Es ist eine Rarität geworden: In Zeiten, in denen die Kirchen schrumpfen, weil jedes Jahr mehr und mehr Mitglieder austreten oder versterben. In Zeiten wie diesen, in der Kirche zu bleiben und „nur“ die Konfession zu wechseln oder in Zeiten wie diesen den Glauben erst richtig für sich zu entdecken.
Doch: Es gibt sie, die Menschen, die sich entgegen dem Zeitgeist ganz bewusst für die Kirche entscheiden.
Der SÜDKURIER hat mit zwei Villingerinnen gesprochen, die genau das getan haben.
„Ich habe mich einfach wohlgefühlt. Und ich hatte so viele Fragen“
Emina Wießler, 20 Jahre, hat 2020 am Gymnasium am Hoptbühl ihr Abitur gemacht und studiert momentan in Augsburg Lehramt mit den Fächern Religion und Englisch. Im kommenden Wintersemester will sie zudem ihren Magister in Theologie machen.
„Es ist schon verrückt“, sagt Wießler. Sie sei nicht gläubig aufgewachsen. Sie habe als Jugendliche nie gebetet. Habe keinen Bezug zum Glauben gehabt. Doch: Als ihr Religionslehrer, der Pastoralreferent Martin Lienhardt, sie in der 9. Klasse fragte, ob sie bei einer kirchlichen Veranstaltung – dem jährlichen Night Fever im Münster – helfen wolle, Kerzen zu verteilen, ändert sich das. Schleichend.
„Ich habe eigentlich nur ‚ja‘ gesagt, weil ich Mitleid mit ihm hatte. Es hat sich sonst niemand gemeldet.“ Sonst niemand in der Klasse hätte helfen wollen, Kerzen zu verteilen. Also geht Wießler mit.
Vom Fremdeln und Ankommen
Mit der Kirche aber fremdelnd sie. „Ich habe mich nicht getraut reinzugehen. Das war nicht meine Welt.“ Wie solle man sich da auch verhalten? Schweigen? Mitbeten? Erst Jahre später, als Wießler beim Night Fever wieder als Freiwillige hilft, habe sie sich in die Kirche getraut.
„Da war gerade Allerheiligen, also Anbetung, und es funkelte schön in der Kirche. Es gab harmonische Musik. Das hat mich total berührt.“ Das war die Initialzündung, sagt Wießler heute. Da dachte sie: „Vielleicht bin ich hier doch richtig.“
Das Basical
Und dann kam eins zum anderen: Von Lienhardts Sohn wurde Wießler zu einem Gebetskreis eingeladen. Hörte dort vom „Basical“ – einem christlichen Orientierungs- und Berufsfindungsjahr, direkt nach dem Abitur, in Augsburg. Ging 2020 ins „Basical“, wohnte dort mit in einer WG mit anderen jungen Christen. Direkt neben einem Priester und einer Pastoralreferentin.
„Es gab jeden Tag, theologische Seminare oder welche zur Berufsorientierung. Zwischendrin haben wir Praktika gemacht. Ich ging etwa zum Radio und an meine ehemalige Schule, dem Gymnasium am Hoptbühl, um ins Lehramt reinzuschnuppern.“ Und während dieser Zeit habe sie den Glauben lieben gelernt, sagt Wießler.
„Ich wollte Diskutieren“
Doch was heißt, lieben gelernt? Bei so einem abstrakten Thema wie dem Glauben? „Das ist schwer zu erklären“, sagt Wießler. „Ich habe mich einfach wohlgefühlt. Und ich hatte so viele Fragen. Ich wollte Diskutieren.“ Auch mal am Fundament des Glaubens kratzen. Nicht immer nur „ja und amen“ sagen. „Und unser Priester in Augsburg hat sich wirklich Zeit genommen für all meine Fragen.“
Eine ungewöhnliche Zeit für den Glauben
Aber: Ist es nicht eine ungewöhnliche Zeit, gerade jetzt den katholischen Glauben für sich zu entdecken? Wo immer mehr Missbrauchsskandale publik werden? Immer mehr Menschen die Kirche verlassen? Erst vergangenes Jahr hatte die katholische Kirche so hohe Austrittszahlen wie noch nie zuvor vermelden müssen.
„Oh, ja. Das ist es. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis ist meine 180-Grad Wende anfangs auch nicht gut angekommen. Denn: Wenn man die Kirche denkt, denkt man heutzutage gleich an etwas Sektenhaftes“, sagt Wießler. Auch sie empöre sich über die Missbrauchsfälle, die Geldgier und Homophobie innerhalb der katholischen Kirche.
„Ich würde mir da schon eine Aufarbeitung wünschen. Nur finde ich schwierig, gleich die ganze Kirche über einen Kamm zu scheren.“
„Ich hatte nie das Bedürfnis konfessionslos zu sein“
Carina Riedel, 35 Jahre, ist 2022 aus der katholischen Kirche ausgetreten. War aber keine 24 Stunden ohne Konfession. Denn: Noch am selben Tag trat sie in die evangelische Kirche ein.

Ihren Platz hatte die Kirche schon in der Kindheit von Carina Riedel. Doch: Als mehr und mehr über die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche berichtet wurde, fand Riedel es schwer, das auszuhalten. „Zumal ich vor drei Jahren ein Kind bekommen habe. Da geht es einem mit solchen Themen noch mal ganz anders.“ 2022 wollte sie dann „auf keinen Fall mehr in der katholischen Kirche bleiben“, sagt sie.
Nur eins wollte Riedel auch nicht. „Ich hatte nie das Bedürfnis konfessionslos zu sein.“ Doch warum? Sie hätte doch auch komplett austreten können? Was sie noch hielt? Hielt, „nur“ die Konfession zu wechseln?
Eine Gemeinschaft
Riedel muss einen Moment überlegen. Seit Jahren arbeitet sie beim Diakonischen Werk und betreut Menschen mit psychischen Erkrankungen. „Dadurch habe ich zur evangelischen Kirche einen anderen Draht, ich mag meinen Arbeitsplatz, die Johanneskirche, das Umfeld. Da ist einfach eine Gemeinschaft, der mich zugehörig fühle.“
Die Kreuze auf den Wanderwegen
Und noch etwas: „Ich hatte schon Phasen im Leben, in denen es mir wirklich schlecht ging. Da bin ich vor jedem Kreuz, auf jedem Wanderweg stehengeblieben. Das hat mir Halt gegeben.“ Da war ihr der Glauben am nächsten. Und deshalb wollte sie auch keinen Tag ohne Konfession sein. „Das war mir wichtig: sofort wieder aufgenommen zu werden.“