Der Villinger Germanswald erhält ungeahnte Aufmerksamkeit. Roland Brauner hat im April angekündigt, dass der städtische Forstbetrieb im Villinger Germanswald künftig mehr alte Bäume fällen werde, um die Verjüngung des Waldes voranzutreiben und ihn damit resistenter gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu machen.

Daraufhin hat sich der stellvertretende Forstamtsleiter von Villingen-Schwenningen eine scharfe Replik von Deutschlands bekanntestem Forstmann eingehandelt: Peter Wohlleben, der vor wenigen Tagen in der Neuen Tonhalle beim Forum der Sparkasse vor 600 Besuchern einen Vortrag hielt, nahm sich in einem Video auf seiner Facebook-Seite den Villinger Forstmann verbal zur Brust.

„Wie eine Bitte um Kündigung“

„Wenn alle Förster ihren Wald so behandeln, dann wird mir angst und bange“, bekundet der Autor, dessen Buch „Das geheime Leben der Bäume“ zum Bestseller avancierte, sogar verfilmt wurde und ins Kino kam. Die Video-Polemik gegen Brauner gipfelt in dem Satz: „Für mich klingt das wie die dringende Bitte um Kündigung seitens des Arbeitgebers.“

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Dieser Screenshot dokumentiert es: „Bettelt hier jemand um Kündigung?“ schreibt Peter Wohlleben, der hier abgebildet ist, als Titel über sein Video, dass er auf seinem Facebook-Kanal veröffentlichte. Wohlleben greift darin Roland Brauner an, den stellvertretenden Forstamtsleiter von Villingen-Schwenningen. | Bild: Facebook

Das Video ging im Netz viral, wurde 705 mal geteilt und sorgte in Wohllebens Fan-Community für 385 Kommentare, in denen vor allem Empörung über die Forstpolitik in VS zum Ausdruck kamen. Eine Nutzerin schreibt: „Das stinkt nach Vetternwirtschaft mit der Holzwirtschaft, Jägerschaft und Wirtschaftsinteressen im Stadtrat.“

Der Stil dieser Attacke ist inzwischen bezeichnend für das zerrüttete Verhältnis zwischen dem Gros der deutschen Forstwirtschaftler und Forstwissenschaftler auf der einen und dem „Baumflüsterer“ Wohlleben, der nach eigenem Bekunden fünf Millionen Bücher weltweit verkauft hat und als der Deutschen beliebtester Forstmann gilt. Seine Thesen für eine ökologische Waldwirtschaft fesseln ein Millionen-Publikum. Mittlerweile hat Wohlleben seinen Facebook-Kanal für die Forstleute, die seine Thesen kritisieren, gesperrt. Das gilt auch für Roland Brauner.

Was steckt dahinter, das Wohlleben in dieser Art drauflos holzt? Wollte der Medienprofi mit dieser Kontroverse im Vorfeld seines Sparkassen-Auftritts in Villingen seinen Buchverkauf ankurbeln, wie einige spekulieren?

Das sagt Peter Wohlleben zu seiner Attacke

Auf Anfrage des SÜDKURIER weist Wohlleben den Vorwurf zurück, er habe mehr oder weniger direkt die Entlassung eines Forstmannes gefordert, der fachlich eine andere Meinung vertritt als er selbst. „Ich konstatiere lediglich, dass sich dies für mich wie die Aufforderung zur Kündigung an den Arbeitgeber anhört. Jemand, der öffentlich fachlich solche Äußerungen tätigt, wäre für mich in der Betriebsleitung nicht tragbar“, erklärt er.

Bäume umarmen: So inszeniert sich Peter Wohleben, ehemaliger Förster, der inzwischen eine Wald-Akademie betreibt und erfolgreich Bücher ...
Bäume umarmen: So inszeniert sich Peter Wohleben, ehemaliger Förster, der inzwischen eine Wald-Akademie betreibt und erfolgreich Bücher zum Thema Wald schreibt. | Bild: Tobias Wohlleben

Ansonsten beharrt er auf seiner fachlichen Auffassung. Das Modell der Forstbetriebe hierzulande, die Waldentwicklung und den Waldumbau in Zeiten des Klimawandels aktiv zu managen, lehnt er explizit ab. „Ich (und andere) kennen global keinen einzigen Kunstwald, der es besser macht als ein Naturwald.“

„Kontraproduktiv in Zeiten des Klimawandels“

Völlig suspekt ist ihm die von Brauner skizzierte Strategie, den Wald stärker auszulichten, um dem Jungbestand zu schnellerem Wachstum zu verhelfen. Wohlleben: „Untersuchungen belegten, dass starke Holznutzungen die Temperatur in den Wäldern erhöhten und damit den Stress auf die verbleibenden Bäume. „Mit einem höheren Holzeinschlag auf den Klimawandel zu reagieren darf also getrost als kontraproduktiv gerade in Zeiten des Klimawandels gesehen werden“. Alte Bäume zu fällen, so Wohlleben um mehr junge Bäume zu erhalten, „ist geradezu bizarr“.

Für Roland Brauner geht diese Kritik an der Sache völlig vorbei. „Ich wurde hier verdroschen für eine Auffassung, die Stand der fortwissenschaftlichen Erkenntnisse ist.“ Wohlleben, so vermutet er, habe bei seiner Attacke vermutlich die Bilder vom großflächigen Fichtensterben im Harz oder anderer Waldgebiete vor Augen. Doch im Forst von Villingen-Schwenningen sei die Situation eine völlig andere. Hier gebe es einen fast flächendeckenden Jungwald unter dem Dach der alten Fichten. Unten wachsen keine neuen Fichten nach, wie Wohlleben unterstellte, sondern primär Tannen und zu einem gewissen Anteil verschiedene Laubbäume.

