Karl Sigwart, Reisebürobetreiber aus Villingen, hatte vor einigen Wochen exklusiv im SÜDKURIER angekündigt, sein Unternehmen aufgrund der Coronakrise aufgeben zu müssen. Das betrifft aber „nur“ sein Unternehmen. Andere Menschen dagegen haben finanzielle Probleme im privaten Geldbeutel– und es werden immer mehr.
„Die finanzielle Lage vieler Menschen hat sich durch Corona sehr verschlechtert“, sagt Michael Stöffelmaier, Vorsitzender des Caritasverbands im Schwarzwald-Baar-Kreis auf SÜDKURIER-Anfrage. Die Caritas betreibt kreisweit acht Beratungsstellen – in Villingen, Schwenningen, Donaueschingen, Geisingen, Blumberg, Triberg, Furtwangen und St. Georgen – für Menschen, die finanziell in Schieflage geraten sind (Kontakt zur Beratungsstelle HIER). Viele Hilfesuchende hätten bereits vor der Krise so gewirtschaftet, dass am Ende des Monats nichts mehr übrig blieb.
Finanzielle Schwierigkeiten betreffen aber nicht nur Erwachsene. „Das Klima in den Familien wird schwieriger. Wir erwarten vor allem zu Schuljahresbeginn deutlich Probleme bei der Beschaffung von Schul- und Lehrmaterialien, aber auch bei der Finanzierung außerschulischer Aktivitäten“, sagt der Caritas-Vorsitzende des Kreises.
Wie hilft die Caritas?
„Unsere Berater prüfen zunächst die Notlage. Sie versuchen dann mit den Betroffenen eine Ausgabenrechnung zu erstellen“, sagt Stöffelmaier. Die Caritas versuche auch beispielsweise zu verhindern, dass der Strom abgeschaltet wird, wenn diese Gefahr besteht. Auch prüfen die Caritas-Mitarbeiter die sozialrechtlichen Ansprüche und helfen bei der Antragstellung. Gegebenenfalls werden auch Stiftungen und Hilfefonds angefragt.
„In besonderen Notlagen rufen wir auch schon mal eine Spendenaktion ins Leben. So zum Beispiel bei dem tragischen Unfall im Juli des vergangenen Jahres auf der Schwenninger Steig. Aus dieser Spendenaktion konnten die überlebenden Familienangehörigen unterstützt werden“, so Stoffelmaier.
Ähnlich sieht das beim Diakonischen Werk im Schwarzwald-Baar-Kreis aus (Kontakt zur Diakonie-Schuldnerberatung HIER). Zuständig für die Schuldnerberatung bei der Diakonie ist Luitgard Schmieder. 50 Prozent ihrer Arbeit besteht aus der Beratung von überschuldeten Menschen. „Außerdem gibt es noch eine Kollegin, die eine 15-Prozent-Schuldenberatungsstelle in Schwenningen hat“, sagt Schmieder im SÜDKURIER-Gespräch. Einen Zuschuss für die Schuldnerberatung erhalte die Diakonie nicht. Im Jahr gäbe es etwa 500 Anfragen, etwa 100 könnten in die Schuldnerberatung kommen, zirka 35 Fälle würden reguliert.
„Noch sehen wir keinen Anstieg an überschuldeten Menschen. Wir führen aber viele Telefonberatungen durch, in denen wir versuchen aufzuklären, was passieren könnte, wenn jemand beispielsweise entlassen wird“, sagt Schmieder. Man wisse aber, dass eine Bugwelle im Anmarsch ist.

Die Diakonie betreibt im Gegensatz zu etwa privaten Anwälten eine „soziale Schuldnerberatung„. „Wir betrachten die gesamte Lebenssituation“, sagt Schmieder. Der häufigste Auslöser für finanzielle Schwierigkeiten sei die Arbeitslosigkeit, gefolgt von der Trennung, der Scheidung oder dem Tod des Partners. „Es kommt auch vor, dass Frauen für ihre Männer Verträge abschließen und dann auf diesen sitzen bleiben“, sagt Schmieder, „meistens sind es aber äußere Umstände.“
Daher sagt sie: „Eine Überschuldung kann jedem passieren.“ Leider gebe es das Vorurteil, dass überschuldete Menschen selbst schuld seien. Das stimme so nicht. Die Folgen von längerfristiger Überschuldung könnten sich in der Beziehung zu Freunden und Bekannten bemerkbar machen – etwa durch Minderwertigkeitsgefühle, Scham und letztlich Isolation.
