Es ist ein erschütterndes Bild, das Förster und Autor Peter Wohlleben in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ zeichnet: „Ich rechne damit, dass wir in den nächsten zehn Jahren die Hälfte der Waldfläche verlieren. 3000 Quadratkilometer haben wir schon verloren, und das ist nur der Auftakt“, sagt er. Wohlleben gilt als unbequemer Mahner und Kritiker der deutschen Forstwirtschaft.
War die Flut zu verhindern?
Der 1964 geborene Mann lebt in Rheinland-Pfalz, unweit des von der Hochwasserkatastrophe betroffenen Gebietes, und sagt: „Die Flut ist nicht unten im Tal entstanden, sondern oben auf dem Berg.“ Ihm zufolge gibt es einen direkten Zusammenhang mit der Flutkatastrophe vor seiner Haustür und dem menschlichen Umgang mit dem Wald. Zwar sei die Wucht der Naturgewalt für jeden überraschend gekommen. Aber: „Wenn man mit der Natur anders umgeht, hätte man es deutlich abmildern können.“
Als einen zentralen Grund für die Mengen an Wasser, die letztlich die Täler und somit Wohnräume der Menschen gnadenlos erreichten, macht Peter Wohlleben unter anderem die nachlassende Qualität des Walduntergrundes aus. „Wir haben in den letzten Jahrhunderten sehr viel Boden verloren, teilweise bis zu zwei Meter. Und dann ist es klar: Steine saugen kein Wasser auf“, erklärt er.
Der Boden werde seit den 1950er-Jahren durch Maschinenbefahrung zusammengedrückt und verliere dadurch bis zu 95 Prozent seiner Aufnahmefähigkeit – innerhalb von Sekunden, und das könne man nicht mehr retten.
Auch die Waldböden seien mittlerweile zu großen Teilen kaputt gefahren. „Maschinen können im Hang immer nur rauf und runter fahren, nicht quer. Sie schaffen in ihren Fahrspuren sogar noch wie Abzugskanäle für Wasser“, sagt der Förster. „In den vergangenen Monaten und Jahren werden zunehmend Riesenkahlschläge angelegt, das heißt, der Regen trifft ungehindert auf den Boden und rauscht dann in diesen Spurrillen zu Tal. Diese industrielle Forstwirtschaft hat das Hochwasser sicher deutlich mit befördert.“

Die Aussagen Wohllebens klingen wie eine harte Abrechnung mit der Forstwirtschaft in unserem Land. Doch wie sehen es Experten aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis?
Tobias Kühn, Forstamtsleiter der Stadt Villingen-Schwenningen, hält dagegen. Und sagt: „Peter Wohlleben ist ein Schriftsteller, den ich eher der Belletristik als dem Sachbuchgenre zuordnen würde. Wie Herr Wohlleben auf einen Bodenverlust durch Forstwirtschaft von bis zu zwei Metern kommt, kann ich nicht nachvollziehen.“
Seit der Wiederaufforstung und dem Wegfall der Waldweide des nahezu komplett entwaldeten Schwarzwaldes um das Jahr 1800 hätten die Böden durch Humusanreicherung deutlich zugenommen. Was in früheren Jahrhunderten dem Wald durch Übernutzung, Waldweide oder Kahlhiebsverfahren zugemutet worden sei, ist nach Ansicht von Kühn ein Fall für die Forstgeschichte.
Mit der heutigen Forstwirtschaft, die Naturschutz mitdenke, habe das nichts gemein. „Einen Bodenverlust wegen Befahrens könnte ich mir allenfalls im Bergland vorstellen, wenn dadurch Erosion entsteht. Im Stadtwald Villingen-Schwenningen mit seinen überwiegend ebenen und schwach geneigten Lagen ist mir kein Fall dieser Art bekannt“, legt der Amtsleiter dar.
Maschinen lassen Spuren zurück
Dass die Spuren, welche in den Bildern und Videos dieses Artikels zu erkennen sind, von einer Forstmaschine stammen, bestätigt Tobias Kühn auf SÜDKURIER-Nachfrage. Auf diese Weise würde Käferholz aufgearbeitet. „Wenn Borkenkäfer stehende Bäume befallen und die gleiche Baumart in der Nähe vorkommt, bleibt nicht die Zeit, auf besseres Wetter zu warten. Dann muss man schneller sein als die Entwicklung der nächsten Borkenkäfergeneration“, erklärt der Experte.
