Den Kopf gesenkt, der Blick leer – so schleppte sich der Angeklagte am Dienstagmorgen zu seinem Platz im Gerichtssaal, während die Fußfesseln am Boden rasselten.
Ziemlich genau sechs Monate sind vergangen, seitdem der kleine Ort Neukirch – ein Ortsteil von Furtwangen im Schwarzwald – durch seine Tat in eine Schockstarre versetzt worden ist. Dort hatte ein junge Mann am Tag vor Heiligabend seinem Vater bei einer Auseinandersetzung schwere Verletzungen zugefügt, an denen der 61-Jährige einen Tag später erlag. Dafür musste der 27-Jährige sich nun vor Gericht verantworten.
Eine „glückliche Familie im Schwarzwald“ – so bezeichnete Oberstaatsanwalt Egon Kiefer die geordneten Verhältnisse. Im Haus – idyllisch gelegen am Ortsrand – wohnten drei Generationen friedlich beisammen. Das spätere Opfer, ein 61-Jähriger, war lange Zeit im Narrenverein engagiert. Jeder kannte ihn in Neukirch.
Trügerische Familienidylle
Doch: Die Familienidylle fand schon vor Jahren ein Ende – wurde vertrieben von Angst und Schrecken, wie es Angehörige bezeichneten. Schuld daran sei die psychische Erkrankung des heute 27-Jährige gewesen.
Aus gutem Hause und wohlerzogen aufgewachsen, beschrieben ihn Familienangehörige – dann habe sich sein Gemüt plötzlich gewandelt. Konflikte mit den Eltern, die über das Übliche hinaus gingen, ein komplettes Zurückziehen, einhergehend mit Drogenkonsum und dem Fokus auf Computerspiele.
Er höre Stimmen, habe er seiner Mutter gesagt. Im Haus habe man sich in den schrecklichen Phasen seiner psychischen Ausnahmezustände nur noch mit Pfefferspray bewegen können. Die Schlafzimmertür sei nachts abgeschlossen worden.
Dass der Sohn ernsthafte psychische Probleme habe, sei aber von der Familie nicht erkannt worden. Eine notwendige Behandlung blieb daher aus. „Die Eltern wollten ihn nicht zwangsweise einliefern lassen“, sagte Kiefer, ohne dabei Vorwürfe aufkommen lassen zu wollen.

Lediglich einen Heilpraktiker habe man aufgesucht – kurz vor der schrecklichen Tat habe der Sohn sogar noch mit ihm telefoniert. Im Nachgang betrachtet sei es „unverständlich“, wie der Vorsitzende Richter Arno Hornstein sagt, „dass man es mit alternativen Behandlungsmethoden versucht“ habe.
Eine psychische Diagnose für das bedrohliche Verhalten lag daher nicht vor. Der Kontakt des Heilpraktikers zum späteren Täter sei nicht ohne Folgen geblieben. „Der Angeklagte hat sich regelrecht auf ihn eingeschossen“, erklärt der Oberstaatsanwalt.
Vater erleidet Nervenzusammenbruch
Es war der 23. Dezember 2021 in Neukirch, als am Abend der Vater aus der Gastwirtschaft nach Hause kam – „gut gelaunt und voller Vorfreude auf Weihnachten“ wurde von der Familie der Gemütszustand des 61-jährigen Familienvaters beschrieben. Dass der Abend in einer Tragödie enden sollte, habe, so ist man sich nach den Ermittlungen sicher, niemand ahnen können.
Einen Streit oder eine Auseinandersetzung, genau lasse sich dies nicht mehr rekonstruieren, habe es höchstwahrscheinlich kurz darauf mit dem Sohn gegeben. Anders könne es sich niemand erklären, dass der Vater nach der Euphorie plötzlich einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Seine Frau und die Mutter hätten sich daraufhin in der Küche um ihn gekümmert.
