Manchmal kommt es eben doch auf den Blickwinkel an. Das wusste schon Matthias Claudius und hat die Lebensweisheit in seinem berühmten Gedicht „Der Mond ist aufgegangen“ verarbeitet – ja, genau, das mit dem Lied. Dort heißt es in Strophe drei, in der es um den nur halb sichtbaren Mond geht: „So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn.“

Bewundern konnte der Autor dieser Zeilen das Phänomen kürzlich bei einer Fahrt mit der Schwarzwaldbahn. Hinfahrt: Eine junge Frau mit – mutmaßlich – ihrem Kind und – mutmaßlich – ihrer Mutter steigt zu. Der Junge rennt erst einmal im Zug davon, doch irgendwann hatte sich die kleine Gruppe zusammengefunden.

Abgeschnitten von der digitalen Welt

Die darauf folgenden Gesprächsfetzen waren nicht zu überhören – und sie gaben Einblick in die Befindlichkeiten des 21. Jahrhunderts. Da schimpfte die Frau mehrfach über „die blöde Strecke mit den 500 Tunneln“.

Aber nicht, weil einem beim Bahnfahren im Dunkeln vielleicht übel wird – oder wegen der unbestritten häufigen Kurven auf der Schwarzwaldbahn. Sondern weil man im Tunnel keinen Handyempfang hat. Und ohne Handyempfang kann man natürlich auch keine Musik streamen.

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Das Kontrastprogramm gab es ein paar Tage später auf der Rückfahrt über die Schwarzwaldbahn – und das noch dazu gepaart mit dezent komödiantischem Talent beim Schaffner.

„Sperrt mal kurz Eure Hörmuscheln auf“, begann die forsche Ansage, die der Mann mit deutlich berlinerndem Akzent unter die Leute brachte. Dann folgten die nüchternen Fakten – Bahnstrecke erbaut von 1863 bis 1873, Pause bei den Bauarbeiten im Jahr 1870 wegen des deutsch-französischen Krieges und: 38 Tunnel.

Ein bekanntes Online-Lexikon zählt zwar 39 Tunnel auf, doch der smarte Schaffner erklärte einer Mitreisenden den Sachverhalt: Die Bahn zähle zwei nah beieinander liegende Tunnel als ein Bauwerk und schwupp, sind es nur noch 38.

Wenn der Schaffner die Bahnarbeiter würdigt

Und dann kommt eine Würdigung der Bahnarbeiter, die die Strecke vor etwa 160 Jahren in das störrische Gestein des Schwarzwalds getrieben haben: „Die hatten damals nur Schaufeln und ein paar Stangen Dynamit als Hilfsmittel, damit wir hier jetzt langfahren können. Der nächste Tunnel ist zum Beispiel 1,6 Kilometer lang. Da würd‘ ick ma sagen: Gute Arbeit.“ Der Schaffner als Markenbotschafter quasi.

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Und da war sie auch, die zweite Hälfte des Mondes. Denn wo die einen nur nervige Tunnels sehen, die den Handyempfang blockieren, sehen andere, dass man durch diese Tunnels überhaupt erst den Schwarzwald per Bahn überqueren kann – und das ganz ohne sperrigen Zahnradbetrieb, denn die Tunnels dienen auch dazu, die Strecke so lang zu machen, dass die Steigung nie zu stark wird. Und dann darf man ruhig einmal die Leistung von Ingenieuren und Bauarbeitern bewundern.

Obwohl: Ein etwas besseres Mobilfunknetz wäre auf der Schwarzwaldbahn natürlich auch ganz nett – damit die Strecke auch vom 19. ins 21. Jahrhundert kommt.