Irene Hübner hält ihren Chip, den sie am Handgelenk trägt, an das Fahrradergometer im Fitnessstudio Injoy in Villingen. Das Trainingsgerät erkennt die 72-Jährige Villingerin sofort. Sie ist zweimal pro Woche hier zu Gast. Das Gerät stellt Schwierigkeitsstufe und Zeit automatisch für sie ein. Obergfell beginnt zu treten, vier Minuten lang, dann trainiert sie nach kurzer Pause am nächsten Gerät im sogenannten Milon-Zirkel weiter.
Eine Stunde lang dauert ihre Trainingseinheit, unterbrochen von Dehnübungen und Ruhepausen. Es ist Dienstag, 20. April, morgens um 9 Uhr. Deutschland befindet sich noch immer im zweiten Lockdown, die Infektionszahlen steigen. Irene Hübner trainiert trotzdem, wie seit über 20 Jahren, allerdings mit Maske und weißen Stoffhandschuhen und fast ganz alleine.

Im angrenzenden Trainingsbereich, wo Krafttraining an Maschinen möglich ist, stemmt derweil Luitgard Obergfell eine Stunde lang Gewichte, ebenfalls wie seit weit über 20 Jahren. „Bauch und Rücken“, verrät sie ihre Trainingsschwerpunkte. Denn ohne Krafttraining beginnen bei ihr alsbald die Bandscheiben zu schmerzen, die sie seit einem Vorfall Anfang der 90er-Jahre begleiten. Mit regelmäßigem Sport fühlt sie sich jedoch wohl und kann schmerzfrei leben. Während der Zeit, als Studios ganz geschlossen waren, kehrten die Schmerzen zurück. Seit vier Wochen ist wieder Training möglich. „Und schon ist es wieder viel besser geworden“, bilanziert sie den Erfolg.

Die beiden Frauen trainieren häufig gemeinsam, teilen sich coronakonform die geräumigen Trainingsbereiche im Obergeschoss des Studios. Angst vor einer Ansteckung haben sie nicht. Warum auch, denn so wenige Kontakte und so viel Abstand zu anderen Menschen, wie es hier beim Training auf insgesamt 2000 Quadratmetern Trainingsfläche möglich ist, sei selbst beim Einkaufen oder in der Stadt kaum einzuhalten.
Einzeltraining
Dieses VIP- oder Exklusiv-Training, wie man es nennen könnte, ist im Injoy seit November 2020 im Angebot, mit einer kürzeren Pause zum Jahreswechsel. Für 25 Euro können Mitglieder Trainingsstunden buchen, was auf den ersten Blick viel erscheint. Allerdings können die Kosten über Guthabenkarten abgerechnet werden, auf denen zum Beispiel die Mitgliedsbeiträge der Schließzeit gutgeschrieben werden. „Erlaubt ist ein Haushalt pro Bereich oder zwei Personen“, erklärt Studioleiterin Lena Hindelang.
Zur Verfügung stehen insgesamt drei Bereiche, die in der Zeit von 8 bis 20 Uhr buchbar sind: Der Ausdauerbereich im ersten Obergeschoss, der obere Bereich mit Milon-Zirkel, Five-Konzept und Kraftgeräten sowie der Freihantelbereich. Nahezu auf jeder Trainingsstation stehen für die Trainierenden Desinfektionsmittel parat.
Das Angebot kommt bestens an bei Mitgliedern, offenbar so gut, dass es an vielen Tagen keine freien Termine mehr gibt. Das beweist ein Blick in das Buchungssystem am Empfangstresen. Vor allem morgens und in den Bereichen Milon-Zirkel, Ausdauer und Kraft kämen ältere Mitglieder zum Training, so Hindelang. Im Freihantelbereich und gegen Abend sei die Kundschaft bunt gemischt. „Wir bekommen sehr viele positive Rückmeldungen“, freut sich die 23-jährige Studioleiterin.

Positive Signale
Das ist Balsam für die Seele, denn aktuell ist die Situation für Fitnessstudios alles andere als leicht. „Wir spüren derzeit eine deutliche Zunahme bei den Kündigungen und den Verlängerungen, im Vergleich zur Schließung im vergangenen Jahr“, erklärt Hindelang. Damals war das Injoy elf Wochen geschlossen. „Im aktuellen Lockdown sind es bereits 27 Wochen“, so die 23-Jährige. Viele Menschen seien verunsichert, wie es wegen Corona weitergehe, und würden versuchen zu sparen.
Das VIP-Training ist daher auch als Angebot an die Mitglieder zu sehen, um die Kundenzufriedenheit zu stärken. „Ein wichtiger Aspekt auch für unsere Mitarbeiter, die nun abwechselnd immer wieder zum Einsatz kommen“, so die Studioleiterin. Die grundlegende Neugestaltung des Eingangsbereiches im vergangenen Jahr oder die kleineren, aktuellen Baustellen im Haus, seien weitere positives Signal an Mitglieder. „Sie sollen sehen, dass es weitergeht“, erklären Lena Hindelang und Henrike Koch-Hindelang, die seit einigen Wochen in der Verwaltung mitarbeitet. Davon sind Tochter und Mutter jedenfalls überzeugt. Und noch geht ihnen die Luft zum Weitermachen auch nicht aus.

Weitere Angebote
Mit Corona-Hilfen und unterschiedlichsten Angeboten können sie sich über Wasser halten. Viele treue Kunden helfen dabei natürlich auch. Bewährt habe sich das Online-Angebot im Internet. Dort stehen zahlreiche Trainings-Videos rund um die Uhr zum Abruf bereit. Elf Rehasport-Kurse für jeweils bis zu 15 Personen sind ebenfalls im Angebot. „Die sind sehr gefragt und regelmäßig ausgebucht. Teilnahmevoraussetzung ist eine Verschreibung vom Arzt“, erklärt die 23-Jährige. Über Gutschriften- und Wertausgleichsmodelle versuchen Tochter und Mutter Mitglieder zu halten, was einer Kostenverschiebung in die Zukunft entspricht, aktuell aber die so nötigen finanziellen Mittel im Unternehmen hält.

Sport als Ausgleich
Hübner und Obergfell sind dankbar über die Möglichkeit, ab und an ein wenig Sport treiben zu können, auch wenn beide auch sonst viel Bewegung und frische Luft bei Spaziergängen sowie im eigenen Garten genießen. „Ich mache auch Übungen zuhause mit Ball und Gummibändern“, erzählt Obergfell. Allerdings seien zahlreiche Übungen nur im Studio an den Geräten möglich.
Hübner fehlt zuhause oft der Antrieb, sich sportlich zu betätigen. Ein regelmäßiger Termin im Studio helfe, sich zu überwinden. Sie kam übrigens durch ihre Entlassung nach 24 Jahren Arbeit bei der ehemaligen Firma Binder zum Sport. Dieser Ausgleich habe ihr damals über die für sie schwere Zeit hinweg geholfen. Bis heute ist sie dem Sport treu geblieben, ohne würde etwas fehlen im Leben, wie auch das regelmäßige Aufeinandertreffen mit Trainingspartnerin Luitgard Obergfell. Die spricht sich übrigens dafür aus, die Regeln für Studios etwas zu lockern, um wieder mehr Menschen den Fitnesssport zu ermöglichen. „Platz wäre ausreichend vorhanden“, ist sie sich sicher.

Injoy und Upjoy
Die Villingerin Lena Hindelang arbeitet seit 2015 im Injoy, seit Juli 2020 leitet sie das Studio. Nach ihrem Bachelor-Abschluss im Bereich Präventions- und Gesundheitsmanagement hat sie den Master-Studiengang begonnen, den sie im nahenden Juni abschließen möchte. Ihre Mutter Henrike Koch-Hindelang (52) unterstützt das Injoy seit diesem Jahr in der Verwaltung. Insgesamt arbeiten hier vier Festangestellte, sechs Teilzeitkräfte und über zehn freie Mitarbeiter, die zum Beispiel Kurse leiten. Das Upjoy, eine Indoor-Kletterhalle, ist im selben Gebäude ansässig, aber eigenständig. Der Eingangsbereich mit Tresen wird jedoch gemeinsam genutzt. Auch im Upjoy ist es möglich, die Kletterhalle oder den Kinderbereich exklusiv auf Zeit zu buchen.