André Melchert, die HSG Konstanz steht nach der Hinrunde ohne einen Punkt am Tabellenende der 2. Handball-Bundesliga. Wie erklären Sie sich dieses historisch schlechte Abschneiden?
Wir hatten nach der vergangenen Saison einige personelle Wechsel, ältere und verdiente Spieler sind gegangen, zudem mussten wir die Verletzung von Mathieu Fenyö kompensieren. Ich habe bei der Kaderplanung mit vielen jungen Spielern gesprochen, die in der zweiten Liga spielen und uns auch weitergeholfen hätten. Die wollten aber die Sicherheit haben, dass wir definitiv in der 2. Bundesliga spielen. Da wir die Relegation spielen mussten, wussten wir erst Mitte Juni, dass wir aufsteigen. Bis dahin hatten diese Spieler, die gerne nach Konstanz gekommen wären, weil sie wussten, dass sie sich hier gut entwickeln können und Spielanteile bekommen, sich für andere Vereine entschieden, wo sie eventuell nicht diese Spielanteile bekommen. So konnten wir nur noch Spieler holen, die eventuell noch nicht Zweitliganiveau haben, weil wir gestandene Zweitligaspieler nicht bezahlen können. Wir können ihnen noch nicht mal als Brutto das bieten, was sie netto haben wollen.
Also sind die anderen Teams zu gut und Ihre Mannschaft noch nicht gut genug?
Das kann man so sagen. Wir haben eine junge Mannschaft, die mit Sicherheit irgendwann Zweitliganiveau erreichen könnte, aber für uns ist die Zeit aktuell zu kurz, um die Mannschaft aufzubauen. Wir sind immer knapp dran, manchmal fehlt nicht viel, wir haben aber immer unsere dollen zwei, drei Minuten, die dir sportlich das Genick brechen. Diese zwei, drei Minuten müssen wir noch abstellen, um in der 2. Bundesliga punkten zu können.
Wie ist die Stimmung im Team?
Es denkt ja jeder: Die haben null Punkte, da muss die Stimmung auf dem Tiefpunkt sein. Wenn man die Mannschaft aber im Training sieht, ist das überhaupt nicht der Fall. Die Spieler sind jetzt nicht erfreut, sie wollen natürlich auch alle gewinnen, aber sie wissen das einzuschätzen und sagen: Okay, wir haben aktuell nicht das Niveau, sondern müssen weiterhin im Training Gas geben, dann werden wir uns heranarbeiten und Punkte holen. Es ist bemerkenswert, wie die Jungs damit umgehen.
Warum ist die Lücke zwischen der 3. Liga und 2. Bundesliga so groß?
Das hat mit den Strukturen zu tun. Bis zur 3. Liga wird alles vom DHB (Deutscher Handballbund) organisiert, während für die erste und zweite Liga die HBL (Handball-Bundesliga) verantwortlich ist – und die geht mit großen Schritten voran, nicht nur im Sportlichen, sondern auch im Organisatorischen. Die Drittligisten entwickeln sich deshalb nicht so schnell weiter. So wird die Schere zwischen zweiter und dritter Liga immer größer. Als Drittligist musst du sehr viel Geld mitbringen, um dich nach dem Aufstieg in der zweiten Liga so zu festigen, dass du gestandene Zweitligaspieler holen kannst, die richtig Geld kosten. Und ohne sie wird‘s schwer. Die 2. Bundesliga ist eine reine Profiliga. Da sind wir mit unseren Studenten die absolute Ausnahme. Man sieht es gerade eine Liga höher auch in Potsdam, die ohne Punkt Letzter sind. Das sind alles super Handballer, die werden in ein paar Jahren sicher alle in der ersten Liga spielen, aber auch sie können sich so schnell nicht dem neuen Niveau anpassen. Du musst Lehrgeld zahlen, und das kannst du dir als Aufsteiger oft nicht leisten.
Das Konzept des Konstanzer Wegs sieht vor, junge Handballer bei der HSG auf die nächste Stufe zu heben. Können sich Talente überhaupt weiterentwickeln, wenn sie jedes Spiel verlieren?
Egal, ob man gewinnt oder verliert, man nimmt aus jedem Spiel etwas mit. Zwischendurch wären sicher auch positive Ereignisse für die Entwicklung wertvoll, aber das können wir aktuell zu wenig umsetzen. Jetzt hoffen wir einfach mal auf die Rückrunde, dass wir dann mehr positive Geschichten schreiben werden.
Ist der junge, unerfahrene Trainer Vitor Baricelli mit gerade einmal 28 Jahren – als jüngster Coach in den ersten beiden deutschen Ligen – auf diesem Niveau überfordert?
