Das falsche Bahnticket gekauft oder absichtlich ohne gültigen Fahrschein unterwegs: Noch kann man dafür im Gefängnis landen, wie der SÜDKURIER bereits berichtet hat. Doch nun beschäftigt sich die Bundesregierung offenbar damit, das sogenannte Schwarzfahren zu entkriminalisieren.

Laut dem Magazin „Spiegel“ soll Justizminister Marco Buschmann (FDP) prüfen, Schwarzfahren und andere Bagatelldelikte zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen, um das überforderte Justizsystem zu entlasten. Was sagen Behörden und Verkehrsbetriebe im Kreis dazu? Fürchten sie mehr Verstöße? Und wie viele Fälle gibt es hier überhaupt?

Rund 150 Verfahren wegen Schwarzfahrens in 2021

Laut Andreas Mathy von der für den Schwarzwald-Baar-Kreis zuständigen Staatsanwaltschaft Konstanz gab es im vergangenen Jahr im 167 Verfahren wegen des Erschleichens von Leistungen, worunter Schwarzfahren fällt. „Dazu gehören auch ein paar andere Verstöße, aber der Großteil betrifft Schwarzfahrer“, sagt er.

Andreas Mathy, Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz.
Andreas Mathy, Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz. | Bild: Picasa

27 der Verfahren seien gegen Jugendliche eröffnet und mit Geldauflage eingestellt worden. 140 mal waren Erwachsene die Täter. Auch davon seien 90 Verfahren entweder sanktionslos oder gegen Geldauflage eingestellt worden – je nachdem ob es sich um einen Wiederholungstäter handelte. „Der Rest ging per Strafbefehlsantrag ans Gericht“, so Mathy.

Richterin: Verurteilung zu Freiheitsstrafen nicht unüblich

Dort sitzt Birgit Reerink, Direktorin am Amtsgericht Donaueschingen. Sie berichtet von insgesamt 27 Verfahren gegen Schwarzfahrer im vergangenen Jahr. Es sei immer zur einer Verurteilung gekommen, das Strafmaß liege bei Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. „Wir haben auch mehrere Schwarzfahrer tatsächlich zu Freiheitsstrafen verurteilt – allerdings zur Bewährung“, sagt sie.

Die Entscheidung hänge letztlich von der Schwere der Schuld ab, zum Beispiel ob jemand wegen mangelnder Deutschkenntnisse das falsche Ticket gelöst hat oder bereits zum wiederholten Male ganz ohne Fahrschein unterwegs war. „Vor Gericht landet man als Schwarzfahrer aber erst im Wiederholungsfall“, versichert sie.

Wie groß ist der Schaden für die Unternehmen?

„In regional strukturieren Verbünden wie dem VSB entsteht rein statistisch ein durchschnittlicher Schaden von einem bis 2,5 Prozent an den jährlichen Fahrgeldeinnahmen, umgerechnet rund 200.000 Euro jährlich“, schätzt Stefan Preuss, Geschäftsführer beim VSB, den Schaden ein.

VSB-Geschäftsführer Stefan Preuss.
VSB-Geschäftsführer Stefan Preuss. | Bild: Kreisverband Grüne Schwarzwald-Baar

Konkrete Zahlen zu den Verstößen könne er jedoch nicht nennen, da die zwölf Verkehrsunternehmen im Verbund für Kontrollen zuständig seien. Die Daten würden nicht gebündelt erfasst.

Durchschnittlich drei bis fünf Schwarzfahrer pro Kontrolle in VS

Eines dieser Unternehmen ist die VGVS, die Verkehrsgemeinschaft Villingen-Schwenningen. Bei Stichprobenkontrollen würden rund 1000 Leute kontrolliert – meist erwische man drei bis fünf Schwarzfahrer, erklärt Geschäftsführer Frank Wiest.

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Wer einen gültigen Fahrschein nicht später nachzeigen kann, dem drohe aktuell eine Strafe von 60 Euro plus die Kosten für einen gültigen Fahrausweis – unabhängig von der strafrechtlichen Verfolgung, so Preuss. Dieses sogenannte „erhöhte Beförderungsentgelt“ kompensiere jedoch bei Weitem nicht die Fahrgeldausfälle, „die durch massenhafte Leistungserschleichung jährlich entstehen“, sagt Stefan Preuss. Wie steht er also zur möglichen Entkriminalisierung?

