Am späten Donnerstagnachmittag sitzt Anne Derday in ihrem provisorisch eingerichteten Büro im Kreisimpfzentrum zwischen Kartons und Absperrgittern, die als Wände dienen und blickt auf einen ihrer zwei Computer-Bildschirme vor sich. Kurze Stille. „Jetzt haben wir es“, sagt sie. „109.956 Impfungen haben wir bis jetzt durchgeführt.“ Stand Donnerstag, 2. September, 15:33 Uhr. Erst-, Zweit- und Drittimpfungen zusammen. Sowie die Impfungen im Impfbus und in den Altenheimen.
Im August hat Derday die Leitung des KIZ von Daniel Springmann übernommen, er hat intern eine andere Stelle angetreten. Sie war seine Stellvertreterin von Anfang an, wusste also, wie alles läuft. Wie alles endet, das weiß sie noch nicht. Gemeinsam mit Arnold Schuhmacher, dem Leiter des Katastrophenschutzes, wird sie es in den nächsten dreieinhalb Wochen herausfinden.
Wenn das Kreisimpfzentrum am 30. September schließt, liegen hinter Derday und Schuhmacher gut ein Jahr Planung, Ungewissheit und nochmal Umplanung. Im November 2020 haben sie angefangen. Verordnungen studiert, einen passenden Ort gesucht, die Ausstattung organisiert und Personal eingestellt. „Zwischen Weihnachten und Neujahr habe ich Vorstellungsgespräche geführt“, sagt Derday.

46 Personen hat sie eingestellt, hinzu kommen 100 Ärzte in einer Art Pool, Security- und Reinigungspersonal. In diesem Jahr sind sie ein Team geworden. In der ganzen Zeit hatten sie keinen einzigen Corona-Fall im Personal. Vielleicht wird es am 30. September abends noch einen kleinen Umtrunk geben. Schuhmacher und Derday haben es beide auf ihrer To-Do-Liste stehen.
Immer noch Erstimpfungen
An der Absperrgitter-Wand in Anne Derdays Büro lehnt, halb verdeckt von den Kartons, die sich auf dem Boden davor stapeln, ein Schild, auf dem in den Farben des Landkreises – blau und weiß – steht: „Erst zehn Minuten vor ihrem Termin anstehen.“ Den Hinweis brauchen sie hier schon lange nicht mehr.

Im Schnitt impfen sie aktuell 1000 bis 1500 Menschen in der Woche. Das hatten sie in früheren Zeiten mitunter an einem Tag. Jetzt kommen vor allem jüngere Menschen, auch einige Jugendliche. „Wer sich jetzt noch zum ersten Mal impfen lässt, der nimmt häufig Johnson & Johnson“, sagt Derday. Und dann gibt es seit dem 1. September auch die ersten Drittimpfungen für über 80-Jährige, deren Zweitimpfung inzwischen über sechs Monate her ist.
Ab und an klingelt noch das Impf-Telefon auf Anne Derdays Schreibtisch. Es ist selten geworden, das Klingel-Geräusch. Vorbei sind die Zeiten, in denen im Landratsamt mitunter acht Mitarbeiter nur damit beschäftigt waren, die Impf-Hotline des Landkreises zu bedienen. Vorbei die Zeiten, in denen sie nicht wussten, wann die nächste Impfstoff-Lieferung kommt und ob es noch reicht, um alle anstehenden Termine zu bedienen.
Heute besteht Anne Derdays größte Herausforderung darin, abzuschätzen, wie viele Menschen wohl an einem Tag kommen werden und wie viel Ampullen sie auftauen muss. Mal kommen nur knapp einhundert Menschen am Tag und dann, wie diesen Montag, plötzlich doch wieder 500.

Impfstoff entsorgen mussten sie bisher noch keinen. Allein 49 Ampullen Moderna-Impfstoff – also 539 Impfdosen – sind ihnen abgelaufen. Die liegen noch gefroren im Tiefkühlschrank. Da der Impfstoff nie aufgetaut war, ist unklar, ob er eventuell noch benutzt werden kann. „Wir warten noch auf Weisung vom Sozialministerium, was wir damit machen sollen“, sagt Derday.