Für ihn tut es mir am meisten leid, weil er ins kalte Wasser geschmissen wurde und uns von vornherein klar war, dass wir noch keine fertige Zweitliga-Mannschaft haben. Vitor ist aber ein Typ, der junge Spieler entwickeln will und das macht er auch gut. Die Jungs werden von Tag zu Tag besser, aber es ist schon hart, dass er in seiner ersten Chefrolle nur Niederlagen einstecken muss. Vitor ist nicht aus Brasilien hierhergekommen, weil das Wetter in Konstanz viel besser ist als dort, sondern weil er im Handball richtig was erreichen will. Er lebt diesen Sport und steht zu hundert Prozent hinter seinen Zielen. Fachlich und menschlich kann er das auch, und deswegen sind wir sowas von überzeugt, dass er der richtige Mann ist. Du musst als Trainer zu deiner Mannschaft passen – und das ist bei Vitor so. Bei den Vertragsgesprächen, die ich mit Spielern führe, ist die erste Frage immer: Ist Vitor nächstes Jahr noch Trainer? Weil sie sehen, wie wertvoll er für die Mannschaft ist.
Sie haben in der kurzen Winterpause Alexander Leindl vom HSC Kreuzlingen verpflichtet. Kann er das Team sofort verstärken und ist eventuell mit weiteren Neuzugängen zu rechnen?
Alex ist ein super Handballer. Er hat bei einem Probetraining schon aufgezeigt, wie wertvoll er für uns sein kann. Er ist auf Halbrechts ein Linkshänder, der schon auf diesem Niveau gespielt hat mit Fürstenfeldbruck und der uns auf jeden Fall weiterhelfen wird. Weitere Spieler kommen neben Alex nicht, das wäre für uns auch nicht finanzierbar
Würde ein Abstieg ohne Punkt etwas an der Zukunft des Konstanzer Wegs ändern? Sie wollten ja wegkommen vom Image der Fahrstuhlmannschaft. Der Klassenerhalt ist nun aber sehr früh fast nur noch rechnerisch zu schaffen.
Nein, es ändert sich nichts. Der Konstanzer Weg ist ja auch aus dem Grund entstanden, weil uns klar ist, dass wir uns diese 2. Bundesliga mit gestandenen Spielern gar nicht leisten können. Wir wollen junge Spieler entwickeln, es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Wir werden den Verein nicht auf Teufel komm raus verschulden, nur um die Liga zu halten, weil da einfach zu viel hinten dranhängt, wie etwa die Jugendarbeit. Wir investieren im Vergleich zu anderen Vereinen viel Geld und Zeit in den Nachwuchs, sodass wir unseren jungen Spielern etwas bieten können und die Möglichkeiten haben, sie in die erste Mannschaft hochzuziehen.
Sie müssen ohnehin mit einem knappen Budget rechnen. Befürchten Sie bei einem Anhalten der Negativserie weniger Zuschauerzuspruch bei den Heimspielen und somit geringere Einnahmen?
Die Zuschauerzahlen sind ein bisschen niedriger als sonst, das hat aber meiner Meinung nach nichts mit dem Sportlichen zu tun, sondern eher mit den Anwurfzeiten, die wir vom Fernsehen vorgegeben bekommen und die wir leider nicht selber bestimmen dürfen. Allgemein ist der Zuspruch bei Zuschauern und Sponsoren sehr groß, das merkt man auch nach jedem Spiel, wenn die Jungs viel Applaus bekommen, weil das Publikum anerkennt, dass sie ihr Bestes gegeben haben. Wir können stolz darauf sein, dass die Zuschauer so hinter uns stehen, das gibt es nicht in vielen Städten. Unsere Fans verstehen, mit welchen Möglichkeiten die HSG sehr vernünftig arbeitet. Die anderen Mannschaften, die mit uns gegen den Abstieg spielen, haben ungefähr das Drei- bis Vierfache an Budget, selbst in der 3. Liga sind wir finanziell nicht unter den Top Ten. Aber zurück zur Frage: Ich befürchte keine finanziellen Nachteile, weil wir jetzt so dastehen. Ich hoffe vielmehr, dass wir noch ein paar Pluspunkte holen und dass die Stimmung dann noch positiver wird.
Eine Frage zum Abschluss: Was wünschen Sie sich fürs neue Jahr?
In erster Linie wünsche ich mir natürlich Punkte – für die Zuschauer, für die Jungs, für die Trainer und auch für mich. Ich wünsche mir aber generell auch einfach mal, dass wir alle gesund und verletzungsfrei bleiben. Wir sind Leistungssportler und wollen immer gewinnen, aber bei all dem darf man gewisse Grundsachen nicht vergessen.