Es ist ein eher unscheinbarer Tagesordnungspunkt, der im St. Georgener Gemeinderat ansteht. Unter der Nummer Fünf geht es um die Neufassung der Geschäftsordnung.
Was wie eine bürokratische Formalität daherkommt, birgt allerdings weitaus mehr. Es geht um Öffentlichkeit und Teilhabe – und wie die zukünftig beschnitten werden.
Diese Neufassung sieht nämlich unter Paragraf 14, Absatz 4 auch einen Passus vor, der den Inhalt der Gemeinderatsunterlagen betrifft. Darin werden üblicherweise die jeweiligen Punkte der Sitzung erläutert, es sind weitere Informationen zu finden.
Gemeinderatsunterlagen künftig mit Sperrfrist
Ab dem 1. Februar darf eben dieser Inhalt von der Presse erst nach Ablauf der öffentlichen Sitzung verwertet werden, es besteht eine Sperrfrist.
Einzige Ausnahme: Die vorherige Veröffentlichung wird durch den Bürgermeister ausdrücklich genehmigt.
Die Stadträte haben sich in der Sitzung am Mittwoch, 24. Januar, einstimmig dafür ausgesprochen. Nach Wunsch von Rat und Verwaltung soll also ein Thema öffentlich erst aufgegriffen und diskutiert werden, wenn es durch den Rat ist.
Aber warum genau? Und sehen Stadträte und Verwaltung hier keine Einschränkung der journalistischen Arbeit und damit der Teilhabe der Öffentlichkeit?
Das sagt die SPD
„Es geht darum, dass erst berichtet werden soll, wenn das Thema auch im Gemeinderat beraten wurde“, erklärt SPD-Fraktionssprecher Oliver Freischlader.
Ansonsten könne eben beim Bürgermeister gefragt werden, „das ist nicht restriktiv.“ Die neue Regelung sei eine, „die sicher nicht nur für St. Georgen gilt.“ Die Synopse sei sicher auch vom Städte- und Gemeindetag so.
Das sagen die Freien Wähler
„Ich glaube, es klingt einschränkender als es ist“, sagt Karola Erchinger, Fraktionssprecherin der Freien Wähler in St. Georgen. Die Tagesordnung gebe es weiter vorab. „Unser Fokus lag vor allem darauf, dass es oft rüberkam, als seien Entscheidungen vorab abgenommen worden – obwohl es noch keine Sitzung gegeben hat.“
Sollte es wirklich einen Punkt von massivem Interesse geben, so Erchinger, „dann wird die Presse auch sicher die Informationen bekommen.“ Außerdem: „Ich sehe in der Sperrklausel keinen Eingriff in die Pressefreiheit.“
Das sagt die FDP
Ähnlich sieht das auch FDP-Fraktionssprecher Jochen Bäsch: „Wir wollen nicht, dass man über ungelegte Eier spricht. Und es geht nicht darum, dass man die Presse nicht haben möchte.“ Bäsch sieht keinen Grund, die Presse auszuschließen, „so ist das nicht gedacht.“
Das sagt die CDU
Dass nicht alle Informationen ausgegeben wurden, das sei schon immer so gewesen, sagt der stellvertretende CDU-Fraktionssprecher Vincenzo Sergio: „Warum es zu dieser Abstimmung gekommen ist, das muss das Rathaus beantworten.“
Das sagen die Grünen
In der Sitzung hatte es indes eine Rückfrage gegeben, sie kam von Grünen-Stadtrat Axel Heinzmann: „Es wunderte mich, dass so etwas überhaupt geht.“
Heinzmann habe auch dafür gestimmt, „weil das Material ja ohnehin online öffentlich ist. Die Presse kann es also weiter machen.“ Wenn vor einer Sitzung offen über ein Thema diskutiert werde, dann sehe er kein Problem darin.
Das sagt der Bürgermeister
Aber wie kam der Punkt zur Vorab-Information überhaupt auf die Tagesordnung? Antworten dazu gibt es aus dem St. Georgener Rathaus: „Bedauerlicherweise kam es in der Vergangenheit vor, dass bestimmte Themen vorab sehr ausführlich in der Zeitung behandelt wurden, was im Gemeinderat zu Unstimmigkeiten geführt hat“, erklärt Bürgermeister Michael Rieger.
Im Zuge der Überarbeitung der Geschäftsordnung sei daher festgelegt worden, dass über die Inhalte der Sitzungsunterlagen in der Regel nicht vor der Sitzung berichtet werden sollte.
„Natürlich besteht auch weiterhin die Möglichkeit, über Themen nach vorheriger Absprache mit der Verwaltung vorab zu berichten. Das war und ist nicht anders vorgesehen“, so Rieger weiter.
Und gab es dabei keine Bedenken, dass man damit die Pressefreiheit einschränkt? „Ich gehöre zu den Personen, die die freie Presse schätzen. Dazu habe ich vor 400 Gästen sogar etwas am Neujahrsempfang gesagt“, sagt Michael Rieger. Er bringe seine Kinder dazu, Zeitung zu lesen. „Es liegt mir oder uns fern, so zu denken“, erklärt er weiter.
Das sagt das Landratsamt
Für die Gemeinde St. Georgen ist das Landratsamt des Schwarzwald-Baar-Kreises als Aufsichtsbehörde zuständig. Was sagt die Behörde zur Entscheidung in der Bergstadt?
Sie beruft sich auf die Paragrafen 34 und 41b der Gemeindeordnung. Auf ihr basiert die Geschäftsordnung des Gemeinderates: „Aus diesen Paragrafen ergibt sich nicht eindeutig eine Regelung, dass eine solche Sperrfrist hinsichtlich der Verwertung der Informationen unzulässig wäre“, sagt Landratsamt-Pressesprecherin Heike Frank.

Fall für das Presserecht
„Aus unserer Sicht wäre hierzu das Presserecht heranzuziehen“, so Frank weiter. Dieses umfasse allerdings nicht den Prüfauftrag der Kommunalaufsicht. „Aus diesem Grund sieht die Kommunalaufsicht nach aktuellem Stand keinen Anlass, dass die Geschäftsordnungsregelung zu ändern wäre.“ Mit anderen Worten: Das Landratsamt sieht sich nicht involviert.
Die Pressefreiheit
Arbeit wird eingeschränkt
Erst Anfang des Jahres ließ die Stadtverwaltung Villingen-Schwenningen aufhorchen mit Eingriffen, die die Arbeit von Journalisten einschränken.
Denn bei öffentlicher Sitzung des Gemeinderats wurde auf der Leinwand ein Warnhinweis projiziert, der einem allgemeinen Fotografierverbot gleichkommt: Journalisten wie Bürgerinnen und Bürger wurden hingewiesen, „dass die Erstellung von Video- und Tonaufzeichnungen sowie von Bildaufnahmen im Sitzungssaal nicht gestattet sind“.
Später erreichte die Redaktionen eine ungewöhnliche Nachricht von Nina Kreke, Kommunikationschefin im Referat von VS-Oberbürgermeister Jürgen Roth: Journalisten sollen über eine Mailadresse vorab dem Rathaus melden, wenn sie bei einer öffentlichen Gemeinderatssitzung Aufnahmen planen.
Dabei garantiert das Grundgesetz Medienvertretern die ungehinderte Ausübung ihrer Tätigkeit – aber davon kein Wort. Stattdessen gab es das Argument, dass auch Gemeinderäte das „Recht am eigenen Bild“ hätten.
Keine Abstimmung abfotografieren
Einen Tag später ruderte der Oberbürgermeister in einer von ihm verbreiteten Mail an die Presse etwas zurück: Es sei „leider ein falscher Eindruck entstanden“.
Es gebe kein generelles Fotografierverbot für Pressevertreter, das sei an Bürger gerichtet. Gänzlich verboten, auch für Medienvertreter, sei aber das Abfotografieren eines Abstimmungsergebnisses.
Es wird zwar für jeden Sitzungsbesucher eingeblendet, welcher Rat wie abgestimmt hat – der Öffentlichkeit Transparenz per Bild herzustellen will die Verwaltung des Oberzentrums aber untersagen.
Wie all das mit der in Grundgesetz und Landespressegesetz verankerten Pressefreiheit zu vereinbaren ist? Darauf bleibt der Oberbürgermeister eine Antwort schuldig.
Und was ist mit der E-Mail-Adresse, unter der Journalisten Fotowünsche bei der Verwaltung anmelden sollen? Das sei lediglich „als Angebot für die Presse zu verstehen, erforderliche Einverständnisse vorab bei Sitzungsteilnehmern einzuholen“, erklärte Roth.
Juristen, die mit dem Presserecht vertraut sind, halten diese Vorgehensweise für nicht vereinbar mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen.