Das hört man in Deutschland eher selten: „Wir haben volles Vertrauen in unsere Regierung.“ Das sagt Eeva Karjalainen. Sie ist in Finnland geboren und aufgewachsen und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Seit drei Jahren ist sie Chefin im Unterkirnacher Gasthaus Breitbrunnen. Das politische Geschehen in ihrem Heimatland verfolgt sie auch aus gut 2500 Kilometer Entfernung mit großem Interesse.

Das Ende der Neutralität

In den vergangenen Wochen hat das kleine und bislang militärisch bündnisfreie Land Schlagzeilen gemacht: Sowohl Finnland als auch das Nachbarland Schweden streben den Beitritt in die Nato an – eine außenpolitische Kehrtwende. „Sanna Marin hat das volle Vertrauen des Volkes – auch was den Nato-Beitritt betrifft“, sagt Eeva Karjalainen über die Regierungschefin. „In Deutschland gibt es immer gleich eine riesen Opposition.“

Drohgebärden eines Despoten

Auf die Bestrebungen von Schweden und Finnland zur Nato-Aufnahme folgten umgehend Drohungen aus Moskau. Der russische Vize-Außenminister Sergej Rjabkow nannte es einen „schwerwiegenden Fehler mit weitreichenden Folgen“. Kreml-Chef Wladimir Putin legte in Richtung Finnland nach, die bislang guten nachbarschaftlichen Beziehungen würden sich verschlechtern.

Vera Bruhn hat Finnland, die Heimat ihrer Mutter Eeva, immer bei sich. Hier zeigt sie auf dem Tattoo, wo Kajaani liegt. Dort, nur 110 ...
Vera Bruhn hat Finnland, die Heimat ihrer Mutter Eeva, immer bei sich. Hier zeigt sie auf dem Tattoo, wo Kajaani liegt. Dort, nur 110 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, hat die 25-Jährige fünf Jahre lang studiert. | Bild: Göbel, Nathalie

Eine 1300 Kilometer lange Grenze liegt zwischen den beiden Ländern. Auf der einen Seite das riesige Russland mit 17 Millionen Quadratkilometern Fläche, auf der anderen Seite das vergleichsweise winzige Finnland mit 338.000 Quadratkilometern. In Russland der aggressive Despot, der vor drei Monaten den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, in Finnland die Sozialdemokratin Sanna Marin. Die ist aufgewachsen in einer Regenbogenfamilie bei ihrer Mutter und deren Partnerin, ist selbst Mutter einer kleinen Tochter und mit gerade einmal 36 Jahren Regierungschefin ihres Landes.

Magdalena Andersson (links), Ministerpräsidentin von Schweden, und Sanna Marin, Ministerpräsidentin von Finnland, treffen sich am 13. ...
Magdalena Andersson (links), Ministerpräsidentin von Schweden, und Sanna Marin, Ministerpräsidentin von Finnland, treffen sich am 13. April, um über einen Nato-Beitritt ihrer Länder zu beraten. | Bild: Paul Wennerholm

Finnland sei bislang immer sehr stolz auf seine Neutralität gewesen, sagt Eeva Karjalainen. „In diesem Fall möchte man als Partner doch lieber Länder, denen man auch ansonsten näher steht.“

„Dass dieser alte Hass jetzt womöglich wieder ausgegraben wird – das macht mir schon zu schaffen.“
Eeva Karjalainen

Die von Wladimir Putin zitierten „guten nachbarschaftlichen Beziehungen“ – sie sind und waren nicht immer gut. Im Winter 1939 überfiel die Sowjetunion das Nachbarland, Finnland verlor große Teile Kareliens und 1944 das Gebiet Petschenga.

Seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs habe man sich den Nachbarn angenähert, sagt Eeva Karjalainen. Viele Freundschaften seien entstanden, wo in den frühen 90er Jahren noch Argwohn geherrscht habe. Gebessert habe sich das Verhältnis erst, als man in Finnland gemerkt habe, dass es auch in Russland Reiche gebe und diese ihr Geld ins Nachbarland brachten.

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„Dass dieser alte Hass jetzt womöglich wieder ausgegraben wird – das macht mir schon zu schaffen“, sagt Eeva Karjalainen. An den Demonstrationen in Russland sehe man ja, dass längst nicht alle Russen den aggressiven Kurs des Kremlchefs mittragen.

„Ein bisschen wie die Schweizer“

Ihre 25-jährige Tochter Vera hat in den vergangenen Jahren viel mit jungen Leuten aus Russland zu tun gehabt. Sie hat in Kajaani Sport- und Freizeitmanagement studiert. Die 35.000 Einwohner-Stadt liegt gerade einmal 110 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Viele ihrer Kommilitonen waren aus Russland, viele Russen regelmäßige Besucher in der Stadt in der Mitte Finnlands. „Ein bisschen wie bei uns die Schweizer“ seien die russischen Tagestouristen. „Sie machen bei Lidl ihren Großeinkauf und bekommen die Steuern erstattet. Die Finnen wiederum tanken in Russland, wenn sie in Grenznähe sind“, sagt Vera Bruhn.

Vera Bruhn zeigt ein Bild der Suomi-neito, der Jungfrau Finnland. Ihren zweiten Arm rechts oben, die Gegend um Petsamo, musste Finnland ...
Vera Bruhn zeigt ein Bild der Suomi-neito, der Jungfrau Finnland. Ihren zweiten Arm rechts oben, die Gegend um Petsamo, musste Finnland 1944 an die Sowjetunion abtreten. | Bild: Göbel, Nathalie

Dass Wladimir Putin seinen direkten Nachbarn nun droht – für die 25-Jährige eine unwirklich anmutende Situation. „Man denkt da schon: Das kann jetzt nicht sein, dass wir selbst betroffen sind“, sagt sie. Sie würde im Winter gerne in Lappland als Skilehrerin arbeiten. „Vorausgesetzt, Putin rastet nicht völlig aus.“

Smalltalk-Thema Dienstgrad

Mit Finnlands Beitritt zur Nato wird die Militärallianz um 28.000 Soldatinnen und Soldaten verstärkt. Der Wehrdienst – ist in Finnland Ehrensache und beliebtes Smalltalkthema. In der Sauna unterhalte man sich nicht etwa über Autos oder den Job, sagt Eeva Karjalainen. Nein, stattdessen gehe es um den Wehrdienst – und nicht selten werde ein Gespräch mit der Frage nach dem Dienstgrad eröffnet.

Nach dem Abitur in den Schwarzwald

Auch Elias Kemppainen bereitet sich schon gedanklich auf seine Wehrpflicht vor. Der 18-Jährige hat in Finnland gerade Abitur gemacht und ist über seine Mutter als Praktikant ins Gasthaus Breitbrunnen gekommen. Hier hilft er momentan überall – sei es als Hausmeister oder im Service, wo er die Herzen der Gäste im Handumdrehen erobert hat.

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Kemppainen kann sich vorstellen, in Deutschland zu bleiben und eine Ausbildung zu beginnen. Wenn der Einberufungsbescheid aus Finnland im Breitbrunnen ankommt, wird er seinen Aufenthalt aber wohl erst einmal unterbrechen.