Er war mitten drin und live dabei, als sich in den Achtzigern die Grünen im Land gründeten. Wolfgang Kaiser muss heute auch überrascht lächeln, wenn er rückblickend feststellt, wie aktuell viele der Forderungen der einstigen Polit-Spontis im Jahr 2021 noch sind. Die Gründung der regionalen Gruppe der Grünen fand im Villinger Schlachthof statt. Zum Tagungslokal der Gruppe wurden später aber die Ganterstuben.
Was zählte, waren die Projekte
Kaiser selbst war in früheren Jahren nicht parteipolitisch aktiv. Aber: Der Protest gegen das geplante Atomkraftwerk Wyhl am Kaiserstuhl habe ihn geprägt – „und beeindruckt“, wie er heute sagt. „Von Studenten wie mir über Bauern bis hin zu Unternehmern war da alles auf der Straße“, erinnert er sich an die erfolgreiche Protestwelle. Das Atomkraftwerk wurde nie gebaut.

Kaiser sagt heute, der Kampf für den Umweltschutz sei damals auch vom Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) ausgegangen, den er in der Region mitgegründet hat. Er erinnert an den verstorbenen Donaueschinger Günther Reichelt, der für viele über Jahrzehnte ein Orientierungspunkt gewesen sei. Kaiser schildert, wogegen er sich damals alles engagiert habe: Bis nach Chile und zum Diktator Pinochet habe die politische Zielrichtung gereicht.
Was ihn damals prägte
Geprägt habe ihn schon früh das Buch „Die Grenzen des Wachstums“. Die Inhalte seien bis heute aktuell. Kaiser räumt heute auf seiner Terrasse in Bad Dürrheim ein, dass Denk- und Stoßrichtung der eigenen Politik nicht immer ganz gestimmt hätten. Etwa bei den Bedenken gegen die Digitalisierung. Eine Technikskepsis will er aber nicht gänzlich verdammen, „das zu hinterfragen nennt man ja heute schließlich Technikfolgen-Abschätzung“, sagt er.

Kaiser redet offen. Viele seien damals „lieber in ihren Bewegungen engagiert gewesen, die Partei war lange zweitrangig“. Dritte Welt-Läden, Demo-Gruppen, all das habe „Priorität gehabt für die meisten von uns“. Erst im Laufe der Zeit sei „klar geworden, dass wir in die Parlamente müssen, um etwas zu verändern“. Er selbst kam auf Anhieb in den Bad Dürrheimer Gemeinderat für die Liste für Bürgerbeteiligung und Umwelt. Da ist er bis heute mit seiner Erfahrung aktiv. Dass Kaiser als Mitglied des Landesvorstands zur Spitze der Partei in Baden-Württemberg gehört, wissen viele. Winfried Kretschmann sei wie er „aus dem linken Lager zur Gründungsversammlung der Partei gestoßen“. Kaiser war sowohl im Land wie auch im Bund mit dabei in der Stunde null, vorsichtig hebt er einen Zettel hoch. Seine Stimmkarte vom Bundesparteitag am 12. und 13. Januar 1980 in Karlsruhe.
Die Theorien von damals sind heute noch aktuell
Er räumt ein, dass es in den Anfangsjahren darum gegangen sei, die etablierte Politik „zu provozieren. Das war zunächst die politische Mission“. Was aber passt von damals zu heute? Kaiser muss keinen Moment überlegen. Er beginnt mit den Details: Straßenverkehr: Einer der wichtigsten Leitgedanken sei damals wie heute dieser Satz gewesen: „Ein Verkehrskonzept muss für die Menschen gemacht sein, nicht für Autos.“ Kaiser muss schmunzeln, wenn er daran denkt, was er seinerzeit alles unternommen habe. „Von uns wurde fast jede Brücke beschriftet. Wir haben ein Tempolimit gefordert. Und heute stehen wir wo?“, stichelt er im Gespräch und schiebt triumphierend hinterher: „Sogar der ADAC habe sich nunmehr mit dem Gedanken von Tempo 130 auf Autobahnen arrangiert“, stellt er fest.

