Sie habe den Eindruck, „dass das Thema Kinderarmut ziemlich stiefmütterlich behandelt wird“, sagt Derya Türk-Nachbaur, SPD-Bundestagskandidatin im Wahlkreis Schwarzwald-Baar. „Weil es eine Gruppierung trifft, die nicht gern gesehen wird in solch einer reichen Gesellschaft.“ Jedes fünfte Kind in Deutschland sei von Armut bedroht oder gar betroffen. „Und das finde ich für ein sehr reiches Land beschämend.“

SÜDKURIER-Redakteur Julian Singler (rechts) moderiert das Gespräch zwischen Patrick Leismann und Derya Türk-Nachbaur (SPD).
SÜDKURIER-Redakteur Julian Singler (rechts) moderiert das Gespräch zwischen Patrick Leismann und Derya Türk-Nachbaur (SPD). | Bild: Jundt, Matthias

Wenn es um Armut geht, sind sich Türk-Nachbaur und ihr Gegenspieler beim SÜDKURIER-Format „Gespräch mit Überraschungsgast“, Patrick Leismann, Steuerberater und Mitglied der Jungen Liberalen, einig. Dieser sagt, die beiden hätten etwas gemeinsam, und zwar den Migrationshintergrund der Eltern. Vielleicht, so die SPD-Politikerin, gehe ihr ausgeprägtes Engagement in dieser Sache auch auf die eigene Vita zurück. „Ich komme aus einfachsten Verhältnissen, aus einer Arbeiterfamilie, in welcher der Vater viele Jahre arbeitslos war“, erzählt Türk-Nachbaur. „Unsere Eltern mussten richtig schuften, um die vier Kinder durchzubringen, zum Studieren zu bringen. Dadurch mussten sie selber vieles vernachlässigen.“

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Als Alleinerziehende habe sie darüber hinaus am eigenen Leib miterlebt, was Kinderarmut bedeute; sie wisse, welche Herausforderungen damit verbunden seien, genauso fehlende Teilhabe. „Diesen Menschen würde ich gern eine laute und soziale Stimme hier im Wahlkreis geben. Und ich würde gern die Lobbyistin dieser Menschen sein, die keine Lobby haben“, schließt Türk-Nachbaur einen flammenden Appell an.

Serie zur Bundestagswahl

Dass der Anteil Alleinerziehender in Baden-Württemberg am höchsten sei und wie die SPD-Kandidatin dem entgegenwirken möchte, verrät sie im Video – denn Teilhabe geht ihr zufolge nur über den Spracherwerb und über Arbeit, das müsse gewährleistet werden.

Welche Rolle spielt Armut bei uns? Video: Jundt, Matthias

Bei aller bisherigen Einigkeit nimmt Patrick Leismann beim zweiten Thema, der Finanzpolitik, dann auch seine Rolle des Gegenspielers ein. Um seine Rente mache sich der 32-Jährige als Steuerberater zwar keine Sorgen, da er sich genauso wie Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte oder Ärzte auf ein berufsständisches Versorgungswerk verlassen könne. Und auch das Vorangehen der Sozialdemokraten, mittlere und kleine Einkommen zu entlasten, könne er voll und ganz mittragen. „Ich frage mich ohnehin, wieso das in den vergangenen Jahren nicht schon geschehen ist.“ Derya Türk-Nachbaur glaubt es zu wissen: „Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre das schon längst passiert. Aber wir haben nicht allein regiert.“

Mittlere und kleine Einkommen entlasten Video: Jundt, Matthias

Bauchschmerzen verursacht bei Leismann vielmehr die von der SPD anvisierte Rückkehr zur Vermögenssteuer. Das solle laut der Partei vonstatten gehen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden, „das haben wir auf dem Schirm“, so Türk-Nachbaur. Aber wie? „Wir haben uns fest vorgenommen: Wir nennen uns nicht nur Arbeiterpartei, wir sind es auch. Den Vermögenssteuersatz wollen wir nur für private Einkommen einführen“, erklärt sie. Steuerabgaben würden immer für die breite Bevölkerung genutzt: Investitionen in Schulen, schnelles Internet, gut ausgebaute Straßen. Leismann rege als Steuerzahler jedoch auf, „dass der Solidaritätszuschlag nach dem Willen der SPD nicht für alle abgeschafft werden soll“. Diesen wollte man ihm zufolge zeitlich begrenzen, da sei irgendwo ein Versprechen nicht eingehalten worden: „Das hat ein Gschmäckle.“

Vermögenssteuer Video: Jundt, Matthias

Bei der Rolle von Immobilien sagt Derya Türk-Nachbaur: „Ich denke, wer zwei bis drei Millionen Euro Immobilienwert hat, dem tut es nicht weh, ein Prozent davon abzugeben, damit die Solidargemeinschaft davon profitiert.“ Zumindest wenn es nicht darum gehe, nur sich selber die Taschen zu füllen und zu sagen, die anderen seien einem egal. Die SPD wolle der Tatsache den Riegel vorschieben, dass Bodenpreise zum Spekulationsobjekt geworden seien. Hierfür habe die Partei gute Instrumente, das zu regeln, ohne zu tief einzugreifen – Türk-Nachbaur erwähnt das Einführen eines Mietenmoratoriums, eine am Gemeinwohl orientierte Bodenpolitik: „Dagegen kann keiner etwas haben.“

Bodenpolitik Video: Jundt, Matthias
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Patrick Leismann sieht dahingehend die Gefahr eines Ungleichgewichts, er spricht von einer möglicherweise auf die Gesellschaft zukommenden Unfairness durch Werkzeuge wie die Vermögenssteuer. Dem entgegnet Türk-Nachbaur im Video: Superreiche ab zwei Millionen Einkommen gebe es nahezu keine, also betreffe das kaum jemanden. Dieses große Fass würde wegen diesen wenigen Personen aufgemacht, dem gegenüber stehe die Masse an Bevölkerung. Sie kenne Betroffene, „die gern abgeben“, da sie auch von den Investitionen in Glasfaser profitierten. Leismann stimmt zwar zu, sofern die Gelder auch genau dafür genutzt werden. Superreiche schafften immerhin Wohnraum für die Allgemeinheit, könnten mehr abgeben, doch er fragt sich, ob das immer sinnvoll und richtig ist.

Steuerpolitik Video: Jundt, Matthias

Nicht zuletzt will die SPD ein Bürgergeld einführen, um sich damit Schritt für Schritt von Hartz IV – in der bislang bekannten Form – zu verabschieden. Als Vorteile werden mehr Grundsicherung und weniger Bürokratie angebracht. Derya Türk-Nachbaur hat dabei den Wahlkreis im Blick: „In den vergangenen Wochen war ich viel in unseren Sozialverbänden unterwegs. Dort herrscht Einigkeit darüber, dass Prozesse entbürokratisiert werden, Gelder zentral in leichter Sprache online verfügbar sein müssen. Das haben wir alles vor.“ Was ihr enorm aufstoße, ist, „dass zum Beispiel das Kindergeld als Einkommen gerechnet wird“. Davon müsse man weg, „weil wir damit Kinder nicht aus der Armut rauskriegen“.