Wie hilft die Diakonie?
Wenn überschuldete Menschen zur Diakonie kommen, herrsche häufig ein finanzielles Chaos. „Wir erstellen dann eine Liste mit den Einnahmen und Ausgaben. Unser Beratungsangebot zielt darauf ab, wieder Stabilität in die Finanzen der Menschen zu bringen. Erst danach ist eine Schuldenübersicht sinnvoll“, sagt Schmieder. Leider kämen die meisten erst, wenn sie „mit dem Rücken zur Wand“ stehen.

Eine Schuldnerberatung bietet auch das Landratsamt im Schwarzwald-Baar-Kreis an – und zwar in Person von Ruth Keller. Die gelernte Diplomverwaltungswirtin ist seit 2009 beim Landratsamt tätig und hat etwa 500 laufende Beratungen sowie etwa 250 neue Fälle jährlich. „Vieles passiert anonym. Während der Telefonsprechstunde montags bis donnerstags zwischen 13 und 14 Uhr werden oft keine Namen von den Betroffenen genannt“, sagt sie.
Kellers Ziel bei der Beratung ist es, dass die Menschen so aufgestellt sind, dass sie nicht mehr in finanzielle Nöte geraten. Die Existenzgrundlage soll immer gesichert sein. Zunächst werde versucht, einen außergerichtlichen Vergleich mit den Gläubigern zu erreichen. Klappt das nicht, sei der nächste Schritt die Privatinsolvenz. „Die Voraussetzung für eine solche ist die Zahlungsunfähigkeit, eine Überschuldung„, erläutert Keller.
Pro Privatinsolvenz
Für ein Privatinsolvenzverfahren spreche, dass der pfändbare Betrag mit der Lebenssituation wachse. Jeder muss also nur so viel abgeben, dass es ihm zum Leben reicht. „Ein solches Verfahren soll als wirtschaftlicher Neuanfang und nicht als Stempel des Scheiterns gesehen werden“, sagt Keller.
Neben den Faktoren Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Trennung, sei eine nicht mehr ausreichende Rente ein zunehmender Verschuldungsfaktor. Entsprechend habe Keller immer häufiger auch ältere Menschen, die sie berät. Ihre Klienten seien generell im Alter zwischen 18 und 80, 25 Prozent der Hilfesuchenden bekämen Sozialhilfe nach SGB 2 und SGB 12.
Armutsfaktor Corona
Jüngst führe aber auch Corona zu mehr Armut. Keller sagt: „Die Zahl der Menschen mit finanziellen Problemen wegen der Krise ist gestiegen. Es gibt weniger Neueinstellungen, Zeitverträge werden nicht verlängert und es gibt Kurzarbeit.“ Weiter sagt sie: „Bislang konnten Kredite drei bis sechs Monate ausgesetzt werden. Diese Frist läuft ab. Daher rechne im Herbst mit noch mehr Menschen, die wegen Corona finanzielle Probleme bekommen.“
Die Menschen, die zu Keller kommen, reagierten unterschiedlich auf finanzielle Probleme. „Für manche ist das ein Offenbarungseid. Es gibt Menschen, die sich schämen. Vom ersten Telefongespräch bis zum Termin kann es schon mal zwei Jahre dauern“, sagt die Schuldnerberaterin. Im persönlichen Gespräch löse sich dann aber bei vielen der Knoten. „Bei vielen kommen vor lauter Erleichterung die Tränen“, so Keller. Andere wiederum seien abgeklärt: „Die leben seit Jahren mit Schulden und sind das gewohnt.“ Generell gebe es beim Thema Finanzen viel Unwissen, woraus Unsicherheit entstehe.
Neues Gesetz?
Menschen, die ein privates Insolvenzverfahren eröffnen müssen, könnten bald vielleicht schon früher wieder schuldenfrei sein, als bislang üblich. Geht es nach der Bundesregierung, soll eine Privatinsolvenz ab dem 1. Oktober nur noch drei statt sechs Jahre dauern (den gesamten Gesetztesvorschlag finden Sie HIER).