Als Hans-Hartwig Lützow vom Peterzeller Untermühlbachhof die Nachricht vom russischen Angriff auf die Ukraine hörte, hat er keine Sekunde gezögert und zeigte Eigeninitiative. Er holte eine ukrainische Mutter mit ihren drei Kindern in den Schwarzwald, zu der seit mehr als 20 Jahren eine besondere Verbindung besteht.
Anna Turkulova kennt den Untermühlbachhof. Bereits vor mehr als 20 Jahren war sie schon einmal hier. „Damals habe ich meinen damaligen Freund und jetzigen Ehemann besucht, der auf dem Hof als Au-pair arbeitete“, sagt sie. Sie selbst war damals ebenfalls Au-pair und hat bei einer Familie in Villingen-Schwenningen gearbeitet. Bei dieser Erinnerung huscht ein Lächeln über ihr Gesicht.
Jetzt ist sie rund 2000 Kilometer getrennt von ihrem Mann, der in ihrer Heimatstadt zurück bleiben muss, um im schlimmsten Fall sein Land zu verteidigen. Noch hofft Anna, dass es nicht soweit kommen wird.
„Ich hatte noch nie solche Angst. Das war wie ein starkes Brennen auf der Brust, als ob die Seele schmerzt.“Anna Turkulova
„Wir kommen aus dem Westen der Ukraine, 400 Kilometer vor der polnischen Grenze. Das ist noch einer der sicheren Orte“, sagt sie in perfektem Deutsch. Anna Turkulova ist Deutschlehrerin an einer Allgemeinschule, an der sie Kinder von der ersten bis zur elften Klasse unterrichtet.
Tagelang im Schockzustand
Seit gut einer Woche ist Anna Turkulova jetzt auf dem Untermühlbachhof. Die Angst um ihren Mann und die Strapazen der vergangenen Tage haben Spuren von Angst und Erschöpfung nicht nur in ihrem Gesicht, sondern auch auf ihrer Seele hinterlassen. „Ich hatte noch nie solche Angst. Das war wie ein starkes Brennen auf der Brust, als ob die Seele schmerzt“, beschreibt sie ihre Emotionen.
Für Anna Turkulova begann der Krieg „am 25. Februar um fünf Uhr morgens, als bei uns der Flughafen bombardiert wurde“. Als kurz darauf die Schulleitung bei ihr anrief und mitteilte, dass die Schüler aufgefordert sind, nicht mehr zur Schule zu kommen, war sie fassungslos.
„Ich bekam einen Schock, war handlungsunfähig.“ Vier Tage hielt dieser Zustand an, in der sie und ihr Mann auch nichts essen konnten. „Wir haben nur Wasser getrunken.“ Immerhin haben die Kinder Andrej (13 Jahre), Sachar (zehn Jahr) und Ustym (zwei Jahre), die Situation nicht ganz so mitbekommen, sie konnten essen.
Trotz allem Schuldgefühle
Als Hans-Hartwig Lützow die Situation erkennt, zögert er keine Sekunde. Er lädt Anna und ihre Kinder sofort zu sich ein und fährt persönlich los, um sie an der polnischen Grenze abzuholen.
Jetzt sind sie in Sicherheit. Doch das Gefühlschaos im Kopf bleibt. „Ich fühle mich wie eine Verräterin, weil ich meine Schulkinder im Stich gelassen habe. Ich sollte eigentlich Vorbild sein“, sagt sie bedrückt.
Jetzt organisiert sie einen Hilfstransport
Um ihr schlechtes Gewissen deswegen etwas zu beruhigen, hat Anna Turkulova persönlich einen Hilfstransport organisiert, der in diesen Tagen Hilfsgüter in die Ukraine bringt.
„Vor allem Schlafsäcke und Isomatten, vor allem aber auch Erste-Hilfe-Koffer und gute Schuhe und warme Bekleidung für die Männer“, zählt sie auf. Derzeit hat sie genügend Material, um einen Transporter zu füllen, sodass sie keine weiteren Materialien benötigt.
Hoffnung auf Rückkehr
Zwar hofft Anna, dass sich die Situation bald entschärft und sie mit den Kindern wieder zu ihrem Mann zurück in die Ukraine gehen kann. Doch sie befürchtet, dass sie länger in Deutschland bleiben muss. „Ich habe mich und meine Familie bereits in St. Georgen angemeldet“, sagt sie. Und auch um zwei Schul- und einen Kindergartenplatz für ihre Kinder wird sie sich demnächst kümmern.
Sie verspürt keinen Hass
Am Ende betont Anna, dass sie kein Mensch ist, der Hassgedanken hegt und deswegen auch den russischen Machthaber Putin nicht hasst, wenngleich er viel Leid über ihr Land bringt. Sie ist überzeugt, „dass Putin nicht aufgeben wird, um nicht als Verlierer in seinem Land da zu stehen“.
Er wird noch sehr weit gehen und es wird noch viele Opfer geben. „Es ist schwer nachvollziehbar in Deutschland, wie brutal die russische Politik sein kann“, sagt sie. Auch in der Ukraine gebe es „freche Oligarchen. Aber wir dürfen unsere Meinung offen sagen“, sagt sie und macht deutlich, „dass uns das russische Regime nicht am Herzen liegt“.