Long-Covid kann ein Leben völlig ausbremsen. Es gibt Patienten, die vor einer Infektion mit Covid noch regelmäßig Sport getrieben oder sich mit Freunden getroffen haben – und einige Wochen später nach der Arbeit komplett abgeschlagen nur noch auf die Couch wollen, weil die Kraft nicht mehr reicht.
Das seien aber nur leichte Symptome, erklärt Peter Hannemann, Chefarzt der Espan-Klinik in Bad Dürrheim, bei der dortigen Eröffnung einer neuen Ambulanz für Long-Covid-Kranke. Es gebe noch weit schwierigere Fälle.
3000 Long-Covid-Patienten in drei Jahren
Viele Erkrankte hätten schon Probleme mit einem Spaziergang oder Treppensteigen. Ihn habe es sehr bewegt, was er in den drei Jahren, in denen er an der Espan-Klinik Long-Covid-Patienten behandelt habe, an Schicksalen gesehen habe. Mehr als 3000 Erkrankte waren in dieser Zeit an der Klinik, mit unterschiedlichen Leiden.
Nun gibt es inzwischen etliche Therapieangebote für Long-Covid-Kranke etwa in Kliniken – unter anderem auch im Schwarzwald-Baar-Kreis.
Die Erfahrung aus den Behandlungen in der Espan-Klinik soll nun aber gebündelt werden in der neu eröffneten Ambulanz am selben Ort.
Individuelle Therapiepläne
Die Betroffenen bleiben also nicht stationär in der Klinik, sondern kommen tagsüber herein – je nach persönlicher Situation. So können Patienten auch neben der Therapie beispielsweise berufstätig bleiben.
Für jeden Patienten soll ein individuell zusammengestellter Therapieplan erarbeitet werden. Das sei auch nötig, denn die Symptome unterschieden sich von Mensch zu Mensch in ihrer Art und Ausprägung, hieß es beim Pressegespräch am Donnerstag, 9. November, zum Auftakt.
Wie genau, das soll mithilfe eines Fragebogens und mit Patientengesprächen herausgearbeitet werden.
Ganze Therapie unter einem Dach
Der Vorteil an der Long-Covid-Ambulanz soll dabei sein, dass sich „alles unter einem Dach befinde“, so Hannemann. Von der Erkennung der Symptome bis zur Therapie: Die komplette Behandlung findet in der Espan-Klinik statt.
Zu den häufigsten Long-Covid-Symptomen gehören Brain Fog und Fatigue. Der englische Begriff Brain Fog (wörtlich: Gehirn-Nebel) drückt sich besonders durch Konzentrationsstörungen aus.
Der ebenfalls englische Begriff Fatigue meint eine Art bleierner Müdigkeit, gegen die mit normaler Erholung nicht anzukommen ist.
Gegen die Erschöpfung lässt sich nicht antrainieren
Zu den Behandlungsmöglichkeiten gehören beispielsweise Atemtherapien oder Gehirnjogging – also Gedächtnistraining und Denksportaufgaben – via Apps auf dem Tablet oder Smartphone.
Was Hannemann bei allen Therapien besonders wichtig ist: „Der Patient soll erkennen, welches Energiebudget er pro Tag besitzt“. Denn gegen die Erschöpfung, die mit Long-Covid einhergehe, lasse sich nicht antrainieren.
Ein Fehler, der in vielen Reha-Kliniken gemacht werde, so Hannemann. „Wenn der Patient seinen Energiehaushalt überschreitet, kommt es zum Crash“. Dann würden sich die Beschwerden wieder verschlechtern.
Psychologische Betreuung
Ebenso wichtig sei die mentale Unterstützung. Günter Diehl, leitender Psychologe der Ambulanz, berichtet, dass die Mehrheit der Patienten erwerbstätig oder zumindest bis zu ihrer Erkrankung erwerbstätig gewesen sei.
Man müsse sie deshalb bei der Wiedereingliederung in die Anstrengungen des Arbeitsalltags unterstützen.
Dazu verursacht Long-Covid bei vielen Betroffenen einen Verlust an sozialen Kontakten. Generell seien die psychischen Folgewirkungen immens.
Wütend macht ihn dabei die Tatsache, dass die Kassenzulassung für die Long-Covid-Ambulanz abgelehnt worden sei. „Während der Pandemie war alles Geld der Welt da, nun werden die Menschen alleingelassen“.
Bei der Menge an Long-Covid-Patienten in Deutschland und vor dem Hintergrund des Personalmangels in Deutschland sei das lächerlich, so Diehl.
Keine Kassenzulassung trotz Bedarf
Auch Chefarzt Peter Hannemann macht das betroffen – der Bedarf sei klar sichtbar, es fehle die Unterstützung. Man könne sich teilweise nicht vorstellen, wie sehr die Patienten teilweise unter den Symptomen litten.
Er habe eine Patientin gehabt, für die Vogelgezwitscher bei offenem Fenster eine extrem negative Reizüberflutung darstellte. Ohne die Kassenzulassung könnten sie aber nicht so helfen, wie es die Lage eigentlich erfordere.
Entscheidung Anfang 2024 erwartet
Deshalb hat die Espan-Klinik Widerspruch eingelegt, um doch noch die Kassenzulassung zu bekommen. Im Februar oder März 2024 soll eine Entscheidung fallen.
Wer sich bis dahin behandeln lassen möchte, muss privat versichert sein oder für die Kosten selbst aufkommen.
Wie hoch diese Kosten im Einzelfall seien, könne man noch nicht beziffern, so Hannemann auf Nachfrage. Immerhin bestehe die Möglichkeit, manche therapeutische Maßnahmen über die Kasse abrechnen zu lassen.