Herr Landrat, Corona bleibt, sagen die Fachleute: Welche Konsequenzen hat das wo genau für den Landkreis?

Die schwierigste Frage gleich zu Beginn, das fängt ja gut an! Seriös lässt sich das natürlich jetzt noch nicht für alle möglichen Lebensbereiche abschätzen – dies zu können, maße ich mir nicht an.

Manchmal ziemlich allein: Landrat Sven Hinterseh verfolgt die Ergebnisse der Landtagswahl im Herbst 2020 in einem fast leeren ...
Manchmal ziemlich allein: Landrat Sven Hinterseh verfolgt die Ergebnisse der Landtagswahl im Herbst 2020 in einem fast leeren Kreistagssaal. Ein Techniker ist mit dabei. | Bild: Matthias Jundt

Klar ist aber, dass wir – die Experten scheinen sich insoweit einig zu sein – lernen müssen, auf längere Zeit mit dem Virus und seinen Varianten, wo wir in Zukunft vielleicht auch noch einige neue sehen werden, zu leben.

Was hat die Krise den Kreis bis heute gekostet?

Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Im Jahr 2020 wurden rund 820.000 Euro direkt für coronabedingte Aufwendungen ausgegeben. Diese Ausgaben verteilten sich über die gesamte Kreisverwaltung mit all ihren Aufgaben. Hierzu zählen beispielsweise die Beschaffung von PSA, also persönlicher Schutzausrüstungm wie etwa Masken, Schutzkittel, Schnelltests. Die Miete des Lagers für diese Gegenstände oder Verpflegung der Ehrenamtlichen bei diversen Einsätzen und so weiter und so fort. Teilweise waren auch investive Beschaffungen nötig, welche jedoch nur anteilig erstattet werden – Laptops fürs Abstrichzentrum, welches nicht vollständig durch die Kassenärztliche Vereinigung bezahlt wird.

Haben Sie Details?

Im Bereich der Schulen wurden PSA und Schnelltests benötigt, die aber im Wesentlichen vom Land gestellt wurden. Zudem war ein intensiveres Reinigen notwendig. Diese Mehrkosten wurden aber durch teilweise Schulschließungen aufgefangen.

Im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs gab und gibt es natürlich massive Rückgänge bei den Fahrgastzahlen. Für 2020 gab es einen annähernd auskömmlichen ÖPNV-Rettungsschirm, 2021 muss die kommunale Seite voraussichtlich 20 Prozent des Defizits mittragen – im Landkreis sind das eventuell rund 900.000 Euro.

Im Schwenninger Kreisimpfzentrum: Matthias Fellhauer, Direktor der Apotheke im Schwarzwald-Baar Klinikum und Leiter des Labors im ...
Im Schwenninger Kreisimpfzentrum: Matthias Fellhauer, Direktor der Apotheke im Schwarzwald-Baar Klinikum und Leiter des Labors im Kreisimpfzentrum mit Landrat Sven Hinterseh und Sonja Gutzeit (von links, hier auf einem Archivbild vom Impfstart im Impfzentrum), die eine Spritze aufzieht. | Bild: Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis

Externe Aushilfskräfte im Gesundheitsamt wurden und werden vom Land finanziert. RKI-Scouts werden vom Bund bezahlt, da diese dort angestellt sind. Für eigenes ins Gesundheitsamt abgeordnetes Personal erfolgt kein Kostenersatz.

Zu Hoch-Zeiten hatten wir im Gesundheitsamt zwölf Kräfte aus anderen Ämtern des Landratsamtes aus einem Pool von zirka 28 Kräften (im Wechsel) im Einsatz. Zudem waren 20 Bundeswehrsoldaten und acht RKI-Scouts sowie zehn Unterstützungskräfte, also neu für das Gesundheitsamt eingestellte Personen, im Gesundheitsamt zu Spitzenzeiten tätig.

Im Bereich des Sozialamts sind in 2020 keine wesentlichen Zusatzkosten durch Corona entstanden. Bei den Fallzahlen des Jugendamts zeigt sich insbesondere in den letzten Monaten, dass die Fälle der Inobhutnahmen (durch häusliche Gewalt) deutlich steigen, was neben den schweren Folgen für die Betroffenen auch deutlichen finanziellen Aufwand nach sich zieht.

Wie hat das Virus aus Ihrer Sicht unsere Kreisgesellschaft geprägt?

Für viele von uns – und auch für mich persönlich – war es im Frühjahr 2020 nicht absehbar, dass wir uns so lange mit der Bewältigung der Corona-Pandemie befassen müssen. Die lange Zeitspanne der Pandemie hat die Menschen natürlich geprägt. Vor allem in der Anfangsphase der Pandemie waren wir um unsere älteren Mitmenschen besorgt und unsere Pflegekräfte und Ärzte in Kliniken und Pflegeheimen mussten sich einer Herausforderung stellen, die so noch nie dagewesen ist. Der Schutz von Leben und Gesundheit stand hier im Mittelpunkt. Die Pandemie hat auch viel Leid gebracht. In dieser Zeit konnten wir sehen, wie Menschen bei uns zusammenhalten und Rücksicht aufeinander nehmen. Das Verständnis für zahlreiche Einschränkungen war für viele selbstverständlich. Ich denke schon, dass wir in dieser Phase der Pandemie stark zusammengerückt sind.

Sind wir jetzt mit dem Schlimmsten durch?

Wie es schon zu Beginn der Pandemie prophezeit wurde – wir befinden uns in der Bewältigung der Corona-Pandemie nicht in einem Schlussspurt bei einem Wettrennen, sondern in einem Langstreckenlauf. Und während der langanhaltenden Pandemiezeit drohte uns, vor allem in der dritten Welle, die Puste auszugehen. Es war deutlich zu spüren, dass das Verständnis der Bürger für viele Maßnahmen zu schwinden drohte.

Kurz nach Ausbruch der Krise: Am 17. März 2020 wird Landrat Sven Hinterseh für eine weitere Amtszeit gewählt. Dies war die letzte ...
Kurz nach Ausbruch der Krise: Am 17. März 2020 wird Landrat Sven Hinterseh für eine weitere Amtszeit gewählt. Dies war die letzte Sitzung des Gremiums, die nicht unter Corona-Bedingungen abgehalten wurde. | Bild: Hahne, Jochen

Und gerade auch bei uns im Schwarzwald-Baar-Kreis war die dritte Welle bisher die Herausforderndste. Zu einem Rückgang des Verständnisses kamen in unserer Region Infektionszahlen hinzu, die über dem Durchschnittswert lagen und so ein zügiges Lockern der Einschränkungen nur zäh ermöglichten. Da ist es durchaus nachvollziehbar, wenn bei manchen dann die Nerven blank lagen. Ich hoffe, dass wir einer vierten Welle mit nur wenigen Einschränkungen begegnen können.

Welche Herausforderungen resultieren aus den Krisenmonaten März 2020 bis Mai 2021? Wie lösen Sie diese? Was brauchen Sie dazu? Was davon haben wir nicht? Stimmen die Strukturen unserer öffentlichen Einrichtungen und Verwaltungen?

Herausfordernd war, dass diese Krise lang anhaltend ist. Das hat uns auch innerhalb unserer Verwaltung eine enorme Kraftanstrengung gekostet, vor allem was den Personaleinsatz betrifft. Klar hilft man sich als Kollegen mal aus, wenn es brennt. Aber auf Dauer gesehen, muss auch die normale Arbeit erledigt werden. Im Gesundheitsamt haben viele Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ämtern mitgeholfen, wofür ich sehr dankbar bin. Schließlich erhielten wir auch Unterstützung durch die Bundeswehr und durch RKI-Scouts, was etwas zur Entspannung beitragen konnte.

Und besonders hervorzuheben ist sicherlich, dass es eine große Herausforderung ist, sich mit allen Beteiligten abzustimmen. Die Kommunikation untereinander war für uns äußerst wichtig und natürlich auch die Information an die Bevölkerung. Ferner haben wir einen ganz engen Austausch mit unseren Städten und Gemeinden.

Landrat Sven Hinterseh antwortet für SÜDKURIER-Leser: Was gelang in den Corona-Monaten, was nicht? Video: Trippl, Norbert

Welche drei Dinge haben aus Ihrer Sicht gut funktioniert?

Die Zusammenarbeit mit unseren Blaulichtorganisationen hat wunderbar funktioniert. Beispielsweise wurden in kürzester Zeit bei der Messe die Corona-Abstrichstelle und später das Kreisimpfzentrum aufgebaut.

Der Betrieb des Kreisimpfzentrums funktioniert einwandfrei – großes Kompliment an alle, die dort arbeiten.

Der Austausch mit unseren Städten und Gemeinden ist wertvoll und wichtiger denn je und funktioniert sehr gut.

Und welche drei Dinge haben Ihrer Auffassung nach nicht so gut funktioniert?

Ich hätte mir gewünscht, dass das Impfen unserer älteren Bevölkerung zu Beginn auf eine andere Art und Weise organisiert worden wäre. Hier wurde auf ein Medium verwiesen, das vielen fremd war.

Auch die Verteilung der Impfstoffdosen von Seiten des Landes hätte anders und besser erfolgen können.

Und bei aller engagierten Arbeit der Lehrer, Pädagogen und Erzieher finde ich, dass insbesondere die Schulen, bei den Kitas war es durchaus anders, auch im Vergleich mit anderen Staaten, zu lange gebraucht haben, um wieder an den Start zu kommen. Im Herbst muss alles Mögliche unternommen werden, um einen Lockdown in den Schulen zu verhindern.

Gab es den Moment, wo unsere Strukturen auf der Kippe standen? Wann, wo, warum? Was war die Lösung?

Mit besonderer Hilfe ab November 2020: Das Gesundheitsamt wird durch Soldaten des Jägerbataillons 292 aus Donaueschingen bei der ...
Mit besonderer Hilfe ab November 2020: Das Gesundheitsamt wird durch Soldaten des Jägerbataillons 292 aus Donaueschingen bei der Kontaktpersonen-Nachverfolgung unterstützt. Zum Einsatz kommen acht Soldaten. Insgesamt wurden 14 Soldaten in dieser Woche durch die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes in die Aufgaben eingewiesen, sodass bei etwaigen Ausfällen eine Rückfallebene gegeben ist. | Bild: Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis

Diese Frage hat einen fast apokalyptischen Unterton…nein, so hatte ich das zu keiner Zeit empfunden. Vor der Überforderung standen wir, ja. Im Gesundheitsamt, im Ordnungsamt, um zwei Beispiele zu nennen.

Bauen Sie in den Sommerferien in alle Kreisschulen Luftfilter ein, wie von der Bundesregierung gefördert?

Aus unserer Sicht ist das Lüften und CO2-Ampeln in Klassenzimmern das wirksamste Mittel gegen die Ausbreitung des Corona-Virus. Auch bei unseren Kreisschulen gibt es Räume, die nicht oder nur schlecht belüftet werden können und Bereiche, in denen sich eine größere Anzahl von Personen längere Zeit ohne Mund-Nasen-Schutz aufhalten, wie zum Beispiel in den Mensen. Wir haben uns mit den Schulleitungen abgestimmt und uns dazu entschieden, für diese Bereiche mobile Luftreinigungsgeräte in unterschiedlichen Größen anzuschaffen. Die Finanzierung erfolgt über das Landesförderprogramm Schulbudget Corona.

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Gibt es in ihrer Verwaltung eine Impfpflicht zur Minimierung von Ansteckungen?

Nein, es gibt in Deutschland bislang nirgendwo eine Impfpflicht, also auch nicht in unserer Verwaltung. Aber ich sage, die politische Debatte zu Ihrer Frage, die muss durchaus geführt werden.

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Gehen nur geimpfte Mitarbeiter in den direkten Kundenkontakt?

Nein, viele Mitarbeiter sind bei uns zwar geimpft, aber wir bieten unseren Mitarbeitern noch immer regelmäßige Testungen an.

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Waren Sie eigentlich auf eine solche Aufgabe vorbereitet? Was Ihnen geholfen?

Keiner war auf eine so gewaltige Pandemie vorbereitet. Als Landratsamt ist bei uns die Aufgabe der Unteren Katastrophenschutzbehörde angesiedelt. Wir haben diesen Bereich schon immer sehr ernst genommen, insbesondere nach dem Hochwasser 1990 und der Buskatastrophe bei Bad Dürrheim. Unser Team ist gut aufgestellt und wir hatten immer auch regelmäßig geübt. Hilfreich ist ja stets das Motto: In Krisen Köpfe kennen. Da hat es sich schon bewährt, dass wir unsere Kollegen kennen und die Kontakte zu den Blaulichtorganisationen gepflegt sind und die Zusammenarbeit sehr gut funktioniert.

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Was macht das alles mit Ihnen ganz persönlich als Mensch?

Auch ich bin natürlich belastet und war froh, als die Einschränkungen zu Ende waren. Das vermeintlich Selbstverständliche habe ich wieder mehr zu schätzen gelernt.

Fragen: Norbert Trippl