Schon in den Achtzigern hätten er und seine Mitstreiter gegen die Ausdehnung von Gewerbegebieten und ganzen Kommunen in die Fläche protestiert. Dass heute bei Villingen ein Straßenbauprojekt vom grünen Landesverkehrsminister durch ein Vogelschutzgebiet zum Mönchsee unterstützt werde, sieht er als „ein leider notwendiges Umdenken“ in der Partei. „Wir haben gelernt, dass eine Gesellschaft verschiedene Interessen hat“, sagt er dazu.
Wie sich die Region veränderte
Früher, so Kaiser, hätten die Grünen über den sauren Regen aufgeklärt, heute über die klimabedingte Trockenheit. Er erzählt dazu die Geschichte vom Bad Dürrheimer Förster. Zu Beginn seiner politischen Karriere im Gemeinderat sei das Ziel „ein aufgeräumter Wald gewesen. Erst mit Ewald Weber, der mittlerweile pensioniert ist, wurde umgedacht. Totholz blieb liegen, für die Kleintiere“, erklärt er.
„Man braucht Kipppunkte und die richtigen Menschen dazu, um ein festgefahrenes Thema bewegen zu können“, sagt er einen seiner Kernsätze. Bei der Atomkraft sei der Kipppunkt Fukushima gewesen, und auch die Person Kanzlerin Merkel, sagt er anerkennend.

Dass Themen aus den Achtzigern noch heute diskutiert werden müssen, liegt laut dem Landesschatzmeister der baden-württembergischen Grünen an „ der Schneckenhaftigkeit“ vieler Prozesse. Er nennt den Straßenverkehr wie den Waldumbau. Ein Erfolg auf einem solchen langen Weg sei das Thema Wasserschutz. Schon vor Jahrzehnten hätten die Grünen auf die Überdüngung und die Nitratbelastung im Wasser hingewiesen. Dass in Bad Dürrheim “viele kleine Quellen“ damals stillgelegt worden seien, „das war ein Fehler“, sagt er heute. Ein Fortschritt sei, dass sich die Gemeinden Brigachtal und Bad Dürrheim zusammenschlössen, um die Wasserversorgung in Zeiten des Klimaschutzes zukunftssicher zu machen. Das sein „ein Fortschritt und zukunftsorientiert“.
Das Lob für die alten Haudegen
Kaiser spricht mit hohem Respekt von vielen Grünen der ersten Stunde aus der Region. Siegfried Seilnacht, der in von Donaueschingen aus „gegen viele harte Widerstände“ ein erstes Windrad bei Hausen vor Wald errichtet habe. Alfred Bruttel aus Villingen, der seinen Lehrer-Job verlassen habe und Solar-Unternehmer wurde, zählt er zwei Beispiele auf, die aus seiner Sicht herausragen. Sie hätten es geschafft, was ein anderes Gründungsmitglied der Grünen immer postuliert habe: „Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben“, ein Satz von Fritz Kuhn, dem bisherigen Stuttgarter Oberbürgermeister.
Kaiser wirkte viele Jahre als Ortsvorsteher in Biesingen. Er schätzt die Kleinteiligkeit der Ostbaar-Dörfer, genießt Sonne und Landluft. Dass er heute schelmisch „der grüne Kaiser“ genannt wird, lässt ihn lächeln. Der Sponti von einst hat Polit-Karriere gemacht. Kaiser macht keinen Hehl aus den harten Kämpfen von damals.
Er wurde von der Polizei in Mutlangen von der Straße getragen, als Tausende gegen US-Raketen mit Sitzblockaden vorgingen. Er organisierte die von Hunderttausenden gebildete Menschenkette von Stuttgart nach Ulm mit, um die US-Raketen-Transporter symbolisch zu blockieren. Dann zieht er im Gespräch mit dem SÜDKURIER lächelnd zwei Stoffbänder aus einem Ordner. „Entrüstet Euch“, prangt auf dem Stoffstreifen. Sie erinnern an den Protest gegen die Nato-Nachrüstung mit Pershing-Raketen mit , gegen die er eine Menschenkette zwischen Stuttgart und Ulm mit organisiert hat.
Ebenso glasklar stemmte er sich vor 25 Jahren gegen die geplante Sondermülldeponie bei Durchhausen, die verhindert wurde. „Dagegen sein kann auch für etwas sein“, sagt er. Und ergänzt: „Zum Beispiel für eine bessere Lebens-Perspektive.“
In jedem Wahlkampf strategisch oder aktiv dabei
Bis heute ist Kaiser einer der regional führenden Köpfe der Partei. Bei Wahlkämpfen zieht er mit die Strippen, sei es bei Abstimmungen zu Bürgermeisterposten oder in Landtags- und Bundestagswahlen.
Wie hart seinerzeit politisch gerungen wurde, wird in diesem Beitrag deutlich: