Als mühselige Wahrheitssuche erwiesen sich die letzten Verhandlungstage im Wirtschaftsstrafprozess gegen die beiden ehemaligen Chefs der Hess AG, Christoph Hess und Peter Ziegler. Neben der ersten Stellungnahme von Ex-Firmenvorstand Christoph Hess (wir berichteten bereits) äußerte sich erneut der ehemalige Finanzvorstand Peter Ziegler zu dem Anklagekomplex „Bilanzmanipulation„.
Dabei ging es im Kern um die Frage: Ging es bei den vielen Rechnungen, die die Entwicklungsgesellschaft des Unternehmens, die Evros GmbH, an konzerneigene Unternehmen sowie an externe Zulieferer stellte, mit rechten Dingen zu? Sprich: Lagen den Rechnungen überhaupt reale Werte zugrunde und wenn ja, waren die Rechnung überhöht, um so künstliche Umsätze zu generieren?
Viele Ungereimtheiten
Den Ermittlern waren hier mancherlei Ungereimtheiten aufgefallen: Rechnungsausgänge bei der Evros Gmbh, denen auf den ersten Blick keine entsprechenden Rechnungseingänge beim Empfänger gegenüber standen, Vor- und Rückdatierungen bei der Rechnungsstellung, Rechnungen, die sich bei der zwei, und dreimaligen Weiterleitung im Firmengeflecht des Hess-Konzerns in der Höhe veränderten.
„Viel krumme Hunde“
Dazu kommt das ein oder andere Zitate aus E-Mail-Korrespondenzen Peter Zieglers, die als kreative Bilanzbearbeitung gedeutet werden könnten. Mehrfach zitiert Richter Oliver Ratzel aus Mails, in denen von „Tricksereien“, „frisieren“ oder „Tuning“ bei den Arbeitsstunden die Rede ist. In einer heißt es, „da haben wir so viel krumme Hunde drin, das ist schon abenteuerlich“. Ziegler bestritt indes, dass damit vorsätzlicher Betrug gemeint war, es gebe immer Spielräume.
Längst nicht immer gelingt es Ziegler, die Vorgänge aus den Jahren 2011 zu erhellen. Sein Credo im Allgemeinen lautete aber: Es gab umfangreiche Entwicklungskosten im Hause Hess, und die wurden von der Evros GmbH umfassend in Rechnung gestellt. Sein Anwalt Jürgen Fischer warf der Staatsanwaltschaft wiederholt vor, schlechte Arbeit geleistet zu haben. Diese habe sich auf Zeugenaussagen verlassen, die jedesmal, wenn Rechnungsstellungen unklar gewesen seien, „Scheingeschäfte“ unterstellt hätten. Hätten sich die Ermittler die Mühe gemacht, die Rechnungswege selbst nachzuverfolgen, hätten sie feststellen können, dass dem nicht so gewesen sei.
Auch der Richter verwirrt
Die vielfältigen Rechnungsstellung innerhalb des Hess-Firmenkonglomerats sorgten aber selbst bei Oliver Ratzel, dem Vorsitzenden Richter der Wirtschaftsstrafkammer, für große Fragezeichen auf der Stirn. „Ich sehe hier den rechtlichen und den kaufmännischen Sinn nicht. Das braucht es doch alles gar nicht“, entfuhr es ihm. Peter Ziegler erwiderte, es sei ihm darum gegangen, die Entwicklungskosten umfänglich auszuweisen und richtig zuzuweisen. Er räumte aber ein, dass dies auch „anders und einfacher gegangen“ wäre. „Heute würde ich es vielleicht anders machen“. Aber rechtlich und kaufmännisch sei die Vorgehensweise stets korrekt gewesen, beteuerte er.
Ob der Richter ihm glaubt, bleibt offen. Ratzel kündigte an, dass im Dezember die Einlassungen der beiden Angeklagten möglichst abgeschlossen werden sollen. Im Januar werden dann voraussichtlich ein „Rechtsgespräch“ zwischen den fünf Richtern, der Anklage und den Vertretern der Verteidigung stattfinden, wie es weitergeht.
Ob es dann schon Anklagepunkte gibt, die fallengelassen werden, weil sie nicht haltbar sind, bleibt die spannende Frage. Ist der Vorwurf der Bilanzmanipulation tatsächlich ausgeräumt, wie Zieglers Anwalt beteuert? „Da ist es für eine Aussage noch zu früh“, urteilt Mark Stöhr, einer der beiden Strafverteidiger von Christoph Hess auf SÜDKURIER-Anfrage. Die Staatsanwältin habe überhaupt noch keine Fragen gestellt. Außerdem sei das Gericht noch nicht in die Beweisaufnahme eingetreten und habe keine Zeugen gehört.
Scheingeschäfte vom Tisch?
Stöhr zeigte sich aber zuversichtlich, dass die Verteidigung am vergangenen Mittwoch Fortschritte gemacht habe. „Die Unterstellung, dass es sich bei den Evros-Rechnungen um Scheingeschäfte handelt, sind meines Erachtens vom Tisch“, sagte der Fachanwalt für Straf- und Sozialrecht der Kanzle Lerner, Lachenmaier & Partner in Schwenningen. Jetzt bleibe die Frage zu klären, ob die Höhe der Rechnungen in Ordnung waren.