Als Johanna Ehret am vergangenen Mittwochvormittag sah, wie ihre Mutter Maria mit dem Krankentransport nach Hause gebracht worden war, kamen ihr fast die Tränen. „Sie trug ein Nachthemd des Krankenhauses, darüber ein Hausmantel aus Polyester. Die Beine waren nackt, die Füße steckten in Socken und Latschen“, beschreibt sie Ankunft der 89-jährigen dementen Frau in Aasen, wo Johanna Ehret zusammen mit ihrer Mutter lebt.
Schon etwas blaugefroren sei die alte Frau nach der zehn- bis 15-minütigen Fahrt vom Klinikum nach Aasen gewesen. Ganz kurz wollte die Tochter den Fahrer des Rettungstransports zur Rede stellen, aber dieser beteuerte, er richte die Patienten nicht für den Abtransport, sondern sei nur für die Fahrt zuständig.
Das halbe Gebiss fehlt
Doch wichtiger war es in der Situation, die Mutter ins Haus zu führen. „Sie schnatterte schon vor Kälte“, fügt Johanna Ehret an. Drinnen habe sie ihr warme Sachen angezogen, sie auf die Couch gesetzt und ihr einen Tee gemacht. Dann die nächste böse Überraschung: „Ich habe gemerkt, dass der obere Teil des Gebisses fehlt“.
Noch warme Sachen in der Tasche
Als die Tochter in der unordentlich eingeräumten Tasche nach der Zahnprothese sucht, merkt sie dass sich darin auch warme Socken, Stulpen, Hosen, Pullis und ein warmes Jäckchen finden. Kleidung, die sie ihrer Mutter nach Donaueschingen gebracht hatte.
„Man hätte meine Mutter richtig anziehen können“, schimpft Johanna Ehret am Telefon, nachdem sie sich mit ihrer Beschwerde an den SÜDKURIER gewendet hatte. Warum das nicht geschah, wollte sie noch am Mittwochvormittag telefonisch mit dem Klinikum klären. Zwei Telefonate habe sie geführt mit einer Ansprechpartnerin, die Ehret als fuchtig beschrieb. Allerdings habe sie sich, wie sie einräumt, auch nicht mehr beherrschen können: aus Ärger darüber, weil ihr niemand Auskunft gibt und aus Angst darüber, dass ihre Mutter nach der chaotischen Heimfahrt doch noch ernstlich krank werden könnte.
Inhaltlich habe man ihr gesagt, es sei beim Abholen Übergabe gewesen und die Ansprechpartnerin mit dem Medikamente richten beschäftigt. Das Gebiss wie auch ein Schlüssel, der sich in der Tasche befunden habe, konnte man nicht mehr finden. Die Reinigungsfirma sei schon durchgegangen, gibt Johanna Ehret die Auskunft wieder.
Entlasstermin kurzfristig vorverlegt
Ärgerlich empfand Ehret auch den kurzfristig angeraumten Entlasstermin. Noch am Dienstagabend habe ihr ein Arzt gesagt, ihre Mutter käme Anfang nächste Woche nach Hause. Für die Tochter war das in Ordnung. So hätte sie, selbst ohne Auto und Führerschein, mit der Enkelin zusammen ihre Mutter abholen können. Am Mittwoch wiederum Johanna Ehret einen Anruf, ihre Mutter könnte noch an diesem Morgen abgeholt werden. Als Ehret anmerkte, sie habe keine Fahrmöglichkeit, hieß es, ihre Mutter werde gebracht: rund 40 Minuten später mit dem oben beschriebenen Ergebnis.
Auf den von Johanna Ehret monierten Vorfall angesprochen, hielt sich Klinik- Geschäftsführer Matthias Geiser knapp. Er könne das nicht bestätigen, sagte er auf SÜDKURIER-Anfrage. Die Seniorin sei durch das Rote Kreuz nach Hause gebracht worden. In der Folge habe ein einstündiges Gespräch zwischen der zuständigen Pflegekraft und der Beschwerdeführerin stattgefunden. Mehr mochte Geiser aktuell nicht sagen und begründete das: „Wir wollen nicht eine öffentliche Auseinandersetzung mit und über unsere Patienten und deren Angehörigen“, fügte er an.
