Aus einigen Kommunen und Gemeinden werden dieser Tage Vergleiche mit dem Jahr 2015 laut. Damals suchten laut Bundesinnenministerium knapp 900.000 Flüchtlinge Schutz in Deutschland. Immer mehr Bürgermeister sehen sich spät im Jahr 2023 ähnlichen Herausforderungen entgegenschlittern, wie bereits vor acht Jahren.
Vor allem fehlende Unterbringungsmöglichkeiten bereiten in den Landkreisen Sorgen. Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine im vergangenen Februar hat der Kreis über 4000 Flüchtlinge allein aus der Ukraine aufgenommen. Dazu steigt die Zahl an Schutzsuchenden auch aus anderen Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien oder Afghanistan wieder an, wie Landrat Sven Hinterseh berichtet.

2023 kamen bis September 1342 Geflüchtete im Kreis an – 798 aus der Ukraine, 544 aus anderen Ländern. „Die Situation ist schon angespannt“, stellt Hinterseh fest. Vor allem, weil er nicht damit rechnet, dass die Zahlen in den nächsten Monaten zurückgehen.
Unterkünfte kommen an Kapazitätsgrenzen
„Diese Zahlen machen deutlich, dass man schauen muss, wie man die Menschen unterbringt“, so der Landrat weiter. Denn mit den 14 existierenden Gemeinschaftsunterkünften sei man nahe an der Vollbelegung.
Entsprechend suche der Kreis mit Hochdruck nach Gebäuden – allerdings mit mäßigem Erfolg und schwierigen Aussichten. Unterkünfte brauchen eine entsprechende Größe, damit zumindest 40 bis 60 Personen aufgenommen werden können. So viele Häuser in der Größenordnung gebe es nicht. „Und die, die freistehen, tun das aus einem Grund.“ Sie seien meist stark sanierungsbedürftig.
Viel stärker drücke der Schuh aber bei der Anschlussunterbringung. Nach einer gewissen Zeit in der Erstunterbringung, werden die Menschen auf Orte und Städte in Wohnungen verteilt. „In kleineren Städten und Gemeinden wird der Wohnraum einfach knapp“, so der Landrat.
Massenunterkünfte nicht mehr auszuschließen
Noch betont Hinterseh „gute bis sehr gute“ Umstände für die Schutzsuchenden. „Wir haben in den Gemeinschaftsunterkünften im Kreis absolut adäquate Bedingungen.“

Das liege unter anderem daran, dass der Kreis eben noch nicht an die Auslastungsgrenze kam und wie 2015 bis 2017 auf Massenunterkünfte ausweichen musste. Für den Landrat ist das nicht mehr undenkbar. „Das konnte bisher vermieden werden. Ich kann es für die Zukunft aber nicht mehr ausschließen.“
Deshalb sei die Suche nach neuen Gebäuden für Unterkünfte nun so entscheidend. Noch bekomme der Kreis die Situation gut gestemmt. „Es kann aber sein, dass es in zehn Wochen schon anders ist.“
Engagement weiter hoch
Die Akzeptanz und Solidarität mit Flüchtlingen sieht der Landrat weiterhin hoch. Viele würden sich nach wie vor ehrenamtlich engagieren.
Allgemein stellt Hinterseh aber fest, dass mehr Menschen Fragen stellen und Sorgen äußern. Die Debatte, auch im Bund, begrüßt er und hofft, dass neue Lösungsansätze aus ihr geboren werden. „Wir wollen den Geflüchteten auch einen Rahmen geben, in den man sich integrieren kann.“ Die Situation sei aktuell schwierig etwa mit hoher Auslastung der Kindergärten und knappem Wohnraum.
Sozialamtsleiter Jan Hauser berichtete Anfang Juni von schwindender Solidarität mit Geflüchteten in der Bevölkerung. Es regte sich phasenweise vermehrt Unmut unter Anwohnern über geplante Unterkünfte. In Brigachtal und Mönchweiler stritten Anwohner mit Gemeinderäten. In St. Georgen protestierten 23 Menschen gegen die neue Unterkunft in der Schramberger Straße. Größere Proteste blieben aber aus.
Anträge stauen sich
Ein weiteres Thema, welches das Landratsamt beschäftigt, ist der Antragsstau in Ausländer- und Einbürgerungsbehörde. Menschen sind von langen Wartezeiten betroffen, müssen stellenweise auch ohne Eigenverschulden um Aufenthaltsgenehmigungen bangen.
Die Situation ist für den Landrat nicht zufriedenstellend. Beispielsweise ein Jahr für einen Einbürgerungsantrag sei zu lang, gibt Hinterseh zu. Zuletzt kam es zur Klage wegen eines zu lange dauernden Einbürgerungsverfahrens.
Doch er wirbt bei Betroffenen für Verständnis. Hinterseh zählt 1200 laufende solcher Verfahren. Ein treibender Faktor sei für ihn die neue Gesetzeslage für schnellere Einbürgerungen. So schnell hätten sich die Behörden nicht auf die Umstellung einstellen können. „So viele Leute kann man nicht einstellen, um das schnell abzuhandeln.“ Daher gebe es derzeit überall solche Probleme zu sehen. Bundesweite Prominenz erlangten zuletzt die Zustände auf der Stuttgarter Ausländerbehörde.
Ohnehin herrsche auch auf dem Landratsamt Arbeitskräftemangel – über 60 Stellen waren zuletzt noch unbesetzt. Daran soll nun gearbeitet werden – etwa mit zunächst drei zusätzlichen Stellen in der Ausländerbehörde. Viele weitere sollen folgen.