Das Forstamt der Stadt Villingen-Schwenningen hat laut Kühn festgelegt, dass Forstmaschinen nur auf Rückegassen fahren dürfen, die üblicherweise im Abstand von 40 Metern lägen; zulässig sei auch ein geringerer Abstand. „Darauf haben wir verzichtet, um die Bodenverdichtung, die es geben kann, wenn Maschinen fahren, auf eine geringe Fläche zu konzentrieren. Forstmaschinen müssen das Befahren in regulären Hieben einstellen, wenn Fahrspuren in der Rückegasse kleiner als zehn Zentimeter sind, im Staatswald kleiner als 40 Zentimeter.“

Ausnahmen von dieser Regel müssen vom Forstamt genehmigt werden, informiert Kühn. Käferbefall sei eine solche begründete Ausnahme: „Um den Bodendruck durch das Befahren zu verringern, hat das Forstamt sechs und acht Radmaschinen mit Niederdruckbreitreifen vorgeschrieben sowie die Verwendung von Moorbändern bei feuchter Witterung oder wenig stabilen Bodenverhältnissen.“ Astmaterial aus der Holzernte würde zudem auf den Rückegassen eingebaut, um die Kräfte besser zu verteilen und die Bodenverdichtung dadurch zu verringern.
Revierleiter Andreas Wolf, zuständig für Hüfingen und die Ortsteile, pflichtet seinem Kollegen bei. „Ganz früher gab es keine Rückegassen, da waren Pferde im Einsatz“, erzählt er. In der Folge, ungefähr in den 1950er-Jahren, habe man für das gleiche Verfahren Traktoren genutzt, jedoch in den 1970er- oder 80er-Jahren festgestellt, dass das nicht gut sei. Der Boden reagiere zu empfindlich, sodass in den betroffenen Gebieten weniger oder gar nichts mehr wachse.
Im Wald ist Wolf zufolge klar geregelt, dass nur auf den Rückegassen gefahren werden darf, ansonsten nirgends. „Der Boden ist dort verdichtet, es können keine Bäume wachsen“, schildert der Experte. Ziel sei es, Rückegassen über Generationen hinweg zu erhalten. Und so wenig Wald wie möglich mit schwerem Gerät zu befahren. Kritik weist Andreas Wolf zurück, „denn wenn man Holz aus dem Wald nutzen, also den Wald bewirtschaften möchte, braucht man Maschinen“. Ideal seien Hubschrauber, an die das Holz angehängt werden könne, und die Waldarbeiter unterstützten vom Boden: „Aber das ist zu teuer.“
Worauf es ankommt
Was laut Wolf diskussionswürdig ist, ist die Größe der Rückegassen. Man achte auf möglichst hohe Effizienz – durch kluges Planen von möglichst wenigen Schneisen. Rückewege hätten allerdings eine Mindestbreite von vier Metern, generell sei das stets geländeabhängig.
Ob innerhalb der Forstwirtschaft in erster Linie nachhaltiges Arbeiten oder wirtschaftliches Denken im Vordergrund steht, hängt Andreas Wolf zufolge von den Absichten der Betriebe beziehungsweise Waldbesitzer ab. Förster seien dann quasi lediglich die ausführende Gewalt dieser Zielvorgabe. Genau wie Tobias Kühn wisse er von vielen Kommunen im Landkreis, die Rückegassen im Abstand von 40 Metern anbringen: „Das ist naturverträglicher, aber dafür teurer.“ Die Stadt Hüfingen habe dahingehend Gutes im Sinn, andere wollten womöglich knallhart Geld machen.
Was sind die Alternativen?
Dem Buchautor Peter Wohlleben steht Andreas Wolf überwiegend kritisch gegenüber, wenn er sagt: „Manches ist richtig, aber bei manchem unterschlägt er andere Wahrheiten.“ Was Hüfingens Revierleiter meint? Wohlleben wolle Natur pur und alles im Wald unberührt stehen lassen. Aber Holz sei ein wichtiger Hauptrohstoff und die nachhaltigste grüne Art, Häuser zu bauen. „Woraus machen wir zum Beispiel Papier?“, fragt sich Wolf darüber hinaus.
Wohlleben habe bei all seiner Kritik an der Forstwirtschaft nie gesagt, wie er alternative Rohstoffe generieren wolle. Statt beharrlich Natur pur zu fordern, was auf diese Weise aufgrund des menschlichen Einflusses gar nicht ginge, müsse ein Weg gefunden werden, Natur und Mensch in Einklang zu bringen, Kompromisse einzugehen. „Es wurden ganz klar Fehler gemacht, aber vieles läuft auch gut. Wir haben mit der Herausforderung zu tun, welche Baumarten künftig am besten sein werden. Keiner weiß, wie das Klima in 50 Jahren ist“, sagt Wolf. Die vergangenen Jahre habe man stets mit enormer Hitze zu kämpfen gehabt, jetzt regne es durchgehend.
Buchtipp: „Der lange Atem der Bäume“ von Peter Wohlleben, 22 Euro.