Zur Verschwiegenheit verpflichtet
In der Folge der SÜDKURIER-Berichterstattung, die am 30. Dezember online gegangen ist, äußerte sich Kliniksprecherin Sandra Adams am Donnerstag dieser Woche ausführlicher. Nach wie vor könne man die Darstellung von Frau Ehret nicht bestätigen. „Wir sind zur Verschwiegenheit verpflichtet und können keine Aussagen zu Patienten machen“, schickt sie voraus. Selbst wenn eine Aufhebung der Schweigepflicht vorliege, gebiete das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Klinikum und Patient starke Zurückhaltung.
Demente Patienten sind besondere Herausforderung
Allgemein kam Adams auf die besondere Arbeitssituation auf der Corona-Station des Klinikums unter dem herrschenden Besuchsverbots zu sprechen. Sehr aufwendig sei es, angefangen beim Vollschutz bei den Mitarbeitern, Corona-Patienten zu versorgen. Eine besondere Herausforderung sei dies bei dementen und ängstlichen Patienten, die sich fern von ihren Bezugspersonen auf der Corona-Station befinden.
Das Personal auf Station leiste einen aufopferungsvollen Job, betont Adams. Wenn dann aber die Enttäuschung dieser Pflegekräfte über die Online-Berichterstattung und die von Johanna Ehret so geschilderten Erfahrungen aufeinanderprallen, könnte mehr Mithilfe der Angehörigen die Situation entspannen.
„Das Besuchsverbot heißt ja nicht, dass man keinen Kontakt aufnehmen kann“, so die Kliniksprecherin.
Wäscheaustausch an der Rezeption
Angehörige könnten mit der Station telefonisch besprechen, was die Patienten benötigen. Frische Wäsche könne man in Taschen an der Rezeption abgeben, gebrauchte abholen. Das sei wichtig, denn das Krankenhaus habe keine Kleiderkammer und „Wäsche wäscht sich bekanntlich nicht von alleine“. Davon abgesehen sei es für die Patienten auch tröstend, benötigte Sachen und liebe Grüße von zu Hause zu erhalten.
Versicherung zahlt vermutlich die Zahnprothese
In zwei Punkten haben sich Frau Ehrets Sorgen bereits auflösen können. Der vermisste Schlüssel wurde von Verwandten abgeholt und was die Zahnprothese anlangt, sei eine Schadensmeldung geschrieben. Die Angelegenheit werde wohl über die Versicherung der Klinik laufen, so auch Ehrets Einschätzung.
Maria Ehret war am 18. Dezember mit dem Krankentransport ins Klinikum nach Villingen-Schwenningen gefahren worden. In den Tagen zuvor hatte sie einen leichten, beschwerdefreien Husten. Am 18. Dezember, einem Freitag, wollte Johanna Ehret ihre Mutter vor dem Frühstück richten. „Auf einmal sackte sie zusammen und ich konnte sie gerade noch auf den Teppich absitzen lassen.“ Der Husten war über Nacht plötzlich rasselnd laut geworden.
So kam ihre Mutter zunächst nach Villingen und wurde danach noch am späten Abend, als eine Covid-19-Infektion zunächst per Schnelltest nachgewiesen worden war, ins Klinikum nach Donaueschingen eingewiesen, wo zentral Corona-Erkrankungen behandelt werden. Auch wenn zum Zeitpunkt der Verlegung das Ergebnis des nachfolgenden PCR-Tests noch ausstand, deuteten die Symptome auf eine Corona-Infektion hin, erinnert sich Ehret an das Gespräch mit einem Arzt. Sie selbst musste in Quarantäne, die sie zwischenzeitlich verlassen konnte.