Im großen BaWü-Check der Tageszeitungen in Baden-Württemberg befürchten 70 Prozent von Befragten einer Studie des Demoskopischen Instituts Allensbach, dass sich die Innenstädte nach Corona durch Insolvenzen von Geschäften, Restaurants und Cafés verändern werden. 40 Prozent befürchten gar eine dauerhafte Verödung und Verlust der Attraktivität der Innenstädte. Nur 14 Prozent hoffen auf eine rasche Wiederbelebung. Wie schätzen Experten aus dem Landkreis die Situation ein? Wir haben mit Vertretern des Einzelhandelsgewerbes und Händlern direkt gesprochen.

Der Großteil der Geschäfte, wie hier in St. Georgen, ist seit Mitte Dezember geschlossen.
Der Großteil der Geschäfte, wie hier in St. Georgen, ist seit Mitte Dezember geschlossen. | Bild: Sprich, Roland

Rainer Böck, Vorsitzender der Sparte Handel Villingen des Gewerbevereins Villingen-Schwenningen, findet die Formulierung der Verödung überspitzt dargestellt. „Wenn man in einer Krise jemanden befragt, ist die Stimmung immer schlecht. Ich denke doch, dass Villingen nicht veröden wird. Das beste Beispiel ist samstags, da sind auf dem Markt immer noch jede Menge Menschen unterwegs.“ Dass die Stadt derzeit öde ist, weil die meisten Geschäfte wie Modeboutiquen, Friseure, Blumenläden und Straßencafés geschlossen sein müssen, sei klar. „Aber das wird ja hoffentlich kein Dauerzustand. Wir müssen wieder Leben in die Stadt kriegen.“ Böck setzt auf die Hoffnung, dass sich die Situation bis im Frühjahr ändern werde. Er hofft auch auf den Impfstoff. „Wenn wir in Deutschland einmal durchgeimpft sind, geht es uns wieder besser.“

Dieses Schild macht Kunden an einem Elektrogeschäft in St. Georgen darauf aufmerksam, das der Laden bis mindestens Ende des Monats ...
Dieses Schild macht Kunden an einem Elektrogeschäft in St. Georgen darauf aufmerksam, das der Laden bis mindestens Ende des Monats geschlossen ist. | Bild: Sprich, Roland

Einen Vorteil von Kleinstädten gegenüber großen Städten und Metropolen sieht Claudius Fichter, Vorsitzender des Handels- und Gewerbevereins St. Georgen. „Natürlich hat auch der Handel in der Bergstadt die Zunahme am Onlinehandel zu spüren bekommen.“ An eine Verödung der Innenstädte glaubt er im ländlichen Raum jedoch nicht. Er setzt darauf, dass mit der Stadtkernsanierung die St. Georgener Innenstadt sogar wieder neue Attraktivität gewinnen und neue Geschäfte anlocken wird. Und noch einen Pluspunkt sieht Fichter. „Der große Pluspunkt der meist inhabergeführten Geschäfte ist, dass bei uns der Service im Vordergrund steht. Das Serviceangebot gibt es online nicht.“ Fichter ist deshalb der festen Überzeugung, dass „Service unser Plus für die Zukunft ist.“

Gerhard Werb, Inhaber des Haushalts- und Spielwarengeschäfts Thedy in Donaueschingen.
Gerhard Werb, Inhaber des Haushalts- und Spielwarengeschäfts Thedy in Donaueschingen. | Bild: Roger Müller

Gerhard Werb, Inhaber des Haushalts- und Spielwarengeschäfts Thedy in Donaueschingen, teilt die Befürchtungen. „Die Gefahr besteht durchaus. Das ist ein Prozess, der sich langfristig bemerkbar machen kann.“ Insbesondere die staatlichen Hilfen, die überwiegend in Form von Krediten zur Verfügung gestellt werden, könnten manchen Händlern zeitverzögert zu schaffen machen. „Zwar ist die Rückzahlung für ein Jahr ausgesetzt, aber irgendwann wollen die Kredite ja bedient werden. Und dann holt es einen ein und für manche wird die schleichende Insolvenz kommen, weil das Geld ja nicht auf den Bäumen wächst.“ Derzeit versuchen die Händler, mit ihren Kunden über sämtliche Kanäle wie Onlineangebot und Abhol- beziehungsweise Lieferangeboten in Kontakt zu bleiben. „Aber das ist natürlich nicht das Gleiche, als wenn der Laden geöffnet wäre. Der Einzelhandel ist auf Kundschaft ausgerichtet.“

Kerstin Metzger hat ihr Wäschegeschäft „Popcorn“ in Blumberg derzeit geschlossen. Archivbild: Bernhard Lutz
Kerstin Metzger hat ihr Wäschegeschäft „Popcorn“ in Blumberg derzeit geschlossen. Archivbild: Bernhard Lutz | Bild: Lutz, Bernhard

Kerstin Metzger, Inhaberin des Fachgeschäfts für Damenmode und Dessous Popcorn in Blumberg: „Jeder kleine Geschäftsinhaber ist spätestens mit dem zweiten Lockdown in Existenznöten, wenn er nicht viel auf der Seite hat.“ Das Offerieren seiner Angebote über Onlinehandel hält sie nicht in jedem Fall für geeignet. „Das kommt immer darauf an, was man verkauft. Bücher, Schuhe oder einen Kochtopf kann man eher online kaufen wie bei mir Unterwäsche. Weil die persönliche Beratung genau das ist, weshalb die Kundinnen zu mir kommen.“ Dennoch ist der Onlineverkauf auch nicht das gleiche wie der persönliche Besuch im Buchhandel. „Da findet man beim Bummeln und Stöbern vielleicht das ein oder andere zusätzlich.“ Beim Onlineeinkauf würde man explizit auf die Suche nach dem benötigten Produkt gehen.

Yvonne Schaumann von Wäsche Schilling in VS-Villingen stimmt der Angst vor Verödung voll und ganz zu. „Kleine Geschäfte, die Miete zahlen müssen und keine Rücklagen mehr haben, da wird es ein Sterben geben“, ist sie sicher. Schaumann kritisiert die fehlende Unterstützung der Politik. „Im ersten Lockdown wurde noch die Unterstützung des lokalen Handels forciert. „Das ist nun komplett weg“, bedauert sie. „Wir haben glücklicherweise noch Bedarfswäsche, die man zum täglichen Leben benötigt. Aber Anbieter von Produkten, die man nicht alle zwei bis drei Monate kaufen muss, werden es schwer haben.“ Auch seien die Hürden für eine finanzielle Unterstützung durch den Staat hoch. „Die Voraussetzungen zu erfüllen schafft man nahezu nicht.“

„Service ist unser Plus für die Zukunft.“ Claudius Fichter, HGV-Vorsitzender, St. Georgen
„Service ist unser Plus für die Zukunft.“ Claudius Fichter, HGV-Vorsitzender, St. Georgen | Bild: Sprich, Roland