisse geben müsse. Erleichtert zeigt sich Lienhard darüber, dass es keine Dreierkonstellation in der Koalitionsbildung benötigt habe.
Wenig Kritik bei den Inhalten
Beim Blick in den Vertrag findet Lienhard viele positive Punkte: „Staatsmodernisierung, Digitalisierung und Bürokratieabbau sind wichtige Ziele. Jetzt muss es die Koalition nur noch umsetzen.“ Er sei zuversichtlich, dass man in der Migrationsdebatte eine klare Linie fahren werde.
Bei den Themen Rente und Gesundheit hätte er sich hingegen etwas mehr „Fleisch an den Rippen gewünscht“. Ebenfalls unerfreulich seien die Diskussionen um den Mindestlohn: Dass diesen eine Kommission festlege, sei in einer sozialen Marktwirtschaft der richtige Weg.
CDU vermeldet keine Austritte
„Bei uns gab es keine Austritte“, stellt der CDU-Chef klar. „Es gab zwar Gegrummel ob des Sondervermögens. Da ging es aber vor allem um die zeitliche Abfolge“, so Lienhard. Insgesamt zeigt man sich verständnisvoll, schließlich sei die neue Regierung in einer historischen Situation. Wichtig sei, dass das Geld gezielt ausgegeben und nicht mit der Gießkanne verteilt werde, fordert Lienhard.
Eine Chance sieht man bei der Union darin, die politische Mitte zu stärken und die Ränder wieder einzufangen, indem man das Vertrauen in die Demokratie zurückhole. Zum Beispiel durch die Entbürokratisierung, mit der Lienhard durch seine Tätigkeit im Baugewerbe selbst täglich kämpfen muss. Das seien aus seiner Sicht „low-hanging fruits“, also einfach umzusetzende Maßnahmen.