Diese Mischung ist nach Meinung vieler Forstleute geeignet, künftiger besser mit den Auswirkungen des Klimawandels fertig zu werden. Deshalb will das städtische Forstamt die alten Bestände stärker auslichten, um dem Jungwald zu einem schnelleren Wachstum zu verhelfen. Und auf diese Weise das gesamte örtliche Ökosystem zu stärken.

Brauner: Müssen aktiv gegen die Fichte ankämpfen

Wenn die Forstwirtschaft nichts tun würde, argumentiert Brauner, dann würden die alten Bäume verstärkt Opfer von Borkenkäfern und stürzten unkontrolliert in die Nachwuchsbestände. Dies zum ökologischen wie ökonomischen Schaden des Waldes. Er ist auch überzeugt: Würde man den Wald, wie Wohlleben fordert, sich selbst überlassen, dann würde die Fichte alle anderen Baumarten verdrängen. Wohllebens sei auf dem Holzweg. Das zeige sich in Nationalparks in Bayern ebenso wie auf dem Lothar-Pfad im Nordschwarzwald.

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Dem gegenüber steht Peter Wohllebens These, der Mensch müsse den Wald einfach nur in Ruhe lassen, dann werde sich ein natürliches und gesundes Ökosystem entwickeln. „Ich halte Wohllebens These für gefährlich“, widerspricht Brauner. Denn sie haben Einfluss auf die Öffentlichkeit und auch die Politik. „Die Leute denken dann, wenn wir nichts tun, dann wird alles gut.“ Aus Sicht von Brauner eine Utopie, ein gefährlicher Irrweg.

Zum Märchenerzähler geworden

Nach Brauners Wahrnehmung hat sich Wohlleben inzwischen von seinem Ursprung weit entfernt. „Er hat für den Wald anfänglich viel Gutes gemacht. Aber irgendwann ist er aus meiner Sicht zum Märchenerzähler geworden.“ Er betreibe mittlerweile mit seiner Wald-Akademie vor allem ein Geschäftsmodell mit Millionen-Umsätzen. Und diese Modell funktioniere dadurch, „dass er auf der Forstwirtschaft und Forstwissenschaft herumdrescht.“

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In dieser Kontroverse kann sich das städtische Forstamt der Unterstützung von forstwissenschaftlicher Seite, bis auf einige wenige Ausnahmen, gewiss sein. „Was Forstamtsleiter Tobias Kühn und Roland Brauner in Villingen tun, darauf kann man stolz sein“, betont beispielsweise Professor Bastian Kaiser, der Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg, ein ausgewiesener Forstexperte, der unter anderem als Mitglied im Nachhaltigkeitsbeirat von Baden-Württemberg sowie im Deutschen Forstwirtschaftsrat arbeitet.

Hochschulrektor sieht Forstamt VS als Vorzeigebetrieb

Die Arbeit des VS-Forstamtes sei beispielgebend, werde von vielen internationalen Forstleuten beachtet und stehe für einen sorgsamen Umgang mit dem Wald und dem Vermögen der Stadt, unterstreicht Kaiser.

Professor Bastian Kaiser ist Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg und ist u.a. Mitglied im Nachhaltigkeitsbeirat von ...
Professor Bastian Kaiser ist Rektor der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg und ist u.a. Mitglied im Nachhaltigkeitsbeirat von Baden-Württemberg sowie im Deutschen Forstwirtschaftsrat.Fotonachweis: Yvonne Berardi | Bild: Yvonne Berardi

Die vom Forstamt geplante stärkere Durchlichtung des Waldes macht aus Sicht von Kaiser an diesem Standort aus zwei Gründen Sinn: Zum einen, um der nächsten Generation des Wald mehr Widerstandsfähigkeit gegen die Folgen des Klimawandels mitzugeben. Zum anderen sind positive Effekte für die Artenvielfalt zu erwarten: Etwa für Schmetterlingsarten, Orchideen oder das vor dem Aussterben bedrohte Auerwild.

Am 15. Mai hat der Hochschulrektor aus Rottenburg im Villinger Franziskaner Kulturzentrum zur dort laufenden Ausstellung „Kut(ur)wald“ sein Buch „Bin im Wald! Mit einem Forstexperten durchs grüne Dickicht“, vorgestellt. Ein durchaus unterhaltsames und persönliches Buch, allerdings jenseits allzu romantischer Waldschwärmerei. Ein Buch, das Bastian Kaiser auch deshalb geschrieben hat, wie er verrät, um in der Wald-Debatte einen realistischen Kontrapunkt zu Peter Wohlleben zu setzen.

Klappentext vom Ministerpräsidenten

Auch Kaiser hält dessen Forderung, die Wälder sich selbst zu überlassen, „für hochriskant“. Bei diesem Ansatz drohe die Gefahr der Massenvermehrung von Schädlingen und der Verlust des Waldes. Den Klappentext zu Kaisers Buch hat übrigens kein geringer geschrieben als Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident des Landes. Offenbar sind längst nicht mehr alle Grünen von Wohllebens Theorien überzeugt.