„Mama“, will der 17-jährige Domenic wissen, „wie hättet ihr mich denn genannt, wenn ich ein Mädchen wäre?“ „Larissa“, sagen die Eltern. Larissa Horn ist heute 29 – lange schwarze Haare, große dunkle Augen, zartes Gesicht. Dass die fröhliche junge Schwenningerin im bauchfreien Top einmal Domenic war, vermutet auf den ersten Blick niemand. Und auch nicht auf den zweiten.

Dass sie irgendwie anders ist als die anderen Buben, merkt Larissa Horn aber schon früh. Sie ist ungefähr sechs, als sie lieber Mamas Kleider trägt als Hosen und Pulli mit Auto- oder Dinosaurier-Aufdruck. Mit sieben steht sie beim Fußballtraining abseits, wird ausgelacht und bekommt oft schmerzhaft den Ball ab. „Das einzig Tolle daran waren die Fußballschuhe, denn die haben beim Laufen geklackert“, erinnert sie sich heute. Eigentlich, so erzählt sie, wollte sie doch damals viel lieber tanzen.

Erst einmal werden Mädchen interessant

Dass sie transsexuell ist, ist damals jedoch noch weit weg für die Schwenningerin. Zunächst kommt Domenic irgendwann ganz normal in die Pubertät. Mädchen werden interessant, er hat sogar zwei Jahre lang eine Freundin. Ja, er ist eher der androgyne Typ damals. „Aber zu der Zeit war die Band Tokio Hotel gerade angesagt und die Mädchen standen auf so etwas.“ Domenic lebt glücklich – obwohl er irgendwann merkt: „Das ist doch nichts für mich.“

Larissa Horn, als sie noch Domenic war. „Ich war glücklich“, sagt sie auch über diese Zeit.
Larissa Horn, als sie noch Domenic war. „Ich war glücklich“, sagt sie auch über diese Zeit. | Bild: Fabio A. CANON EOS 7D

Mit 16 Jahren lernt er im „46a“, einem Schwulenclub in Schwenningen, einen Mann kennen und verliebt sich. Irgendwie ist dies schon der Anfang von Larissa. „Ich wurde immer weiblicher, habe dann auch Makeup verwendet und so“, erzählt die 29-Jährige. Der Freund ist es auch, der Domenic irgendwann einmal darauf anspricht, ob er vielleicht im falschen Geschlecht lebt. „Das war damals noch ganz verrufen“, erinnert sich Larissa.

So einfach ist es seit November 2024

Das Geschlecht rechtlich zu wechseln ist seit dem 1. November 2024 in Deutschland einfach: Seither gilt das neue Selbstbestimmungsgesetz. Der Änderungswunsch müsse mindestens drei, spätestens aber sechs Monate vor der Erklärung schriftlich oder mündlich bei dem Standesamt angemeldet werden, bei dem die Erklärung abgegeben werden soll, erklärt Stadtsprecherin Madlen Falke das Verfahren. Nach Ablauf sei eine erneute Anmeldung mit einer Wartefrist von drei Monaten erforderlich.

„Im Gegensatz zum früheren Transsexuellengesetz müssen keine medizinischen Unterlagen vorgelegt werden“, so Falke außerdem. Teuer ist die Sache ebenfalls nicht: 40 Euro werden hier für die Erklärung fällig, die Urkunde beziehungsweise der beglaubigte Ausdruck aus dem Personenstandsregister kostet dann nochmals 20 Euro.

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Larissa jedoch muss vor über zehn Jahren den schweren Weg gehen. Er beginnt mit ihrem neuen Namen, „den haben mir meine Eltern dann nochmal gegeben“. Während ihre Mutter gelassen reagiert, hat ihr griechischer Vater anfangs große Probleme damit, statt eines Sohnes plötzlich eine Tochter zu haben. Der Großvater versucht es gar mit Bestechung: Geld für den Führerschein, so sagt er, gibt es nur, wenn aus Larissa wieder Domenic wird.

Das erste Mal im Bikini im Schwimmbad

Doch die lässt sich jetzt nicht mehr beirren. Den Führerschein bezahlt sie, die inzwischen eine Ausbildung zur Friseurin begonnen hat, lieber selbst. Ein Jahr lang besucht sie regelmäßig einen Psychologen, muss verschiedene Herausforderungen angehen, um ein Leben als Frau erst einmal zu testen. „Gehen Sie mal im Bikini ins Schwimmbad“, ist eine davon. Larissa meistert sie alle. Mit 18 Jahren, endlich volljährig, kann das offizielle Verfahren zur Geschlechtsangleichung beginnen.