Das sagen die Verkehrsbetriebe zur Entkriminalisierung

„Die Geldstrafe von 60 Euro ist und bleibt empfindlich, insofern erwarten wir keine generelle Zunahme, nur weil der Extremfall der Gefängnisstrafe entfallen könnte“, erklärt Preuss.

VGVS-Geschäftsführer Frank Wiest.
VGVS-Geschäftsführer Frank Wiest. | Bild: Fröhlich, Jens

Frank Wiest kritisiert die Idee hingegen, weil dadurch die abschreckende Wirkung verloren gehe: „Wir bringen bisher jeden Schwarzfahrer zur Anzeige. Zwar werden die Verfahren leider oft eingestellt, aber die Hürde ist bei einer Straftat dennoch höher“, erklärt er. Er fürchtet daher eine Zunahme an Schwarzfahrern. Doch einen Vorteil könnte die geplante Reform haben: „Wenn das Ordnungswidrigkeitsverfahren eher vollzogen wird als eine Anzeige, dann wäre es gut so.“

Wie stehen Gerichte und Staatsanwaltschaft zur Abstufung?

Amtsgerichts-Direktorin Reerink befürwortet die mögliche Herabstufung trotz geringer Fallzahlen im Kreis, „weil das Justizsystem als Ganzes überlastet sei“, erklärt sie. So gebe es vor allem in großen Städten mit S-Bahn-Netz Probleme – wie in Stuttgart. „Am Ende leidet darunter aber jedes Gericht“, sagt sie.

Birgit Reerink, Direktorin Amtsgericht Donaueschingen.
Birgit Reerink, Direktorin Amtsgericht Donaueschingen. | Bild: Birgit Müller

Denn: Das Justizministerium legt eine Richterzahl für Baden-Württemberg fest. Die würden auf einzelne Gerichtsbezirke verteilt – und von dort wiederum auf die nachgestellten Landgerichte. „Wenn in Stuttgart oder Karlsruhe Überlastung herrscht und sie mehr Stellen brauchen, bleiben von der Gesamtzahl weniger Richterstellen für die Gerichte in Donaueschingen und Villingen übrig, die dann bei anderen Fällen fehlen“, erklärt die Direktorin.

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Die Staatsanwaltschaft fühlt sich laut Andreas Mathy dagegen nicht übermäßig belastet. Und eine Abstufung sei ohnehin Sache des Gesetzgebers. „Aber auch als Ordnungswidrigkeit bleibt Schwarzfahren verboten und wird sanktioniert, daher wäre das schon in Ordnung“, findet Mathy.

Justizministerium: Staat muss Schwarzfahrern „Einhalt gebieten“

Beim Justizministerium Baden-Württemberg sieht man die Idee dagegen kritisch. Gegen eine solche Abstufung spreche, dass auch Ordnungswidrigkeiten die Staatsanwaltschaften und Gerichte treffen würde, erklärt Pressesprecher Robin Schray, da lediglich die Zuständigkeit verlagert würde. Denn ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid des Ordnungsamtes ginge am Ende doch vor Gericht.

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Seiner Einschätzung nach sei weniger als ein Prozent des Personals mit diesen Fällen beschäftigt. Zudem habe „Schwarzfahren in den letzten 25 Jahren permanent und massiv zugenommen“, dem habe der Staat „Einhalt zu gebieten“, so Schray.

Ministerin: Notfalls Personal aufstocken

Marion Gentges (CDU), Justizministerin von Baden-Württemberg.
Marion Gentges (CDU), Justizministerin von Baden-Württemberg. | Bild: Bernd Weißbrod

Und auch Ministerin Marion Gentges sagt: „Ob wir ein Verhalten als strafwürdig erachten, darf nicht von einer Haushalts- oder Personallage abhängig gemacht werden.“ Notfalls müsse Personal aufgestockt werden.