In einer Stellungnahme äußerte sich gestern erstmalig der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Hess AG, Christoph Hess (49), ausführlich im Strafprozess vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Mannheim. Sein Anwalt verlas eine 13-seitige von Hess verfasste Darlegung, in der Hess seine Sicht der Dinge ausführte und den Hauptvorwurf der Bilanzmanipulation zurückwies. In einigen Sätzen ging er auch auf seine jetzige Lebenssituation ein.

Nachdem in den ersten Verhandlungstagen Peter Ziegler, der ehemalige Finanzvorstand, das Wort hatte, erklärte Christoph Hess gestern, dass er sich „vollumfänglich zur Sache und zu seiner Person“ äußere. Zugleich betonte er, dass er zu vielen einzelnen Details keine genauen Angaben mehr machen könne. Teils liege dies an der langen Zeit, teils auch an der „dauerhaften Einnahme hochdosierter Psychopharmaka“ und möglicherweise an seiner Krankheit selbst. Zudem sei er in viele Vorgänge nicht eingebunden gewesen.

Persönlich erschüttert

Ausführlich ging der Chef des damaligen 600-Mitarbeiter-Unternehmens auf die Situation am 21. Januar 2013 ein, als er und Peter Ziegler fristlos vom damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Tim van Delden entlassen wurden. Damit wolle er zum Ausdruck bringen, „wie sehr mich diese Vorgänge persönlich erschüttert haben“, mit teilweise weitreichenden gesundheitlichen Folgen. Zum anderen wolle er damit der bisherigen öffentlichen Darstellungen der negativen wirtschaftlichen Lage der Hess AG Anfang 2013 entgegentreten.

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Hess zeichnete ein Bild der Hess AG, die sich in den Jahren 2011 und 2012 zwar in einem anspruchsvollen Technologiewechsel auf die LED-Technik befand, aber dafür bestmöglichst aufgestellt gewesen sei. Es hätten Großauftrag im Scheichtum Katar gewinkt, die Konten seien mit Barguthaben von über 18 Millionen Euro gefüllt gewesen.

„Nacht- und Nebelaktion“

Er frage sich daher bis heute, warum der damalige Aufsichtsratsvorsitzende van Delden in dieser Situation in einer „Nacht- und Nebelaktion“ die Firma Hess mit Anwälten gestürmt, Peter Ziegler freigestellt und die „Herrschaft über die Firma“ übernommen habe. Gefolgt sei eine 22-minütige telefonische Aufsichtsratsitzung, in der das Schicksal der Firma besiegelt wurde. Er und Ziegler seien entlassen und die Erstellung eines Sonderberichts über die Vorwürfe mit Kosten in Millionenhöhe in Auftrag gegeben worden. Die Aufsichtsratsvorsitzende van Delden, der vom holländischen Finanzinvestor HPE installiert wurde, habe die beiden anderen Aufsichtsräte völlig überrollt. Der neu berufene Geschäftsführer Till Becker, der die Aufgabe zum fünffachen Gehalt übernommen habe, sei ein Duz-Freund van Deldens gewesen.

Der Todesstoß

Als von Delden dann auch noch gegen den Rat von Peter Ziegler und anderen entschieden habe, die Entlassungen und deren vermeintliche Hintergründe in einer Ad-hoc-Meldung gleich zu veröffentlichen, sei dies der „eigentliche Todesstoß“ für die Hess AG gewesen. Die Banken hätten die Kreditrahmen gesperrt und ein „bis dahin gesundes und solventes Unternehmen“ sei in Schieflage geraten. Weil van Delden versäumt habe, die Liquidität zu sichern, „kam es zu einer absehbaren Liquiditätsvernichtung von 14 Millionen Euro über Nacht“. Anschließend stürzten die Aktien der AG ab.