Zwei weitere Psychologen müssen Gutachten erstellen, bevor Larissa Horn die nötigen Hormone bekommen darf. Testosteron-Blocker sind dies und Östrogene. Weibliche Hormone. Die verändern alles: „Du bekommst diese Tabletten und das löscht dich komplett“, erinnert sich die Schwenningerin.

Domenic, der nie weinen konnte, wird zu Larissa, die bei einer traurigen Netflix-Serie Berge von Taschentüchern braucht. „Das muss man erst mal lernen, dieses Mimosen-Dasein“, lacht sie. Die Zeiten des einfachen Denkens, sie sind endgültig vorbei.

Seltsames Erlebnis im Gericht

Für den offiziellen Geschlechterwechsel mit Brief und Siegel muss Larissa zum Gericht nach Konstanz. An den Tag erinnert sie sich mit leichtem Kopfschütteln. Der Richter schüttelt ihr die Hand und begrüßt sie als „Herr Horn“. Nach Abschluss der Verhandlung gibt er ihr erneut die Rechte, „Auf Wiedersehen, Frau Horn“, sagt er nun. „Das war schon seltsam“, erzählt die Schwenningerin.

Mit Mitte 20 entschließt sich Larissa dann für einen Brustaufbau mit Silikon. „Dann war mein Weg zu Ende“, sagt sie. Die geschlechtsangleichende Operation, bei der der Penis zur Vagina umgeformt wird, lässt sie nicht vornehmen. „Das ist schon ein echt krasser Eingriff“, weiß sie. Und: „So bin ich noch etwas Besonderes, diese Extrawurst will ich aus meinem Leben nicht streichen.“

Die 29-Jährige Schwenningerin arbeitet inzwischen als Erotikmodell.
Die 29-Jährige Schwenningerin arbeitet inzwischen als Erotikmodell. | Bild: Martin Dark

Domenics Verwandlung in Larissa – heute wäre sie zumindest teilweise eine viel leichtere. „Es ist mittlerweile sehr einfach, fast zu einfach“, betont die 29-Jährige.

Ein paar Zahlen: In Villingen-Schwenningen gab es bis Ende Februar schon neun Anträge auf einen Geschlechterwechsel, bestätigt Stadtsprecherin Madlen Falke. Sechs Frauen wollen künftig rechtlich als Mann leben, drei Männer dagegen als Frau.

Larissa Horn warnt jedoch vor vorschnellen Entscheidungen und mahnt auch Eltern, aufmerksam hinzuschauen. Nicht jedes Mädchen, das mit zwölf gerne Junge wäre, möchte mit 20 tatsächlich ein Mann sein.

Die Aussöhnung mit dem besorgten Vater

Sie selbst, sagt die Schwenningerin, lebe ein sehr glückliches Leben. Nach einer Scheidung steht nun bald die zweite Hochzeit an, auch ein Kind möchte das Paar gerne adoptieren. Ein ganz normales, alltägliches Leben eben.

Mir ihrem Vater hat sie sich vor seinem Tod ausgesöhnt. „Er wollte mich eigentlich nur vor Mobbing bewahren“, weiß Larissa Horn heute. Auch mit ihren anderen Verwandten ist der Kontakt wieder gut. Ihre alten Freunde haben ohnehin stets zu ihr gehalten. Und ihre alten Feinde, die haben sich teilweise irgendwann bei ihr gemeldet und entschuldigt.

Eine neue Karriere als Erotikmodell

Nach vielen Jahren in der Friseurbranche hat sie sich jetzt unter ihrem Künstlernamen Larissa TS als Erotikmodell selbstständig gemacht. Sie hat Fotoshootings in Berlin, bald einen eigenen Kalender und T-Shirts mit ihrem Foto darauf.

Unter anderem ist sie Special Guest bei der 1. Erotik- und Tattoomesse in Stuttgart vom 21. bis 23. März mit eigenem Stand. „Jetzt kann ich mich natürlich voll entfalten“, sagt sie und lacht. Und betont: „Ich lebe doch kein falsches Leben für andere.“