Wer eine Schwangerschaft abbricht, den erwartet eine Geldstrafe oder gar eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. So kühl steht es im Strafgesetzbuch. „So entwürdigend“, findet das Gitta Benker, Leiterin der Beratungsstelle Pro Familia in Villingen. Seit 30 Jahren berät sie Frauen, die ungewollt schwanger werden. Die Angst haben, ihrem Kind nicht gerecht zu werden, die es nicht wollen – und eine Abtreibung vornehmen lassen wollen.
Die Situation sei für die Schwangeren psychisch sehr belastend – und „auch die verzwickte gesetzliche Lage“ trage dazu bei.
Nur in den ersten zwölf Wochen straffrei
Denn: In Deutschland ist eine Abtreibung nach Paragraph 218 des Strafgesetzbuches noch immer verboten. „Sie bleibt nur in den ersten 12 Wochen straffrei. Aber auch nur dann, wenn sich die Schwangere beraten lässt. Etwa bei der Diakonie, bei Donum Vitae oder bei uns. Und wenn sie sich nach der Beratung drei Tage Bedenkzeit nimmt.“

350 bis 800 Euro für eine Abtreibung
Was das Tabu, das Sich-Schämen verstärke, seien die vielen Stellen, die Frauen danach noch kontaktieren müssten, sagt Benker. Weil Abtreibungen nicht Teil der gesetzlichen Gesundheitsversorgungen sind und die Kosten je nach Methode bei 350 und 800 Euro liegen – „was sich nicht jede Frau leisten kann“ – müssten die Schwangeren häufig noch einen Antrag zur Kostenübernahme bei ihrer Krankenkasse stellen. Und so noch einmal eine Hemmschwelle überwinden.
Eine Versorgungslücke?
Auch die Krankenkasse zahlt die Kostenübernahme nicht. „Sie leitet den Anspruch nur ans Land weiter“, sagt Benker. Und zählt noch etwas auf, was die Lage so prekär erscheinen lässt: Denn: „Dass jemand eine Beratung durchlaufen hat, heißt noch lange nicht, dass sie auch einen Arzt findet, der sie behandelt.“
Es gebe schlicht immer weniger Ärzte, die Abtreibungen durchführten. Im Schwarzwald-Baar-Kreis seien es gerade einmal drei niedergelassene Ärzte. Im Landkreis Rottweil zum Vergleich: keiner. Das sagt Benker. Das sagen aber auch Gynäkologen, mit dem der SÜDKURIER während der Recherche Kontakt hatte.
In fünf Jahren könnte es kritisch werden
Und das Schwarzwald-Baar-Klinikum? Auf SÜDKURIER-Anfrage heißt es zwar – „Im Klinikum werden Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, sofern es dazu eine Überweisung von einem Gynäkologen gibt“ – und doch schiebt Sandra Adams, Sprecherin des Klinikums, hinterher, dass es diesen Fall praktisch kaum gibt. Und dass man sich eigentlich an die ambulanten Gynäkologen wenden sollte. Im Klinikum gab es in den letzten zwei Jahren deshalb auch nur zwei durchgeführte Abtreibungen.
Die ganze Entwicklung bereitet Benker Sorgen. „Wenn sich die Kliniken zurückziehen, gibt es im Landkreis bald eine Versorgungslücke“, sagt sie. Denn: „Wenn an jungen Ärzten nichts nachkommt, wird es in fünf Jahren kritisch.“ Viele der hiesigen Gynäkologen seien dann im Ruhestand. Andere führten Abtreibungen gar nicht erst durch.
Abtreibungen sind kein Teil der medizinischen Ausbildung
Einer, der es trotzdem tut, ist Konstantin Bener (Name von der Redaktion geändert). Aus Angst vor Anfeindungen und Drohungen will er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Doch auch er sagt: „Viele von uns gibt es nicht mehr im Landkreis“. Und: „Schwangerschaftsabbrüche sind kein fester Bestandteil der medizinischen Ausbildung.“
Bener findet das in Ordnung. „Man kann nicht im Lehrplan vorschreiben, was jeder mit seinem Gewissen vereinbaren muss.“ Wie schwer solche Gewissensfragen wiegen – und viel Druck auf einem lastet, bekommt er regelmäßig zu spüren.
Hassbotschaften im Briefkasten
Es sind dann kleine Briefe, Hassbotschaften, die in seinem Briefkasten landen. Oder Nachrichten aus Amerika, nach denen er nicht sucht, aber doch immer wieder auf sie stößt. „Wenn ich lese, dass in den USA ein Frauenarzt umgebracht wurde, wird mir mulmig“, sagt er.

Amerika, das mag weit weg klingen. Und Bener ist vorsichtig. Dass er Abtreibungen vornimmt, wissen nur die Beratungsstellen. Und die Frauen, die zu ihm kommen. Und trotzdem „hatte ich so was schon im Briefkasten“, sagt er und deutet auf drei daumengroße Kunststoffmodelle von Embryonen. Aus der zwölften Schwangerschaftswoche. Also genau aus jener Woche, bis zu der Abtreibung noch straffrei sind.
Die Not der Schwangeren
„Das sind gezielte Kampagnen von Abtreibungsgegnern“, sagt Bener. Ein Stück weit kann er sie sogar verstehen. „Zwölfte Woche, das ist nahe dran am Leben. Aber man muss auch sehen, in welcher Not die Frauen stecken. Und dass es immer noch ihre Entscheidung ist.“
Warum die Frauen abtrieben? Die Gründe seien unterschiedlich, sagt Bener. Mal ist es das Alter einer Patientin – „manche sind nicht älter als 13“, mal sind es zerrüttete Ehen und finanzielle Gründe, die die Notlagen der Frauen verstärken. Die sie letztlich zum Abbruch trieben.
Ganz oft sei die Familienplanung aber auch längst abgeschlossen. „Weil die Frauen schon drei, vier Kinder haben. Und ihnen das alles zu viel wird.“
Wird zu wenig über Verhütung informiert?
Eines fällt Bener immer wieder auf: „Wie wenig manche über Verhütung wissen.“ Wie viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden müsste.
Abtreibungen gehören für ihn quasi zum Tagesgeschäft. Auf die Frage, wie oft er sie durchführe, muss Bener keine drei Sekunden überlegen. „Etwa zehn Mal im Monat, 120 Mal im Jahr“, sagt er. Es handele sich dabei aber nicht nur um Frauen aus dem Landkreis. Manchen kämen auch vom Bodensee. „Ich denke, viele wollen, dass man nicht nachvollziehen kann, wo sie gewesen sind. Und suchen sich deshalb einen Arzt, der nicht so nah ist.“