Herr Fetscher, die Fridays for Future-Bewegung hat rasant an Fahrt aufgenommen, auch Villingen hat jetzt einen Unverpacktladen – Themen wie Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Klimaveränderung sind allgegenwärtig. Stellen auch Sie ein zunehmendes Interesse am Thema Müll fest?

Das Interesse hat in den vergangenen ein, zwei Jahren auf jeden Fall zugenommen. Ich bekomme beispielsweise verstärkt Anfragen, Vorträge zu halten, die auch immer gut besucht sind, übrigens auch besser besucht als noch vor einigen Jahren. Ich finde es wichtig, das Thema „Littering“ – also Vermüllung – für uns vor Ort und in der Region zu beleuchten.

Wenn Sie in den Medien wieder einmal Bilder von Müllinseln im Meer sehen – was geht Ihnen als erstes durch den Kopf?

Ich sehe das als Problem des Wohlstandsgefälles. Der arme Teil der Weltbevölkerung sieht sich jetzt mit Umweltproblemen konfrontiert, die wir vor 30 Jahren hatten, und ist gar nicht in der Lage, dem Herr zu werden. Ich glaube – und da gibt es auch entsprechende Untersuchungen – dass nur ein geringer Teil des Meer-Mülls direkt in den Meeren landet. Die riesigen Berge stammen überwiegend aus dicht besiedelten Entwicklungsländern, und der größte Teil wird legal entsorgt, weil es gar keine geregelten Entsorgungswege gibt. Was mich aber indirekt freut: Solche plakativen Bilder, gerade, wenn sie an Plastikmüll verendete Tiere oder vermüllte Korallenriffe in Indonesien zeigen, sorgen dafür, dass die Menschen aufgerüttelt werden. So etwas wird natürlich stark emotional. Dem Verständnis dafür, was eine gute Abfallentsorgung ausmacht, tut das sicher gut.

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Das Thema Abfallwirtschaft ist ja unheimlich vielschichtig. Was fasziniert Sie persönlich daran?

Mich fasziniert, wie man Lösungen sucht, um die Abfallentsorgung einerseits ökologisch sinnvoll, andererseits aber auch bürgernah und ökonomisch zu gestalten. Wobei ökonomisch nicht bedeutet, dass wir Gewinne machen, das tun wir nicht, sondern vielmehr, dass die Abfallgebühren konstant bleiben. Ganz persönlich, das hat aber mit meiner Arbeit nichts zu tun, interessiert mich die Geschichte der Abfallentsorgung, die Anfänge, wie es früher mit den Deponien lief. Darin steckt ja eine enorme Entwicklung, und ich bin mir sicher, wir werden in 20 Jahren Dinge sehen, die wir heute falsch machen.

Zum Beispiel?

Ich denke da etwa an Weiterentwicklungen in der Verpackungsindustrie im Hinblick auf ökologische Kriterien. Da geht es geht meiner Meinung nach zu zögerlich vorwärts. Als Anfang der 90er Jahre der Grüne Punkt eingeführt wurde, hatte sich schnell viel getan, was in den letzten Jahren eher nicht mehr der Fall war. Man hätte beispielsweise Pfandsysteme schon lange vereinheitlichen können. Oder, ein anderes Beispiel: die Industrie, die Produkte herstellt, von denen wir heute noch nicht wissen, wie sie dereinst entsorgt werden sollen. Nehmen wir mal Carbonfasern. Carbon ist ein sehr hochwertiger und leichter Werkstoff, der unter anderem für Tennisschläger, Skier oder Autoteile verwendet wird. Bis heute sind die Fasern aber nicht recycelbar, und lassen sich nicht einmal vernünftig verbrennen, weil sie als krebserregend gelten. In den vergangenen Jahren wurden auch viele Gebäude mit Hartschaumplatten gedämmt. Die wurden verklebt und überputzt, auch die lassen sich nur schwer vernünftig verbrennen. All das sind Probleme, mit denen wir uns in 20 Jahren auseinander setzen müssen.

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Dazu kommen ja vielerorts auch Altlasten im Boden, etwa an ehemaligen Industriestandorten.

Diese sind allerdings kartiert. Wenn der Verdacht besteht, dass der Boden nach wie vor verunreinigt ist, werden erst Untersuchungen vorgenommen, bevor etwas gebaut wird.

Sie haben vorhin die Deponien erwähnt, auf denen jahrzehntelang der Müll entsorgt wurde. Da schlummert sicher auch noch manches im Boden?

Die schlimmsten Schadstoffbelastungen nehmen im Laufe der Jahre durchaus ab. Hier wird auch streng kontrolliert, Sickerwasser und Deponiegase werden bearbeitet. Aber die Standorte werden auf ewig alte Deponien sein. Eine Folie, die wir heute dort finden, wird aller Voraussicht nach auch in hundert Jahren noch dort liegen. Vor einiger Zeit wurde auf der Hüfinger Deponie etwas gebaut und bei den Baggerarbeiten kam eine Zeitung aus dem Jahr 1973 zum Vorschein.

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Wobei Altpapier damals doch eigentlich auch schon gesammelt wurde?

Genau, vor Einführung der grünen Tonnen fand die Altpapiersammlung als Bündelsammlung statt.

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Vom Rest landete aber früher schon fast alles auf den Deponien?

Richtig. Bis man feststellte, dass diese zu klein und der Bedarf immer größer wurde. In den 60er Jahren beispielsweise gab es längst nicht so viel Müll wie heute – auch, weil viele einen Ofen zu Hause hatten und viel verbrannt wurde. Damals wurden Gegenstände auch länger benutzt, Hosen geflickt und Socken gestopft. Heute sind Socken so günstig, dass man einfach neue kauft. Die Abfallmengen hängen mit dem Konsum eng zusammen. Die Kurven kann man nebeneinander legen. Ein wichtiges gesellschaftliches Ziel für Verbraucher, Industrie und Politik wird es sein, darauf hinzuarbeiten, dass Wohlstand sich von der Abfallmenge entkoppelt. Auch wenn das vielleicht nicht immer in aller Konsequenz funktioniert. Komplett plastikfrei – das ist schwierig. Kunststoff an sich ist ein tolles Material. Eine Plastiktüte, die man vielfach verwendet, hat eine bessere Ökobilanz als eine Jutetasche. Die wiederum ist – vielfach verwendet – ökologisch sinnvoller als eine Papiertüte, vor allem, wenn es eine Papiertüte ist, die mit Kunststoff beschichtet wurde, wie man sie im Modebereich oft findet. Die ist auch nicht wirklich recyclingfähig.

Fragen: Nathalie Göbel