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Hess führte noch mehrere Hinweise seiner These an, dass die „Machtübernahme„ im Hause Hess ein abgekartetes Spiel zumindest des Aufsichtsratsvorsitzenden gewesen sei. Die beschlossene Sonderuntersuchung der Vorwürfe von Bilanzmanipulationen sei durch die Beraterkanzlei Pöllath + Partner erfolgt, die Hauskanzlei von HPE, jener holländischen Investmentfirma, die bei Hess im Vorfeld des Börsengangs mit eingestiegen ist. Damit sei das Neutralitätsgebot in eklatanter Weise verletzt worden. Die selbe Kanzlei habe in den Jahren zuvor eben jene Themen überprüft und für gut befunden, die jetzt in der Anklage vorgetragen werden. Den Eindruck einer Verschwörung unterstrich Hess auch mit dem Hinweis, dass es bereits vor seiner Entlassung Kontakte zwischen dem Investor HPE und der Firma Nordeon gegeben habe. „Und genau diese Firma Nordeon hat dann am Ende die Firma Hess übernommen“, klagt Hess.

Grundlegendes Missverständnis

Beim Vorwurf der Finanzmanipulation, so Hess, unterliege die Anklage „einem grundlegenden Missverständnis hinsichtlich der erfolgten Aktivierung von Entwicklungskosten“. Der Firmenwert der Hess AG habe in seinem „konkurrenzlos großen Produktkatalog“ von Leuchten und Stadtmöblierungen bestanden. Die enormen Entwicklungskosten sollten daher in den Bilanzen auftauchen, um die Eigenkapitalbasis des Unternehmens zu stärken. Dies hätten der Aufsichtsratsvorsitzende, der Investor HPE, und alle Wirtschaftsberater immer wieder mit Nachdruck gefordert.

Der Prozess gegen Peter Ziegler (links) und Christoph Hess (rechts) findet im Landgericht Mannheim statt, hier eine Aufnahme vom ...
Der Prozess gegen Peter Ziegler (links) und Christoph Hess (rechts) findet im Landgericht Mannheim statt, hier eine Aufnahme vom Prozessauftakt. | Bild: Stadler, Eberhard

Deshalb wurde die Entwicklungsfirma Evros gegründet, die diese Aufgabe übernommen habe. Dies sei eine echte Entwicklungsgesellschaft gewesen. „Es ist absolut unzutreffend, dass im November 2011 noch schnell ein paar Millionen Euro Umsätze aus dem Ärmel gezaubert werden sollten.“ Es habe sich um ein sorgfältiges Vorgehen unter Einbeziehung von Wirtschaftsprüfern und Anwälten gehandelt.

Merkwürdig findet es Hess auch, dass die Bilanz 2012 nach Erhebung der Vorwürfe „nie von einem Gutachter oder Sachverständigen geprüft worden“ sei. Zuvor sei der Hess-Jahresabschluss 2011 ebenso wie der Konzernabschluss mit uneingeschränktem Bestätigungsvermerk der Prüfer testiert worden.

Schließlich unterstrich Hess – wie schon zuvor detailreich Peter Ziegler – dass die Entwicklungsgesellschaft Evros keineswegs, wie die Anklage vorwirft, ein Unternehmen war, um Umsätze aus Scheingeschäften und Luftbuchungen zu erzeugen. „Ich kann nur nochmals sagen, dass mir diese Vorgänge damals wie heute nicht nur logisch und nachvollziehbar erscheinen, sondern auch rechtlich zulässig“.

Kleines Einkommen und Schulden

In einigen Worten äußerte sich Hess auch zu seinem Werdegang und zu seiner aktuellen Lage. Nach dem Firmenzusammenbruch sei er ein Jahr lang zur Behandlung in der Klinik gewesen. Über seinen Gesundheitszustand informierte er das Gericht in nichtöffentlicher Verhandlung. Beruflich arbeite er in einem Unternehmen der Innenbeleuchtung „einige wenige Stunden am Tag“. Von dort beziehe er nur ein geringes Einkommen. Von seinem Vermögen, den Firmenanteilen, habe er „alles verloren“ und er habe „Schulden“, erklärte er auf Nachfrage des Richters.