Während auf politischer Ebene weiter diskutiert und die Entscheidung, die Michael-Balint-Klinik zu schließen, scharf angefochten wird, steht das Personal nun vor den bitteren Tatsachen: Seit einer Woche liegen den Mitarbeitern die Kündigungen vor. Ab Mitte November ist das gesamte Personal freigestellt und erhält kein Gehalt mehr. Das bestätigte der Vorsitzende des Betriebsrats, Christian Schrodt, jetzt gegenüber dem SÜDKURIER.
Personal blickt ins Ungewisse
Es sind nicht nur 100 Arbeitsplätze, die in Königsfeld verloren gehen, sondern auch 100 Menschen, die schlagartig einer ungewissen Zukunft entgegenblicken. Menschen, die über Jahre hinweg ihr Herzblut in die Klinik gesteckt haben – wie Gerlinde Müller. Die 63-Jährige ist Assistentin der Verwaltungsleitung und hatte am Mittwoch ihren letzten Arbeitstag. Der Schreibtisch ist leer geräumt, immer wieder klopft es an ihrer Tür. Vorbei kommen Menschen, die sich von ihr verabschieden wollen. „Ich könnte heulen“, sagt Gerlinde Müller und wischt sich über die Augen.

„Es war furchtbar. Jeder ist schockiert.“
Drei Jahre lang hat sie in der Michael-Balint-Klinik gearbeitet. Die Arbeit, die Kollegen, die Patienten – das alles wird ihr fehlen. Von der Schließung hat Gerlinde Müller am 15. Oktober in der Betriebsratsversammlung erfahren. Jetzt, zwei Wochen später, räumt sie ihren Arbeitsplatz. „Es war furchtbar, jeder ist schockiert“, erzählt sie. „Es ist dramatisch für uns alle, keiner kann es nachvollziehen.“ Beworben hat sich Gerlinde Müller noch nicht, es sei alles viel zu schnell gegangen. Wie es für sie weitergeht, weiß sie nicht. Eigentlich hatte sie geplant, bis zur Rente in der Klinik zu arbeiten, vielleicht sogar darüber hinaus, sagt sie.
Sorge um Patienten
Dass die Schließung überraschend kam, bestätigt ein weiterer Mitarbeiter gegenüber dem SÜDKURIER. Seinen Namen möchte er in der Zeitung nicht lesen. Er ist psychologischer Psychotherapeut, spezialisiert auf Trauma-Therapie. Seit 18 Jahren arbeitet er in der Klinik. „Die Stimmung ist gedrückt, alle schauen, wie sie unterkommen“, beschreibt er die Situation vor Ort. Er sorgt sich vor allem um die Patienten. Darunter seien „extrem traumatisierte Menschen“ oder chronisch suizidale Patienten. „Einige von ihnen leben heute nur, weil es die Michael-Balint-Klinik gibt.“ Die Frage, wer die Patienten nun übernehme, treibt ihn um. „Wie bringen wir sie unter?“, fragt sich der Therapeut. Händeringend würden die Mitarbeiter seit Wochen nach Kliniken für die Patienten suchen. Informationen, wie es für die Patienten weitergehe, gebe es keine. „Niemand kümmert sich um die Patienten. Das bleibt alles an uns hängen.“
Bindung an Therapeuten wichtig
Hinzu kommt für ihn ein weiterer Aspekt, der von Seiten der Politik nicht berücksichtigt worden sei: Bei traumatisierten Patienten spiele die Beziehung zum Therapeuten eine große Rolle. Diese wieder neu und woanders aufzubauen, sei eine immense Herausforderung, sowohl für die Patienten als auch für die Therapeuten. „Das wurde alles nicht bedacht“, ärgert sich der Trauma-Therapeut. Allein 20 Patienten nähmen momentan die Trauma-Therapie in Anspruch. Und dann sei da noch die Warteliste mit 150 Personen, darunter viele Trauma-Patienten. Auch, wenn er selbst sich keine Sorgen darüber macht, etwas Neues zu finden, bedeutet das Klinik-Aus doch einen tiefen Einschnitt. Bis jetzt war sein Arbeitsplatz fußläufig zu erreichen, auf ein Auto konnte er verzichten. Würde er künftig in Rottweil im Vinzenz von Paul Hospital arbeiten, hieße das eineinhalb Stunden Busfahrt und zweimal Umsteigen.
Vorwürfe an Politik und Krankenkassen
Vorwurfsvoll zeigt sich der Betriebsratsvorsitzende Christian Schrodt gegenüber der Politik und den Krankenkassen: „Alle haben auf juristischer Ebene gestritten. Es ging nie um die Patienten und das Personal.“ Die Zukunft vieler Mitarbeiter schätzt Schrodt als schwierig ein: „Ein großer Teil steht erst einmal auf der Straße.“ Um Ärzte, Therapeuten und Pflegepersonal mache er sich keine Sorgen. Anders sehe es beim Küchenpersonal, in der Verwaltung oder im hauswirtschaftlichen Bereich aus. Und genau dies sei der Großteil der Angestellten, so Schrodt. Nämlich etwa 80 der 100 Mitarbeiter. Hinzu komme, dass der Altersdurchschnitt des Personals sehr hoch sei. Es bestünde zwar, so Schrodt, die Möglichkeit, dass sich die Mitarbeiter in Rottweil im Vinzenz von Paul Klinikum bewerben, das künftig die 42 Akutbetten aufnehmen wird, das sei jedoch bestimmt nicht für alle Mitarbeiter die Lösung.
Schließung mit vielen Konsequenzen

Gunther Haag war seit 2002 in der Klinik als Chefarzt und stellvertretender Chefarzt tätig. Im Juli hat er mit 75 Jahren aufgehört zu arbeiten. Die Klinik liegt ihm am Herzen. Die Schließung habe, so Haag, Konsequenzen auf mehreren Ebenen: für Mitarbeiter, Patienten und für die Gemeinde Königsfeld. Für die Michael-Balint-Klinik sieht er inzwischen keine Chance mehr: „Man kann wahrscheinlich nichts mehr retten. Es ist schlecht gelaufen.“ Der Verband der Ersatzkassen (VDEK) hätte die 42 Akutbetten der Luisenklinik geben und somit den Standort erhalten können, findet Haag. Enttäuscht ist er von Sozialminister Manfred Lucha: „Er hätte ein Machtwort sprechen können.“ Das Argument des VDEK, dass mit den Betten auch Arbeitsplätze nach Rottweil übernommen werden, ärgert Haag. Therapeuten oder Ärzte hätten sicher kein Problem, etwas zu finden, aber was sei mit dem Rest? Vielen von ihnen geht es wie Gerlinde Müller: Sie wissen nicht, wie es für sie weitergeht.