Dass am 30. September Schluss sein würde, wussten sie nicht, als am 22. Januar die erste Impfung aufgezogen und gespritzt wurde. Erst hieß es, das Impfzentrum wird bis zum 30. Juni betrieben, dann bis zum 15. August, und schließlich kam dann der 30. September als Termin vom Land. Auch den Impfbus wird es dann nicht mehr geben.
Bis dahin wollen sie auch in allen Altenheimen in denen sie die Erst- und Zweitimpfungen gemacht haben, die Bewohner zum dritten Mal impfen. 37 Heime sind das. Der Zeitplan steht. Am 1. September haben sie angefangen.

Die Sache mit den Terminen
Wenn er heute etwas anders machen könnte, dann wäre es die Sache mit den Terminen, sagt Schuhmacher. „Die Terminvereinbarung fand ich vor allem für die älteren Menschen schwierig. Da hätte man bessere Möglichkeiten finden können. Das hat viel Frust verursacht.“
Als die Priorität zwei aufgerufen wurde und sie wussten, sie haben noch nicht alle aus der Priorität eins geimpft, haben sie die Anrufe selber entgegengenommen, Listen erstellt und dann die Termine selbst eingetragen.
Als sie eigentlich dran gewesen wären mit Impfen, gleich am Anfang, als Personal an der Front, haben sie sich dazu entschieden, nur die Ärzte und die, die wirklich jeden Tag mit den alten Menschen zu tun hatten, zu impfen. Der Rest hat gewartet, bis es genug Impfstoff gab.
„Das hat uns alles schon viel Kraft gekostet.“Arnold Schuhmacher, Leiter Katastrophenschutz
Zehn Tage für den Auszug haben sie sich zum Ziel gesetzt. Der Tennisverein, sagt Schuhmacher, soll die Halle schnellstmöglich wieder nutzen können. In zehn Tagen sollen also alle Holzkabinen abgebaut, alle Stühle, Tische, Absperrgitter verräumt, eingelagert oder an das Land zurückgegeben sein.
Ambitionierter Plan
Das Lager mit tausenden kleinen Artikeln wie Kanülen, Handschuhen, Masken muss ausgeräumt, die Kühlschränke leer und zurückgebracht, der Bodenbelag der Tennishalle wieder hergestellt sein. Man könnte sagen: ambitioniert. Vor allem weil Arnold Schuhmacher noch gar nicht weiß, was von all dem, das im Kreisimpfzentrum steht, der Kreis selber behalten und einlagern muss und was das Land wieder zurücknimmt.
Ebenfalls unklar ist die Sache mit den Kosten. Zum Beispiel haben sie Miete an den Tennisverein für die Halle bezahlt, die Einrichtung, das Personal. Für den Großteil ist der Landkreis in Vorleistung gegangen. Was das Land am Ende bezahlt? Schuhmacher zuckt mit den Schultern. „Ich hoffe einfach alles.“ Sicher ist er nicht. Er wird jetzt in den kommenden Wochen nach und nach alle Rechnungen einreichen und dann abwarten, was das Land übernimmt.
„Man macht es für die Sache.“Anne Derday, Leiterin Kreisimpfzentrum
Wenn man Arnold Schuhmacher fragt, ob er nicht irgendwann mal genug hatte von der Ungewissheit, der ständigen Umplanerei, dann sagt er: „Genug, sodass man alles hinschmeißen will, sicher nicht.“ „Aber manchmal saß man schon da und hat gedacht: ‚Was kommt denn noch alles‘?“ Wenn sie irgendetwas vorbereitet haben wussten sie oft nicht, ist es zu viel, zu wenig, wird es in ein paar Tagen wieder ganz anders sein? Und wenn sie wirklich mal was vorbereiten mussten, hatte sie kaum Vorlaufzeit. „Es war schon manchmal frustrierend“, sagt Derday. „Aber man wusste auch immer: Man macht es für die Sache.“ Nicht für sich. Nicht für das Amt. Sondern für die Menschen im Kreis.