Unvermittelt in Kopf geschossen
Was danach passierte, ist, so bezeichnet es Hornstein, „im Grunde unerklärlich“. Mutter und Großmutter wurden Zeuge, wie der 27-Jährige die Küche betrat, während er hinter dem Rücken eine Waffe versteckte. Drei oder vier Schritte ging er auf seinen Vater zu, der immer noch zusammengesunken und weggetreten am Küchentisch saß, und habe ihm unvermittelt in den Kopf geschossen. „Das war eine Hinrichtung“, sagt die Großmutter.
„Ihr müsst keine Polizei rufen, ich bringe mich jetzt um“, soll er anschließend gesagt haben. Während die Familie Hilfe rief, stieg der Schütze in sein Auto. Mit dabei: Molotowcocktails. Das Ziel: die Adresse des Heilpraktikers im Breisgau.
Während Polizei und Rettungsdienst an den Tatort eilten, flüchtete der 27-Jährige über Simonswald auf die Bundesstraße bei Gutach im Breisgau. Dort konnte er schließlich festgenommen werden – die Polizei verhinderte damit mutmaßlich eine weitere Tat.
Gutachter: Sohn leidet an Wahnvorstellungen
„Wir hatten zunächst keine Hinweise auf die psychische Erkrankung“, erklärt der leitende Ermittler Kiefer. Das habe die Ermittlungen zunächst erschwert. Mittlerweile sei klar: Der Sohn leide an einer paranoiden Schizophrenie und Wahnvorstellungen. Das habe auch ein Gutachter feststellen können.
Daraufhin war klar: Für den 27-Jährigen kommt eine Schuldunfähigkeit in Betracht – statt einer Gefängnisstrafe stand deshalb eine Unterbringung in einer Psychiatrie im Raum.
Nichtsdestotrotz: Die Staatsanwaltschaft war sich sicher, dass der Sohn heimtückisch gehandelt hat, erhob deshalb Anklage wegen Mordes. Der Streit sei zum Zeitpunkt des Angriffs bereits beendet gewesen, der Vater habe nicht bemerkt, was der Sohn vorhatte und habe deshalb nicht ahnen können, was kurz darauf passierte.
„Trotz seiner Erkrankung ist nicht ausgeschlossen, dass er taktisch und klug vorgeht“, so Kiefer, der betont: „Er hat die Waffe hinter dem Rücken versteckt, ihm war klar, was er tut.“ Woher die Waffe kam, eine scharf gemachte Schreckschusspistole vom Typ Walther P22, ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt.
„Glockenklar“ war es angesichts der Umstände für den Vorsitzenden Richter Arno Hornstein, dass es sich bei der Tat angesichts der Heimtücke um Mord gehandelt habe. Es sei „schockierend“, zu was der Mensch „krankheitsbedingt fähig ist“ – hinterrücks habe er seinen Vater „abgeknallt“.
Eine Unterbringung infolge der Krankheit und der Schuldunfähigkeit sei unvermeidlich. „Die Gefahrenprognose ist unstrittig“, sagt Hornstein. Auch der Staatsanwalt sieht beim Angeklagten ein „unkalkulierbares, erhebliches Risiko“. Dem konnte selbst die Verteidigerin nicht widersprechen.
Ohne Angst leben
Mit seinen letzten Worten richtete sich der Angeklagte an die Kammer: „Ich habe meinen Vater auf dem Gewissen. Das Böse hat mich getrieben. Ich bitte um Verzeihung.“ Das Urteil – die Einweisung in die Psychiatrie – akzeptierte der 27-Jährige.
Trotz der unfassbaren Tat, die die Familie zerstört hat, gab es bereits wieder erste Annäherungsversuche. Mutter und Sohn hätten telefoniert, sagte seine Verteidigerin. Und auch die Nebenklagevertreterin der Familie machte deutlich: „Der Beschuldigte soll sich behandeln lassen, dann könnte man ihm eine Perspektive bieten.“ Doch zunächst wolle man „ohne Angst leben“.