Herr Saleh, was hat sich mit Corona in der Behörde verändert?
Es musste durch die stets neu gewonnenen Erkenntnisse schnell reagiert werden. Deshalb mussten regelmäßige Besprechungen innerhalb des Landratsamtes und mit diversen Akteuren der öffentlichen Verwaltung stattfinden. Das hat letztendlich auch die Organisationsstruktur des Gesundheitsamtes geprägt.
War die Behörde auf diese Krise vorbereitet?
Es bestand zuvor schon ein nationaler „Influenza Pandemieplan“ – welcher 2017 neu verfasst wurde – und einer des Landes Baden-Württemberg. Da jedoch niemand mit solch einer Pandemie Erfahrung hatte, war die Pandemiezeit trotz Vorbereitung von ständig neuen Anpassungen geprägt.
Was bleibt aus Sicht des Amtsarztes an Erkenntnissen aus der bisherigen Krise?
Die Pandemie kann nur durch Zusammenarbeit und Solidarität zwischen Politik, Verwaltung und der Gesellschaft effektiv bekämpft werden.
Wo sind die Herausforderungen in den kommenden Jahren aus medizinischer Sicht?
Die Infektionskrankheiten waren bisher immer ein Begleiter der Menschheit, auch wenn die Bekämpfungsmittel in der Gegenwart besser sind. Wir müssen davon ausgehen, dass sich daran in Zukunft nichts ändern wird und Infektionskrankheiten uns weiterhin beschäftigen werden.
Weshalb lassen sich manche Bevölkerungsgruppen kaum impfen? Was tun Sie wo genau und wie dagegen?
Wir gehen davon aus, dass das soziale Milieu eine größere Rolle spielt, unabhängig von der ethnischen Herkunft. Deshalb wurden beispielsweise Impfaktionen in Flüchtlingsheimen durchgeführt. Der unterschiedlich verbreiteten Desinformation muss weiterhin mit Aufklärung begegnet werden.
Wie prägt Sie aktuell Ihre Arbeit? Hadern Sie mit Zweiflern, wie groß ist der Ärger über Trickser, Motzer und andere? Was erleben Sie da aktuell?
Wir haben relativ wenig mit Zweiflern zu tun. Womöglich ist diese Gruppe in der öffentlichen Wahrnehmung überrepräsentiert. Mit Tricksern haben wir mehr zu tun, etwa bei der Einhaltung der Quarantäneauflagen. Wahrscheinlich wird die Gefahr von manchen Menschen als nicht real genug empfunden.
Das Gesundheitsamt steht immer wieder in der Kritik. Es werde oft für lange Zeit Quarantäne verhängt auf Grund positiver Schnelltests, obwohl negative PCR-Tests sofort nachgereicht werden. Warum läuft das so?
In individuellen Fällen kommt es leider manchmal zu Missverständnissen. In diesen Fällen werden etwa Quarantänezeiten im Nachhinein angepasst. Ansonsten hält sich das Gesundheitsamt an die Verordnungen des Landes und die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts.
Warum wurde vor der dritten Welle nicht stringenter reagiert? Hätte das nicht verhindert werden können, hier bei uns?
Letztendlich hat sich das Gesundheitsamt stets an die gesetzlichen Vorgaben und Verordnungen gehalten. Das Gesundheitsamt kann sich über diese nicht hinwegsetzen und in Eigenregie größere Einschränkungen verhängen.
Ihre Prognose für die nächsten fünf Jahre: Was passiert hinsichtlich der Ansteckungsgefahren. Was kommt? Dritte Spritze? Wann impfen wir uns alle 2022 wie und wo und womit?
Covid-19 wird weiterhin eine meldepflichtige Krankheit bleiben und es werden immer wieder Fälle an uns gemeldet, wie bei anderen Infektionskrankheiten. Wie schwer weitere Wellen sein werden, kann die Fachwelt nicht sicher beantworten. Die Impfungen werden voraussichtlich über die Ärzte erfolgen. Auch dafür wird es keine gesonderte Infrastruktur mehr geben. Die braucht es dann auch nicht mehr. Welcher Impfstoff sich durchsetzt und weiterentwickelt wird, bleibt abzuwarten.
Welche Parameter sind künftig richtig für die Einordnung der Lage? Inzidenz? Klinikum? Mortalitätsrate pro 100.000 Einwohner...?
Die Inzidenz war bisher ein zuverlässiges Instrument. Es zeigte einen Trend frühzeitig an und korrespondierte auch mit der verspätet auftretenden Krankheitslast für die Gesellschaft. Langfristig wird sich zeigen, welche Krankheitslast bei welcher Inzidenz und bei welcher Durchimpfungsrate einhergehen wird.
Insgesamt: Was macht das alles mit Ihnen ganz persönlich als Mensch?
Ich habe mir oft überlegt, wie der eine oder andere Ausbruch hätte verhindert werden können. Ich glaube, die einzig erfolgreiche Methode war das Niedrighalten der Inzidenz in der allgemeinen Gesellschaft.
Neu war für mich, dass die Kritik ans Gesundheitsamt oder ans Gesundheitswesen im Allgemeinen sich weniger an die eigentlichen Misserfolge der Pandemiebekämpfung, welche leider nicht immer zu vermeiden waren, gerichtet waren. Die Kritik galt fast immer den Einschränkungen. Die Mitarbeiter wurden in langen Telefongesprächen verwickelt. Es gingen lange E-Mails ein. Es wurde mit dem Rechtsanwalt oder der Presse gedroht. Dieses Missverhältnis kannte ich nicht von meiner vorherigen, achtjährigen Tätigkeit als Chirurg.
Hier möchte ich aber noch unbedingt betonen, dass sich die meisten Betroffenen Menschen vernünftig und solidarisch verhalten haben, und die Einschränkungsmaßnahmen ohne Wenn und Aber ertragen haben.
Fragen: Norbert Trippl